LHC und Weltuntergang:Angst vor dem Unsichtbaren

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Eines zeigen die Versuche am Cern schon jetzt: Forscher müssen rechtzeitig erklären, was sie tun - nicht erst, wenn sich abstruse Gerüchte massenhaft im Internet ausbreiten.

Hubert Filser

Es ist das größte und aufwendigste Experiment aller Zeiten. Der gigantische, drei Milliarden Euro teure Teilchenbeschleuniger in einem 27 Kilometer langen Ringtunnel tief unter der Erde zwischen dem Flughafen von Genf und dem Französischen Jura ist angeworfen worden.

Bei der Kollision von Atomkernen fliegen Tausende neuerzeugte Teilchen in alle Richtungen. (Foto: Grafik: Cern/dpa)

In wenigen Wochen werden Wasserstoffkerne mit Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen. Zehntausende Physiker und Ingenieure haben am Europäischen Forschungszentrum Cern seit mehr als zehn Jahren daran gebaut. Sie wollen Bausteine und Urkräfte des Universums erkunden und den Urknall nachahmen.

Wo der Anfang erforscht wird, bleiben Endzeitspekulationen nicht aus. Denn dass diese Urkräfte ganz anders walten könnten, als die Forscher vermuten, löst bei einigen Menschen Angst aus.

Seit Monaten kursiert die Verschwörungstheorie, dass Teilchenkollisionen im Cern winzige schwarze Löcher erzeugen könnten, die in der Folge wachsen, alles in sich hineinsaugen und am Ende die Erde verschlingen. Das Weltuntergangsszenario stützt sich auf eine ziemlich absurde Interpretation von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie, derzufolge die im Beschleuniger produzierten schwarzen Löcher innerhalb von 50 Jahren die Erde auffressen könnten.

Forscher erklären immer wieder, dies sei blanker Unsinn. Auf der Cern-Internetseite wird detailliert gezeigt, warum keine Gefahr droht. Trotzdem scheint das Gerücht an Kraft zu gewinnen, genährt von der Faszination des selbstverschuldeten Weltuntergangs.

Dass tatsächlich winzige schwarze Löcher entstehen können, bestreiten auch Physiker nicht. Immerhin prallen Protonen fast mit Lichtgeschwindigkeit aufeinander, was physikalisch wie ein kleiner Urknall wirkt. Doch die schwarzen Löcher zerstrahlen in Sekundenbruchteilen.

Woher kommt diese Faszination, die zur Angst wird? Sie hat mit der Unvorstellbarkeit dessen zu tun, was dort tief in der Erde passiert. Man sieht nicht, wie die Protonen durch den Teilchenbeschleuniger rasen. Man spürt nicht, wie sie mit Lichtgeschwindigkeit auf ihrer Kreisbahn in die Kurve gehen.

Man hört nur von großen, fast auf den absoluten Nullpunkt von minus 273 Grad abgekühlten Magneten, von kathedralenhohen Detektoren, die - vor den Augen der Menschheit verborgen - ihr Werk tun.

Es ist die Angst vor der unsichtbaren Macht dieser Maschinen, die Unbehagen auslöst. Das eigentliche Ereignis, die Kollision der Teilchen, entzieht sich der Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Damit wird die uralte Angst vor dem Ende ausgelöst, vor dem kalt lächelnden mad scientist, der den Weltuntergangsknopf drückt.

Das Cern bietet scheinbar all diese Science-Fiction-Elemente: das Unsichtbare, das Unkontrollierbare, das Unvorstellbare. Aber eben nur scheinbar. Denn was am Cern passieren wird, ist in Wirklichkeit sichtbar - allerdings nur auf den Bildschirmen im Kontrollzentrum und den Rechnern der Experten.

Es wird Monate dauern, um die gigantische Datenmenge auszuwerten. Was am Cern passiert, ist kontrollierbar. Die Kontrolle ist zwar komplex, der Protonenstrahl könnte instabil werden und den Beschleuniger verstrahlen.

Spitzenforschung ist kompliziert und alltagsfern geworden

Doch Menschen sind dadurch nicht in Gefahr. Die Folgen wären nur für die Forschung dramatisch. Die Maschine wäre mindestens sechs Monate lahmgelegt. Und schließlich: Was am Cern passieren wird, ist vorstellbar, zumindest für wenige, hochspezialisierte Physiker. Ihre Ideen sollen dort ja getestet werden.

Doch genau da zeigt sich das eigentliche Dilemma der Cern-Forscher. Spitzenforschung ist so kompliziert und alltagsfern geworden, dass es für die meisten Menschen unmöglich ist, tatsächliche von nichtexistenten Risiken zu unterscheiden. Hier zeigt sich die Parallele zur Gen- oder der Nanotechnik.

Cern offenbart daher vor allem eines: Wissenschaftler müssen mehr tun, um ihre Arbeit zu erklären, und sie müssen es rechtzeitig tun. Nicht erst, wenn sich abstruse Gerüchte massenhaft im Internet ausbreiten.

Auch die fähigsten Physiker müssen vermitteln, was so faszinierend daran ist, unbekannte Welten zu erforschen. Sie müssen in Vorträgen von ihrer Hoffnung erzählen, dass diese Maschine sie aus einem jahrzehntelangen Dilemma befreien wird: Sie konnten ihre Ideen, wie die Welt entstanden ist, nicht mehr in der Realität überprüfen. Die Theorien wurden immer wilder. Die Ergebnisse werden Klarheit schaffen.

Die Angst vor einem schwarzen Loch ist unberechtigt, berechtigter ist vielmehr die Angst vor der Rechenmaschine hinter den Experimenten. Um sie auszuwerten, braucht man das mächtigste Computersystem der Welt. Es ist ein neuartiges Netzwerk, das Rechner weltweit zu einem Supercomputer verschmilzt.

Knackt jemand dieses System, könnten Hacker die Rechnerfarmen nutzen, um Computer weltweit anzugreifen. Damit ließen sich auch zentrale Internet-Knoten ausschalten, bestimmte Regionen der Welt wären dann vom Netz.

Auch dieses Szenario ist eher unwahrscheinlich, aber sogar die Computerexperten am Cern sehen es als ihr Albtraum-Szenario. Weltuntergangsfanatiker beschäftigen sich aber offenbar lieber mit irrealen als mit den realen Gefahren.

© SZ vom 10.09.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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