Impfung:Impfen gegen Milzbrand?

Lesezeit: 3 min

Nach den Milzbrand-Infektionen in Florida fragen immer mehr Menschen nach einem Schutz vor Anthrax. Es gibt bisher nur einen unsicheren Impfstoff, Experten halten Massenimpfungen nicht für sinnvoll.

Ausgelöst durch den Terroranschlag von Manhattan und inzwischen drei in Florida mit Milzbrand infizierten Menschen zeichnen vor allem die Medien aber auch einige Fachleute Horrorszenarien von Anthraxanschlägen. Es könne Millionen Tote geben, wenn etwa Milzbrandsporen flächendeckend über eine Stadt versprüht würden.

Der Impfstoff gegen Milzbrand ist nicht sicher. (Foto: Apothekenkammer Nordrhein)

Experten wie der Hamburger Bioterrorrismus-Experte Jan van Aken halten dies zwar für eher unwahrscheinlich: "Wenn etwas mit Milzbrand passiert, dann wohl nur kleinräumig", so van Aken.

Trotzdem machen sich die Menschen Sorgen. Nach Manhattan scheint alles Denkbare auch möglich. Könnte man nicht einfach alle Menschen gegen Milzbrand impfen?

Die Lizenz zum Impfen

In den USA hat ein einziges Laboratorium die Lizenz, den Impfstoff herzustellen. Nach Angaben des Paul Ehrlich Institutes gibt es außerdem in Kanada, Großbritannien und Russland insgesamt vier Hersteller.

Allerdings ist der Stoff zurzeit bei keinem der westlichen Produzenten verfügbar, in Russland möglicherweise.

Die amerikanische Firma BioPort Corporation erwarb die Lizenz 1998 vom US-Staat Michigan. Die Privatisierung war damals umstritten, und steht heute mehr denn je im Kreuzfeuer der Kritik.

"Der Hersteller war seitdem nicht fähig, einen einzigen Impfstoff herzustellen, der die Anforderungen der Food and Drug Administration erfüllt", wirft das frühere Parlamentsmitglied Lingg Brewer der BioPort Corporation in einem Artikel der New York Times vor.

Schlampige Produktion

Tatsächlich gab die FDA bei den vorgeschriebenen jährlichen Inspektionen sowohl 1999 als auch 2000 keine Genehmigung zur Produktion.

Neben unvollständiger Dokumentation standen auch Verfahrensfehler beim Abpacken des Impfstoffs auf der Mängelliste der Inspektoren.

Im übrigen sei die Wirksamkeit des Impfstoffes nicht wissenschaftlich erwiesen, wie ein Mitarbeiter des Komitees für die Nationale Sicherheit sagt.

Nebenwirkung "Golfkriegs-Syndrom"

Sollte die diesjährige FDA-Inspektion die Wiederaufnahme der Produktion erlauben, so wird die erste Million Impfungen sicher der Armee vorbehalten sein.

Bereits die Einsatzkräfte im Golfkrieg von 1991 waren aus Furcht vor biologischer Kriegsführung versorgt worden. Später wurde die Impfung mit der mysteriösen Erkrankung in Verbindung gebracht, die einige der Soldaten befiel und auf den Verlegenheitsnamen "Golfkriegs-Syndrom" getauft wurde. Ein Hinweis darauf, dass der Impfstoff nicht sicher ist.

In den vergangenen Jahren gab es 400 Disziplinarverfahren gegen Soldaten, die sich weigerten, die Impfung durchzuführen zu lassen.

Derzeit spricht die amerikanische Armeeführung davon, 2,4 Millionen Soldaten und Reservisten impfen zu wollen. Begonnen habe die Impfaktion inzwischen an 500.000 Angehörigen der Truppe, in der Variante der BioPort Corporation mit sechs Injektionen im Verlauf von 18 Monaten.

Soldaten zuerst

Einstweilen haben seit Montag Soldaten der Nationalgarde Posten vor dem Labor in Michigan bezogen, die Gebäude mit Betonbarrieren und Stacheldrahtzaun abgeriegelt.

Über tausend Anrufe habe das Labor seit den Terroranschlägen vom 11. September registriert, in denen Privatpersonen und Ärzte Impfstoff kaufen wollten, berichtet die New York Times.

"Der gesamte Lagerbestand, der zurzeit existiert, gehört dem Verteidiungsministerium. Kommerzielle Lieferungen werden derzeit nicht getätigt", bekamen sie über einen Anrufbeantworter zu hören. Das Objekt der nationalen Sicherheit dient vorläufig einzig dem Militär.

Massenimpfungen sind unrealistisch

"In Deutschland gibt es überhaupt keinen Impfstoff", sagt Gernot Rasch vom Robert-Koch-Institut in Berlin.

Es hätte bisher auch gar keine Veranlassung dazu gegeben, weil es Milzbrand-Fälle in Deutschland praktisch nicht gab. "Es ist ja auch nicht besonders ansteckend", so Rasch. Und bei den Berufen, wie Tierarzt oder Schlachter seien arbeitstechnisch entsprechende Vorkehrungen getroffen.

Dass sich Menschen nach den Infektionen von Florida Sorgen machen, kann er verstehen. Aber gleich ganz Deutschland flächendeckend zu impfen, sei völlig unrealistisch.

"Das macht überhaupt keinen Sinn", so der Impfexperte. "Auch wenn inzwischen alles denkbar scheint, können wir nicht auf einen rein hypothetischen Fall hin Massenimpfungen in Erwägung ziehen."

Es sei nicht mal klar, wie sicher der vorhandene Wirkstoff ist. Der Aufwand stehe in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Gefahr.

Bitte, weniger Hysterie

So sieht es auch Susanne Stöcker, Pressesprecherin des Paul Ehrlich Institutes in Berlin. "Der Stoff ist nicht mal richtig ausgetestet." Von den Problemen der amerikanischen Firma hat sie auch gehört.

Zudem vergäßen die Menschen immer wieder, dass auch Impfstoffe Nebenwirkungen hätten, die in die Kalkulation mit einbezogen werden müssten. "Stellen Sie sich nur mal vor, auf 50.000 Impfungen gäbe es einen Fall von Hirnhautentzündung. Das kann doch keiner verantworten", so Stöcker.

Ihr wäre es lieber, das Thema würde mit weniger Hysterie behandelt. Da werde wie wild über einen sehr unwahrscheinlichen Fall spekuliert und Impfungen gefordert, und "gleichzeitig sterben jedes Jahr Tausende Menschen an Grippe, Diphterie oder Pneumokokken, weil sie sich nicht impfen lassen."

Dabei seien diese Impfstoffe sehr gut erforscht und das Nebenwirkungsrisiko bekannt. "Das ist einfach verrückt."

Quelle: surfmed

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