Hirnforschung mit Facebook:Wie die Gier nach Likes das Gehirn antreibt

Facebook

Facebook durch die Brille der Neuroforscher: eine unerschöpfliche Datenquelle

(Foto: Jens Büttner/dpa)
  • Die Hirnforschung könnte nach Ansicht von Experten viele Erkenntnisse mithilfe von Facebook gewinnen.
  • Einige Forscher untersuchen etwa bereits, welche Auswirkungen ein "Like" auf das Belohnungszentrum im Gehirn hat.
  • Die Effekte von Ausgrenzung in sozialen Gruppen lässt sich ebenfalls gut anhand des Netzwerks untersuchen.

Von Kai Kupferschmidt

Die Zahlen sind kaum zu fassen: 1,5 Milliarden Nutzer sind bei Facebook registriert. Jeden Tag posten sie eine Milliarde Statusmeldungen. Bei Twitter werden jeden Tag 400 Millionen Tweets abgesetzt, bei Instagram 80 Millionen Fotos geteilt, bei Youtube zwölf Jahre Videomaterial hochgeladen. Es ist eine ungeheure Datenmenge, die nicht nur Freunde und Privatnutzer interessiert, sondern längst auch Unternehmen, Behörden bis hin zu Geheimdiensten - sowie Forscher.

Wissenschaftler wollen unter anderem das Phänomen Facebook verstehen: Welche Menschen nutzen die Plattform? Was machen sie dort? Warum? Die Fragen sind weitreichend. Forscher suchen in sozialen Medien auch Hinweise auf Suizidgedanken, sie prüfen, ob die Netzwerke helfen können, abzunehmen oder das Rauchen aufzugeben, und ob sich gute oder schlechte Nachrichten darin schneller verbreiten. Sozialwissenschaftler veröffentlichten im Jahr 2006 acht Studien zu Facebook. Fünf Jahre später waren es schon 186.

Die Hirnforschung hinke dem hinterher, sagt Dar Meshi, von der Freien Universität Berlin. Im Fachblatt Trends in Cognitive Neurosciences rufen er und seine Co-Autoren die Neurowissenschaften dazu auf, die sozialen Medien verstärkt zu nutzen. Bisher seien in diesem Fachgebiet lediglich sieben Studien veröffentlicht worden, die sich mit sozialen Medien beschäftigen, schreiben sie.

Der Like wirkt auf das Belohnungszentrum im Hirn

Meshi interessiert sich für Vorgänge im Gehirn, die dem sozialen Verhalten zu Grunde liegen: wie viel der Mensch von sich selbst preisgibt, wie viele Freunde er hat, wie das Belohnungssystem reagiert, wenn jemand Urlaubsfotos positiv kommentiert. Der entscheidende Vorteil von Facebook und den anderen Netzen: Sie bieten leicht zugängliche Daten realer Interaktionen. Sie speichern, wie Menschen online miteinander umgehen. "Das eröffnet riesige Möglichkeiten für die Forschung", sagt die US-Neurowissenschaftlerin Emily Falk von der University of Pennsylvania in Philadelphia. "Sie können Menschen natürlich auch ins Labor einladen, aber das ist immer eine etwas künstliche Situation", sagt Meshi. Fragebögen sind notorisch unzuverlässig, weil Teilnehmer ihr eigenes Verhalten manchmal schlecht einschätzen können und oft ein positives Bild von sich selbst präsentieren wollen.

Im Kern geht es um eine grundsätzliche Frage: Warum fühlt es sich überhaupt gut an, wenn jemand einen Facebook-Eintrag mit "Gefällt mir" bewertet? Die einfache Antwort ist, dass das Belohnungszentrum im Gehirn aktiv wird, der Nucleus accumbens. Diese Hirnstruktur wird zum Beispiel auch aktiv, wenn Menschen etwas Süßes schmecken. Für den Urmenschen war das ein Hinweis auf besonders energiereiche Nahrung. Die Ausschüttung von Dopamin im Belohnungszentrum war ein Antrieb, solche Nahrung zu suchen und damit ein Überlebensvorteil. Heute hält diese feste Verdrahtung in unserem Gehirn eine Milliarden Euro (und Kalorien) schwere Süßwarenindustrie am Laufen. Aber was verbindet den Urmenschen und gepostete Urlaubsfotos?

Ausgeschlossen zu werden, ist auch unter Naturvölkern die schlimmstmögliche Strafe

Laut Forschern wie Meshi ist es der Drang nach Anerkennung. Unser Gehirn ist darauf programmiert, hohes Ansehen und Gruppenzugehörigkeit mit gutem Gefühl zu belohnen, weil ein soziales Netzwerk für den Urmenschen überlebenswichtig war. "Das Gefühl, ausgestoßen zu sein, ist eine der schlimmsten Emotionen, die es überhaupt gibt", sagt Eckart Voland, Soziobiologe an der Universität Gießen. "Bei vielen Naturvölkern ist die höchstmögliche Strafe, Menschen auszustoßen. Im schlimmsten Fall kann das einem Todesurteil gleichkommen."

Dass Menschen sich nach sozialer Anerkennung sehnen, ist offenbar auch eine Triebkraft für die Nutzung sozialer Medien. In einer Studie konnte Meshi zeigen, dass in einer Gruppe von 31 Menschen, diejenigen Facebook am meisten nutzten, deren neuronales Belohnungssystem am stärksten auf soziale Anerkennung reagierte. Für die Studie, die 2013 in Frontiers in Human Neuroscience erschienen ist, hat Meshi die Teilnehmer befragt, wie viel Zeit sie auf Facebook verbringen. "Heute würde ich dafür die Daten direkt von Facebook nutzen", sagt er.

Das funktioniert im Prinzip genauso wie bei Dating-Apps (Tinder) oder Spielen (Farmville). Stimmt der Benutzer zu, indem er sich per Facebook einloggt, können Forscher auf Daten der Apps zugreifen, etwa wie aktiv jemand in dem Netzwerk ist oder wie beliebt seine Statusmeldungen sind. "Natürlich müssen Teilnehmer genau wissen, zu welchen Daten sie den Forschern Zugang geben", betont Falk. Aber dann ließen sich Phänomene wie die Verbreitung von Ideen online hervorragend untersuchen.

Auch die Unterschiede zwischen Online- und Offline-Welt bieten Forschungsmöglichkeiten. So wie die industrielle Produktion von Zucker es Menschen heute erlaubt, das Belohnungszentrum direkt anzuregen, ohne eine echte Erdbeere zu essen, in der sich neben Zucker noch Vitamine und zahlreiche andere Stoffe finden, so sind die Likes auf Facebook ein sozusagen mechanisierter Weg zu sozialer Belohnung. Es ist nicht mehr nötig, Mitmenschen zu treffen oder seine Freunde zum Fotoabend einzuladen. Ändert das menschliches Verhalten? "Das ist eine wichtige Frage für die Forschung", sagt Meshi.

Ein Unterschied ist bekannt: Menschen reden im persönlichen Gespräch etwa 30 bis 40 Prozent der Zeit über sich selbst und ihre Erfahrungen. Online sind es 80 Prozent und mehr. Meshis Co-Autorin Diana Tamir von der Universität Princeton hat 2012 in einer Studie gezeigt, dass das Belohnungssystem schon dadurch stimuliert wird, dass Menschen Informationen über sich selbst teilen können. Wer einmal einen Blick in Facebook geworfen hat, weiß dass sich diese soziale Umgebung hervorragend eignet, um der Frage nachzugehen.

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