Medizin:Die Kraft des Veilchens

Frühlingsblumen in Gärtnerei

Ringförmige Proteinmoleküle sind einer der Gründe für die heilende Wirkung von Veilchen.

(Foto: Holger Hollemann/dpa)

Ringförmige Moleküle aus Pflanzen können möglicherweise schwere Leiden wie Multiple Sklerose lindern. Bald gibt es erste Studien mit Menschen.

Von Nele Rößler

Veilchen helfen, Wunden zu heilen. Das wusste schon Hildegard von Bingen als sie zu Beginn des 12. Jahrhunderts über die Pflanze schrieb: "Aber auch wer irgendwelche Geschwüre in seinem Körper hat, der verwende diese Salbe. Und wo der Krebs und andere Würmer einem Menschen das Fleisch zerfressen, soll darüber gesalbt werden, und die Würmer werden sterben, wenn sie davon gekostet haben." Was die Universalgelehrte noch nicht wissen konnte: Ringförmige Proteinmoleküle sind einer der Gründe für die heilende Wirkung der violetten Blumen.

Etwa vier Prozent aller Pflanzenfamilien produzieren solche Zyklotide genannten Ringmoleküle; darunter Veilchen- und Kaffeegewächse, manche Gräser und Nachtschattengewächse wie die Tomate. Seit ihrer Entdeckung nähren die besonderen Eigenschaften dieser Naturstoffe Hoffnungen auf eine technische oder medizinische Nutzung. Einige Forscher wollen Zyklotide als Waffe gegen Krebs einsetzen. Andere sehen darin neuartige Wirkstoffe gegen Autoimmunleiden und Virusinfektionen oder Mittel gegen Insektenfraß an Nutzpflanzen.

Es sind kleine Proteine aus nur wenigen Aminosäuren, sie werden auch als Peptide bezeichnet. Im besonderen Fall der Zyklotide schließen sich die Aminosäurebausteine zu einem Ring zusammen. Auch im menschlichen Körper übernehmen Peptide wichtige Aufgaben, etwa als Hormone oder als Abwehrstoffe. Die pflanzlichen Ringpeptide sind allerdings deutlich stabiler als solche ohne Ringschluss, was sie wesentlich interessanter macht für medizinische oder agrartechnische Anwendungen.

Ein weiterer Vorteil der Zyklotide: Sie lassen sich wahrscheinlich einfach herstellen, indem Bioingenieure Pflanzen genetisch so verändern, dass diese in ihren Blättern massenhaft Ringpeptide produzieren. Nach dem Ernten der Blätter könnten diese als Wirkstoffe zum Beispiel gegen Prostatakrebs eingesetzt werden. "In Europa ist man bei Gentechnik immer etwas kritischer, aber auf anderen Kontinenten besteht daran mehr Interesse", sagt der Chemiker David Craik von der University of Queensland in Australien. Er forscht seit 30 Jahren an Zyklotiden und gilt als einer der Pioniere auf dem Gebiet.

Christian Gruber, Biochemiker von der Medizinischen Universität Wien und ehemaliger Doktorand von Craik, vergleicht die verschiedenen Zyklotide mit einer biologischen Schatzkammer. Zurzeit untersucht er den Einfluss der Naturstoffe auf Autoimmunerkrankungen. Dieses Jahr präsentierte Gruber Daten zum Einfluss von Zyklotiden auf Mäuse, die an einer Krankheit litten, die der Multiplen Sklerose des Menschen ähnelt. Das Ringpeptid stoppte in kranken Tieren das Fortschreiten des Leidens. Bekamen die Mäuse den Wirkstoff in einem früheren Stadium, brachen die Symptome gar nicht erst aus. Nebenwirkungen zeigten sich keine.

Mehrere Pharmafirmen interessieren sich dafür, aus den Zyklotiden Arzneien zu entwickeln

Über den Wirkmechanismus können die Forscher bisher nur spekulieren. Sie vermuten, dass die Pflanzenstoffe die Vermehrung aggressiver Abwehrzellen verhindern, die ansonsten die Nerven beschädigen würden. Ähnlich könnten Zyklotide auch bei anderen Autoimmunerkrankungen wie Rheuma oder Morbus Crohn funktionieren. "Unter der Bedingung, dass auch die ersten Tests an Menschen erfolgreich verlaufen, haben schon mehrere Pharmaunternehmen Interesse an einer Zusammenarbeit und Finanzierung bei der weiteren Medikamentenentwicklung gezeigt", sagt Gruber. Dennoch warnt er vor zu viel Zuversicht: "Unsere Versuche zeigten, dass es bei Mäusen hilft." Menschliche Probanden werden das Präparat frühestens im Jahr 2018 ausprobieren. Grubers Doktorvater David Craik gibt sich ebenfalls zurückhaltend. Er hofft, dass Zyklotide einmal auch als umweltverträgliche Pflanzenschutzmittel einsetzbar sind. Doch befinde sich die Forschung dazu ebenfalls noch ganz am Anfang.

Craik arbeitet seit den 1990er Jahren mit Zyklotiden, auf die er während eines Forschungsaufenthaltes in Oxford stieß. Erst seit etwa 15 Jahren interessieren sich zumindest auch ein paar andere Wissenschaftler für die Naturstoffe. "Es gibt universitäre Forschungsgruppen in Schweden, Österreich, Singapur, Australien, den USA und Großbritannien", sagt Craik. Verglichen mit Disziplinen wie molekularer Zellbiologie, für die es alleine in Deutschland mehr als hundert universitäre Arbeitsgruppen gibt, ist das verschwindend wenig. Trotzdem könnte Craik - wenn er wollte - seine gesamte Zeit auf Tagungen über Peptide verbringen, so gefragt ist inzwischen sein Wissen.

Bei seinen Vorträgen erwähnt er gerne eine buschig wachsende Pflanze mit schmalen grünen Blättern und hübschen dunkelblauen Blüten. In der Demokratischen Republik Kongo wird sie Kalata-Kalata genannt, ihr lateinischer Name ist Oldenlandia affinis. Der norwegische Arzt Lorents Gran beobachtete in den 1960er Jahren auf einer Reise in den Kongo, dass schwangere Frauen zur Geburtseinleitung einen Tee aus den Blättern der Kalata-Kalata tranken. Um sie zu erforschen, brachte er die Pflanze mit nach Europa aber vergaß sie wieder. Erst David Craik begann 1991, das Gewächs genauer zu untersuchen. Er wunderte sich über die große Zahl von ringförmigen Eiweißmolekülen in den Blättern. Es war der Beginn der Zyklotidforschung.

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