Menschliche Kommunikation:Das wichtigste Wort der Welt

Jede banale Unterhaltung braucht ein Alarmsignal, falls der Zuhörer den Faden verliert - zum Beispiel die unscheinbare Frage: "Hä?" Sie ist das Schmiermittel der alltäglichen Kommunikation.

Von Katrin Blawat

Erschreckend viel kann schiefgehen, wenn sich zwei Menschen unterhalten. Wer es zum Beispiel nicht schafft, mittels Betonung, Stimmlage und Atmung deutlich zu machen, dass er noch einige Sätze weiterreden will, wird vermutlich ständig von seinem Gegenüber unterbrochen. Oder man zögert den Bruchteil einer Sekunde zu lange mit der Antwort - auch das kann verwirren. Die Zahl der möglichen Fallstricke geht ins Unendliche, denn kaum eine Kommunikation ist so kompliziert wie zwangloses Geplauder. Ein kurzes Telefonat zwischen Freunden, der Zwei-Minuten-Tratsch im Büro und der Wortwechsel mit der Kassiererin: All diese scheinbar simplen Formen der Kommunikation unterliegen strengen Regeln. Sie finden sich in keiner Grammatik. Trotzdem entscheiden sie darüber, ob die Kommunikation funktioniert.

Das klingt übertrieben? Ist es auch, aber nur wenig. Außer den Regeln braucht es für reibungsloses Geplauder nämlich noch etwas: einen Plan für Notfälle, wenn doch mal alles drunter und drüber geht. Diese "Reparaturfunktion" einer Unterhaltung kommt unscheinbar daher - und sie ist weltweit erstaunlich einheitlich, wie Forscher um Mark Dingemanse vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik im niederländischen Nimwegen nun zeigen (Plos One, online).

Notnagel des zwanglosen Gesprächs

Im Deutschen ist das Wörtchen "Hä?" der Notnagel eines zwanglosen Gesprächs. In den beiden Buchstaben steckt eine Menge Information. Wer ein "Hä?" in den Wortschwall seines Gegenübers wirft, drückt etwa aus: "Stopp. Ich habe etwas nicht gehört oder verstanden. Bitte erkläre mir das noch einmal, bevor du weiterredest." Ohne ein derartiges Wort, argumentieren die Forscher, würden viele alltägliche Gespräche rasch kollabieren. Der eine begreift dann nicht mehr, wovon der andere redet.

Sprach-Ästheten mögen einwenden, dass es besser klingende Möglichkeiten der Nachfrage gibt. "Das heißt ,Wie bitte?'!", bläuen viele Eltern ihren Kindern ein. Die Versuche, den Nachwuchs zu mehr Höflichkeit zu erziehen, in allen Ehren - dennoch hat ein "Hä?" unübertreffbare Vorzüge. Es ist kurz genug, um es in den Redeschwall des Gegenüber schleudern zu können. Außerdem stellt es so geringe Anforderungen an die Mechanik des Stimmapparates, dass es sich auch noch in größter Verwirrung artikulieren lässt.

Ein Wort für die ganze Welt

In so einen Zustand geraten natürlich nicht nur deutschsprachige Menschen gelegentlich. Wer Englisch spricht, behilft sich mit "Huh?" Im Niederländischen reichen zwei Buchstaben ("He?"), und das Spanische und Mandarin-Chinesische zum Beispiel kommen sogar nur mit einem aus ("E?" beziehungsweise "A?").

Auf der ganzen Welt kennen Menschen ein Wort, das dem deutschen "Hä?" entspricht. Zudem klingt es überall ähnlich, haben die Nimweger Forscher ermittelt. Sie haben Alltags-Gespräche in zehn verschiedenen Sprachen auf fünf Kontinenten analysiert. Englisch, Italienisch und Isländisch berücksichtigten sie ebenso wie Sprachen, die nur noch wenige Menschen in Ecuador, Ghana und Australien kennen. Egal, wo auf der Welt die Forscher ihre Aufnahmegeräte anschalteten - stets stießen sie auf ein kurzes Fragewort, das ähnlich wie "Hä?" klingt. Die menschliche Kommunikation und damit das soziale Leben hänge so stark von linguistischen Hilfsmitteln wie dem "Hä?" ab, dass es sich wohl mehrmals unabhängig voneinander in den verschiedensten Teilen der Erde entwickelt habe, folgert das Team um Dingemanse.

Das erscheint zunächst nicht wie die größte kulturelle Leistung von Homo sapiens. Wirklich nicht? Immerhin ist der Mensch das einzige Lebewesen, das so eine Nachfrage während der Kommunikation kennt. Und auch er muss es mühsam lernen. Kleinkinder beherrschen die Kunst des "Hä?" in voller Perfektion erst mit etwa fünf Jahren, also lange, nachdem sie ihre ersten Sätze gesprochen haben. Dann aber sind sie gerüstet für eine Welt, in der viel und schnell geredet wird - und in der zwei simple Buchstaben helfen, sich trotzdem gegenseitig zu verstehen.

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