Michio Kaku:"Mich macht es glücklich, ein Naturgesetz zu entdecken"

Michio Kaku: Michio Kaku lehrt an der City University, New York

Michio Kaku lehrt an der City University, New York

(Foto: mkaku.org)

Der Physiker Michio Kaku ist Bestseller-Autor und hat die String Field Theorie begründet. Ein Gespräch über das Streben nach Ruhm, Geld und der Weltformel.

Interview von Tahir Chaudhry

Viele Wissenschaftler streben nach Ruhm. Doch selbst wer den bekommt, wird nur selten reich davon. Gleichzeitig treibt es zahlreiche Forscher zu Stiftungen und Unternehmen, weil der öffentlichen Hand das Geld fehlt. Was bedeutet das für die Freiheit der Forschung?

Michio Kaku ist Professor für theoretische Physik an der City University of New York und Mitbegründer der String Field Theorie, die Einsteins Suche nach der Weltformel fortführt. Der bekannte Wissenschaftler hat mehrere Bestseller geschrieben, mehr als drei Millionen Menschen folgen ihm auf Facebook.

SZ: Sie sind nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch kommerziell sehr erfolgreich. Fühlt sich das gut an?

Kaku: Sie und ich gehören sicher zu dem einen Prozent der Glücklichen auf dieser Welt. Schaut man sich das Durchschnittseinkommen auf der Welt an oder überlegt wie viele Millionen von Menschen abends hungrig ins Bett gehen müssen, dann können wir uns sehr glücklich schätzen. Das heißt aber nicht, dass wir klüger oder stärker als die anderen wären. Wir hatten größtenteils einfach mehr Glück - natürlich gepaart mit unserem Ehrgeiz und dem Einsatz unseren Fähigkeiten.

Könnten Sie sich ein Leben ohne Wohlstand vorstellen?

Ich bin ein Professor mit einem passablen Einkommen. Einstein war niemals reich. Newton auch nicht. Aber sie hatten genug. Wir Wissenschaftler haben genug Geld, um zu leben, die Rechnungen zu bezahlen und das tun zu können, was wir wirklich lieben. Es gibt Menschen, die Geld lieben, ich aber liebe die Wissenschaft.

Einige meiner Freunde haben große Entdeckungen gemacht: Charlie Towns etwa erfand den Laser. Eigentlich hätte er Milliardär sein müssen, doch die Patente waren in den Händen des Forschungslabors der Berkeley Universität. Als man Towns fragte, ob er es bereue, damit nicht einen Haufen Geld gemacht zu haben, sagte er ohne zu zögern: Nein. Warum? Weil er sein Leben der Wissenschaft gewidmet hatte und nicht dem Geld.

Was macht für Sie Wohlstand aus?

Geld spielt nur die Rolle eines Öls, das den Motor am Laufen hält. Nicht mehr, nicht weniger. Wissenschaft und Technologie sind die wahren Triebkräfte einer Gesellschaft. Durch die industrielle Revolution, die elektrische Revolution und die digitale Revolution wurde massenhaft Wohlstand generiert. Es mag Menschen geben, die in der Meditation und Kontemplation ihr Glück finden, aber ich denke, dass das Verharren auf der Yoga-Matte allein keinen Wohlstand schafft.

Glücklicher als Geld macht mich persönlich, ein Naturgesetz zu entdecken. Eine der Regeln auszumachen, die das gesamte Universum lenken, wie die Quantentheorie, die Relativitätstheorie oder die Evolutionstheorie.

Muss man ein weltvergessener und sozial ungeschickter Freak sein, um sich in der Welt der Physik wohlzufühlen?

Für Unterhaltungszwecke, ja. Die Serie "The Big Bang Theory" mag Spaß dran haben, um Physiker in dieser extremen Weise darzustellen. Entweder zeigt man uns als verrückte Erfinder oder als asoziale Nerds. Ich weiß nur, dass meine Freunde nicht so sind. Sie halten öffentliche Vorträge, nehmen an Diskussionen teil und pflegen ganz normale Beziehungen.

Woher kommt Ihre Begeisterung für die Physik?

In der Garage meiner Eltern baute ich während meiner High-School-Zeit meinen eigenen Teilchenbeschleuniger für ein Wissenschaftsprojekt. Das war der Zeitpunkt, an dem ich erkannte, dass die Kraft des Verstandes nicht zu bändigen ist und sie große Wunder vollbringen kann.

Woher hatten Sie die Hoffnung, dass eine Karriere in der Physik klappen könnte?

Als ich acht Jahre alt war und hörte, dass Einstein seine Weltformel nicht vollenden konnte, sagte ich mir, dass ich dabei helfen möchte, diese Theorie zu vervollkommnen. Das versuche ich bis heute, wenn ich forsche, Lesungen halte oder Bücher schreibe. Als Jugendlicher bekam ich mal einen Prospekt in die Hand gedrückt, auf dem die Frage stand: Was haben ein Physiker und ein Baseballspieler gemeinsam? Ich empfand das damals als eine dumme Frage und sagte zu mir selbst: gar nichts. Als ich den Prospekt aufschlug, stand geschrieben: Beide werden für etwas bezahlt, was sie lieben. Das stimmt.

Wenn man "Physik" und "Geld" googelt, stößt man auf hunderte Einträge von Menschen, die daran zweifeln, ob das Studienfach für sie das Richtige wäre. Einfach, weil es nicht unbedingt kommerziellen Erfolg verspricht. Sind diese Zweifel berechtigt?

Physiker werden nicht Physiker, um Geld zu machen. Es gibt viele Physiker, die Taxi fahren müssen, weil sie keinen Job an der Universität bekommen. Mein Forschungsgebiet ist die Theoretische Physik. Könnte ich jemals mit Einsteins Gleichungen bei einer High-Tech-Firma großes Geld verdienen? Wahrscheinlich nicht.

Die Abbrecherquote im Fach Physik an den Unis ist ziemlich hoch und es gibt zahlreiche Absolventen, die arbeitslos werden. Woran liegt das?

Wenn man sich mit der theoretischen Physik, also dem Urknall, Schwarzen Löchern oder verschiedenen Dimensionen beschäftigt, dann sind die Chancen, arbeitslos zu werden, relativ hoch. Gleichzeitig bietet die Physik Forschungsfelder, die in der Industrie zur Anwendung kommen. Dort gibt es immer einen großen Bedarf. Wer das praktische Feld betritt, wo Supercomputer, Künstliche Intelligenz oder Roboter entwickelt werden, kann das große Geld machen. Der mathematische Physiker James Simons zählt zu den reichsten Menschen dieses Planeten. Simons hat Big Data vorangetrieben und damit Milliarden von Dollar verdient. Ich sage immer zu meinen Studenten: Ihr werdet ganz sicher mehr Geld als ich machen, wenn ihr der reinen Theorie den Rücken kehrt und zum Silicon Valley geht.

"Es gibt zwei Arten des Kapitalismus"

Einige ihrer Kollegen kritisieren, dass es in der Forschung mittlerweile nur um große Gönner und ihr Geld geht, nicht mehr um den Fortschritt der Menschheit. Stimmen Sie dem zu?

Früher fand ich es verwerflich, wenn ich sah, dass es Wissenschaftler gibt, die reich und berühmt werden wollen. Irgendwann las ich in einem Buch über die Geschichte der Medizin, dass Ärzte über Jahrhunderte hinweg Privatangestellte von wohlhabenden Menschen waren. Den Ärzten ging es nicht darum, ihre Erkenntnisse zu publizieren und damit berühmt zu werden, sondern die Reichen hinters Licht zu führen, indem sie sich irgendeinen Hokuspokus ausdachten. Dann kam die Zeit, in der Ärzte damit begannen, ihre Forschungen bekannt zu machen, Preise zu gewinnen oder als Redakteure in Zeitschriften zu publizieren. Dadurch wurde aus Hexerei echte Wissenschaft. Ich verstand, dass die Dinge, die ich zuvor abgelehnte hatte, in gewisser Weise Triebkräfte des Fortschritts waren. Weil Mediziner die Anerkennung des Publikums und besonders ihrer Kollegen haben wollten, stellten sie gute Medizin her. Ist das egoistisch? Ja, das ist es, aber es bewirkt auch viel Gutes.

Haben Sie nicht die Sorge, dass die Wissenschaft für die Interessen der Geldgeber instrumentalisiert werden könnte?

Ein positiver Nebeneffekt des Publizierens und Präsentierens wissenschaftlicher Erkenntnisse ist, dass die Forscher sich wechselseitig kontrollieren und somit einen ständigen Prozess der Korrektur gewährleisten. Aber sicher gibt es auch die dunkle Seite der Wissenschaft. Wenn beispielsweise die Tabakindustrie anfängt, Forschung zu fördern, um gefälschte Erkenntnisse über die Wirkung von Tabak zu verbreiten, dann haben wir ein Problem. Die Geschichte zeigt jedoch, dass die Wissenschaft zwar nicht perfekt ist, weil Menschen sie betreiben, aber sie doch selbstkorrigierend ist. Und schlussendlich werden gefälschte Forschungsprojekte entlarvt und wir erfahren, wer die Auftraggeber waren, wer sich bestechen ließ und wie genau manipuliert wurde. Was das betrifft, sehe ich eine positive Entwicklung.

Es gibt millionenfach aufgerufene Youtube-Videos, in denen Sie Länder kritisieren, die auf ihre Güter, Ressourcen und Kapitalien setzen anstatt auf die Kraft des Verstandes und das geistige Eigentum. Was meinen Sie damit?

Es gibt zwei Arten des Kapitalismus: den rohstofforientierten Kapitalismus und den geistigen Kapitalismus. Das sind zwei Wege, um Wohlstand zu schaffen. Unsere Gesellschaft befindet sich mitten in einer historischen Transformation zwischen diesen beiden. Das sieht man besonders gut an der Unterhaltungsindustrie. Wer hätte gedacht, dass Hollywood irgendwann diese gigantische Größe erreichen und Milliarden von Dollar erwirtschaften würde. Wir haben erlebt, wie der industrielle Sektor gegenüber dem Dienstleistungssektor immer kleiner wurde. Doch es gibt noch zu viele Länder, die zum Großteil von ihrer Landwirtschaft abhängig sind, obwohl landwirtschaftliche Erzeugnisse immer günstiger werden. Überlegen Sie mal: Sie und ich hatten heute Morgen ein Frühstück, das sich nicht einmal der britische König vor einigen Jahrhunderten hätte erträumen können.

Wie könnte diese Erkenntnis auch in den betroffenen Ländern Fuß fassen?

Das Schöne am Westen ist, dass gute und schlechte Ideen für jeden frei zugänglich sind. Woher kommt Wahrheit? Sie entspringt aus zwei Tätigkeiten: dem Experimentieren und dem Ringen mit schlechten Ideen. Zumindest gibt es im Westen eine intellektuelle Debatte, die ständig im Gange ist. Gute Ideen müssen mit schlechten Ideen konkurrieren, denn sie erschaffen unsere Zukunft.

Mit Präsident Trump ist in den USA seit Januar dieses Jahres jemand an der Macht, der das Geld liebt, gigantische Wolkenkratzer besitzt und die weltbesten Deals verspricht. Was bedeutet das für den Fortschritt der amerikanischen Gesellschaft?

Grundsätzlich sollte man niemanden dafür verurteilen, dass er reich ist. Als ich jung war, glaubte ich, dass Geldverdienen etwas Schmutziges wäre. Dann erkannte ich: Jemand muss doch Geld investieren und Risiken eingehen. Ich bin Wissenschaftler, ich will das nicht. Wenn ich einen reichen Menschen sehe, urteile ich danach, ob dieser sein Geld auf illegale Weise, durch Ausbeutung oder auf Kosten von Menschenleben, verdient hat. Wenn das nicht der Fall ist, schaue ich, ob dieser etwas von Wert für die Gesellschaft geschaffen hat. Sollte dies so sein, habe ich keinen Grund, jemandemseinen Reichtum nicht zu gönnen.

Zurück zu Trump...

Das Böse muss man in einem größeren Kontext sehen. Im Kapitalismus gibt es einen Raum für Menschen, die Böses wollen und tun, aber auch Gutes schaffen: nämlich Wohlstand und Wachstum. Die Februarrevolution von 1917 beendete die Zarenherrschaft in Russland und die Bolschewiken übernahmen die Kontrolle. Es kam zu einer Diskussion zwischen Lenin und seinen Genossen, ob mal den Kreml als Denkmal des Grauens und der Ausbeutung abreißen solle. Lenin sprach sich dagegen aus. Er wollte, dass dieses Monument als ein Beispiel dient, durch das die Menschen ein besseres Verständnis von der Geschichte erlangen können. Die Erbauer und Verwalter des Kremls waren für Lenin Bösewichte, Unterdrücker und Chaoten, aber sie erschufen nun mal auch Architektur, Kunst und Kultur. Was ich damit sagen will: Böse und egoistische Menschen haben in der Menschheitsgeschichte auch viel Großartiges und Wunderschönes hervorgebracht.

Wir sollten ihre Handlungen nicht moralisch beurteilen?

In einer demokratischen Gesellschaft sollten wir alles moralisch beurteilen, aber zwei Mal darüber nachdenken, ob wir etwas zerstören, was geschaffen wurde. Wenn man sein eigenes Erbe zerstört, leidet man irgendwann selbst darunter.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: