Landwirtschaft:Fast jedes Masthuhn bekommt Antibiotika

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Der Einsatz von antibakteriellen Mitteln ist in der Tiermast offenbar die Regel. Das belegt eine Studie aus NRW. Mehr als 96 Prozent der Tiere in den untersuchten Betrieben waren mit Antibiotika behandelt worden. Dadurch wächst das Risiko, dass Krankheitserreger Resistenzen entwickeln.

Der Verdacht stand schon seit Wochen im Raume - jetzt hat eine Studie im Auftrag des NRW-Verbraucherschutzministeriums ihn bestätigt: Geflügelbetriebe verwenden in der Hähnchenmast offenbar viel zu viel Antibiotika. In 83 Prozent der sogenannten Mastdurchgänge wurden im Untersuchungszeitraum demnach antimikrobielle Substanzen eingesetzt. Die Erhebung hat eine erneute Debatte über die Massentierhaltung ausgelöst.

Insgesamt wurden 96,4 Prozent der Tiere aus den untersuchten NRW-Betrieben mit Antibiotika behandelt. Lediglich bei weniger als vier Prozent der Masthähnchen kam kein Wirkstoff zum Einsatz, wie Verbraucherminister Remmel weiter mitteilte.

Nordrhein-Westfalens Verbraucherminister Johannes Remmel sprach von "alarmierenden, erschütternden Ergebnissen", die bei ihm "Übelkeit" verursachten. Der Grünen-Politiker forderte Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) zum sofortigen Handeln auf. Das Bundesverbraucherministerium bezeichnete die Resultate der NRW-Studie in einer Stellungnahme als "besorgniserregend". Die Bundesländer müssten die Kontrollen verschärfen. Für Remmel ist das unangemessen. Der Bund müsse klare Vorschriften für die Betriebe erlassen. Auch die Rolle von Tierärzten müsse problematisiert werden. Antibiotika-Einsatz ist nach Remmels Angaben nur unter strengen Auflagen bei kranken Tieren erlaubt. Der massenhafte Einsatz als "Gesundheitsdoping" sei nicht legal.

Die getesteten Bio-Betriebe waren laut Verbraucherministerium "clean". Der Grünen-Politiker warnte vor einer "Ausbreitung multiresistenter Keime". Beim Menschen könnten diese Keime dazu führen, dass bei Erkrankungen notwendige Antibiotika keine oder nur unzureichende Wirkungen entfalten, sagte Remmel. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts sterben jährlich mehr als 15.000 Menschen in Deutschland wegen multiresistenter Keime.

Und Agrarvertreter kündigten Verbesserungen beim Einsatz von Medikamenten an. So wollen der Deutsche Bauernverband (DBV) und der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) mit einem eigenen "Monitoring-Programm" auf die Studie aus NRW reagieren. "Wir nehmen diese Ergebnisse sehr ernst", teilten DBV-Generalsekretär Helmut Born und ZDG-Geschäftsführer Thomas Janning mit. "Aus unserer Verantwortung für die Tiere heraus ist unser Ziel klar: Wir wollen Krankheiten beim Tier vermeiden und so den Antibiotikaeinsatz deutlich reduzieren", sagten die Verbandsvertreter.

Scharfe Kritik an den Praktiken kam von Umweltschützern. Die "Geflügellobby" sei "eine Schweinepest für Verbraucher", rügte der Naturschutzbund (Nabu). Dass Masthähnchen während ihres nur 30- bis 35-tägigen Lebens teilweise bis zu acht verschiedene Antibiotika aus verschiedenen Wirkstoffgruppen verabreicht bekämen, sei gefährlich. Die Politik müsse die Konsumenten endlich schützen. Das Kernproblem sei, dass die Tiere wegen der nicht artgerechten Haltungsbedingungen regelmäßig Antibiotika bekämen, weil sie sonst oft nicht bis zur Schlachtung überleben würden, merkte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) an.

Das Landesamt für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz (LANUV) hatte im Auftrag des NRW-Verbraucherministeriums zwischen Februar bis Juni insgesamt 962 sogenannte Hähnchenzuchtdurchgänge aus 182 Beständen in NRW auf den Einsatz von antimikrobiellen Substanzen untersucht.

dapd

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