Großbritannien:Auf der Spur von König Artus

Ancient  writing  inscribed  in  slate  was  discovered  during  an  ambitious  excavation  at  Tintagel  Castle   last  summer.  English  Heritage  has  revealed  the  find  ahead  of  it  going  on  display  at  the  Cornish  Castle.

Hoch auf den Klippen über dem Atlantik graben Archäologen die Reste einer einst prosperierenden Siedlung aus.

(Foto: Emily Whitfield-Wicks/English Heritage)
  • Tintagel ist derzeit eine der spektakulärsten Ausgrabungsstätten in Großbritannien.
  • Vom 5. bis zum späten 8. Jahrhundert soll Tintagel ein wichtiger Herrschersitz gewesen sein.
  • Forscher fanden Waren aus dem gesamten Mittelmeerraum. Mehr als 2000 einzelne Artefakte wurden bereits entdeckt.
  • Bei früheren Grabungen in den 1930er-Jahren waren Archäologen noch von einer Klosteranlage ausgegangen.

Von Hubert Filser

Unten schlägt die Brandung des Atlantiks an die steil aufragenden Felsen der Halbinsel. Die Archäologen, die am oberen Rand der südlichen Klippen an mehreren Stelle graben, dort wo Tintagel allmählich flacher wird, haben kaum einen Blick dafür. Ihre Aufmerksamkeit gilt den Schätzen im Boden, den sie langsam abtragen. Darunter kommen Mauern zum Vorschein, Gebäude mit gut erhaltenen Schieferböden, die zu einer dichten Siedlung aus dem 5. oder 6. Jahrhundert gehörten.

Mehr als 100 Gebäude standen einst auf den Klippen über dem Meer. Tintagel könnte vom Ende des 5. Jahrhundert bis zum späten 8. Jahrhundert ein wichtiger Herrschersitz gewesen sein. Zumindest unterhielten die Bewohner Handelsbeziehungen im gesamten Mittelmeerraum, wie die Ausgrabungen britischer Archäologen belegen. Sie fanden zahlreiche Überreste importierter Keramik außerdem kobaltblaues Glas aus Ägypten. Manche Forscher fragen sich daher: Könnte hier auf dieser meerumtosten Halbinsel nahe der äußersten Westspitze Englands einst eine königliche Residenz mit internationalen Handelsbeziehungen gestanden haben? Könnte es sich gar um die lang gesuchte Burg des legendären Artus handeln?

Um das herauszufinden, arbeiten Archäologen der Cornwall Archaeological Unit (CAU) bis zum Jahr 2020 auf der Halbinsel an der Westküste Cornwalls. Sie sind der Legende des sagenhaften Königs auf der Spur. Tintagel ist derzeit eine der spektakulärsten Ausgrabungsstätten in Großbritannien, 280 Kubikmeter Erde und Gestein wurden bislang vom Team abgetragen. Die ersten Sondierungen fanden im Jahr 2015 statt, die offizielle Grabung begann ein Jahr später.

Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend. "Wir haben bereits mehr als 2000 einzelne Artefakte entdeckt", sagt der britische Archäologe Win Scutt vom English Heritage. Dazu gehören Töpferwaren, Amphoren für Öl und Wein, Glas und Geschirr aus dem 5. bis 7. Jahrhundert. In Tintagel seien mehr Gefäße aus dem frühen Mittelalter gefunden worden als an allen archäologischen Stätten Großbritanniens zusammen, so Scutt.

Die Analysen der Forscher zeigen, dass die Waren aus dem gesamten Mittelmeerraum nach Cornwall verschifft wurden. Keramiken wie große, offene Schalen stammen aus der heutigen Südwesttürkei oder aus Zypern, Amphoren für Wein und Öl aus der Ägäis und Tunesien. Die Bewohner nutzten feine, teilweise dekorierte Trinkgläser aus Südwestfrankreich und Südspanien. "Alle Gefäße sind einzigartig und unterstreichen Tintagels hohe Stellung und bedeutende Rolle in internationalen Handelsnetzwerken in der Zeit nach dem Abzug der Römer", sagt Scutt.

Die Archäologen werten derzeit vor allem die Funde der vergangenen Jahre aus und vermessen die bereits komplett freigelegten Behausungen. Bis zu einem Meter dick sind die Mauern aus geschichtetem Schiefergestein. Das größte Gebäude auf der teilweise künstlich begradigten Südterrasse war mindestens 15 Meter lang und vier Meter breit und gegen eine Felswand gebaut. Daneben lag ein weiteres längliches Gebäude mit massiven Innenstützen, hier fanden die Archäologen Hinweise auf einen Herd und Teile eines Kessels. Möglicherweise ist hier Metall verarbeitet worden. Von den Gebäuden auf der südlichen Terrasse hatten die Bewohner der Siedlung eine grandiose Aussicht auf den Atlantik, die Siedlung ließ sich gut verteidigen, die Halbinsel hatte nur einen schmalen Landzugang. Die gesamte Siedlung umfasste mehr als zwölf Hektar.

In der nahen Merlin-Höhle wurde ein bärtiges Gesicht in den Fels gehauen

Unterhalb der steilen Felsen lag der mit einer Mauer zur Siedlung hin abgetrennte Naturhafen mit einer großen Höhle, ein idealer Lagerplatz für Waren. Eine weitere, künstlich verbreiterte Lagerhöhle befand sich auf dem Hochplateau. Bei früheren Grabungen in den 1930er-Jahren waren Archäologen noch eher von einer Klosteranlage ausgegangen, jetzt halten sie einen Fürstensitz für wahrscheinlicher. "Insgesamt war es eine sehr dicht gebaute Siedlung, nirgends in Großbritannien wurde aus dieser Zeit eine Siedlung dieser Größe gefunden, nicht einmal London war so groß", sagt Scutt. "Möglicherweise war sie ein Zentrum des Königreichs Dumnonia." Die Halbinsel könnte einst ein königlicher Sitz des Keltenreichs gewesen sein, mit weiteren Zentren in der Gegend der heutigen Regionen Cornwall und Dartmoor.

Man muss sich bei dieser Ausgrabung, die offiziell "Tintagel Castle Archaeological Research Project" heißt, an den Konjunktiv gewöhnen, schließlich geht es auch um eine mögliche Verbindung zum sagenhaften König Britanniens, da gibt es auch Spekulationen. Von Anfang an war eine Filmcrew der BBC für die Sendung "Digging for Britain" vor Ort, dort präsentierte die Archäologieprofessorin Alice Roberts die neuesten Ausgrabungsergebnisse. Auch sonst scheinen viele Menschen vor Ort gewillt zu sein, an die realen Hintergründe der Artus-Sage zu glauben. Eine bärtige Artus-Figur mit Schwert und Umhang prangt als stählerne und gleichzeitig doch seltsam geisterhaft gestaltete Skulptur hoch oben auf Tintagel, so als sei es nur eine Frage der Zeit, bis die Archäologen die nötigen Nachweise finden werden.

Auf Tintagel wurde auch in düsteren Zeiten üppig gespeist und gut getrunken

Schon jetzt ist der Ort ein Touristenmagnet, angelockt durch die magischen Geschichten über Artus und sein mächtiges Schwert Excalibur, die Ritter der Tafelrunde wie Lancelot oder Parzival, die Geschichten über den Zauberer Merlin, den Heiligen Gral oder Erzählungen über die tragische Liebe von Tristan und Isolde. All die Geschichten veranlassten die Verantwortlichen des Touristenmagnets Tintagel vor zwei Jahren sogar, trotz des Protests von Historikern nahe der so getauften "Merlin-Höhle" das bärtige Gesicht des Zauberers in den Fels zu hauen.

Der Bonner Mediävist Rudolf Simek zeigt sich hinsichtlich der Suche nach dem "historischen König Artus" skeptisch, er hält es eher für eine Obsession der Briten. Allerdings ist die Artus-Geschichte selbst tatsächlich sehr alt. Historisch könnte hinter dem Artus der frühmittelalterlichen Quellen ein keltisch-britischer Kleinkönig aus dem 6. Jahrhundert stehen, der insgesamt zwölf Schlachten gegen die angelsächsischen Einwanderer gewann und in lateinischen Quellen als Ambrosius Aurelianus bezeichnet wurde.

Erst im Jahr 1138 formte der Geschichtsschreiber und Geistliche Geoffrey of Monmouth mit seiner "Historia regum Brittanniae" (Geschichte der Könige Britanniens) das Bild des legendären Königs Artus und damit den nationalen Mythos der Briten, eine Heilsgeschichte mit dem König und seiner Ritterrunde im Zentrum, die wiederum mit der europäischen Geschichte geschickt verwoben war und die Herkunft der Briten von den Trojanern ableitete. Erst bei ihm kommt Tintagel als Geburtsort des Königs ins Spiel. Geoffrey erwähnt auch einen König Aurelius Ambrosius. Ob es eine Verbindung zu dem historischen Ambrosius Aurelianus gibt, ist höchst umstritten. "In vorliterarischer Zeit ist man versucht, die wenigen bekannten historischen Fakten einzuordnen und auch miteinander in Beziehung zu bringen", sagt Simek. Denkbar wäre, dass Artus eine Art Beiname des Aurelius Ambrosius war, weil dieser angeblich immer eine Art Bärenfell als Mantel trug. In keltischen Namen war die Silbe "Art", Bär, sehr geläufig. "Aber das ist reine Spekulation", sagt Simek.

So bleibt unklar, ob es die historische Person eines Königs Artus überhaupt gegeben hat. Auch wenn Forschungsgeld mit dem Hinweis auf die Suche nach dem Artus-Schloss leichter eingeworben werden können, äußern sich die britischen Archäologen eher zurückhaltend über den legendären König. Wobei sie sich ihrer Rolle der Artus-Jäger bewusst sind: Sie haben zwei der Grabungsabschnitte auf Tintagel "Tristan" und "Isolde" genannt.

"Es könnte ein Sitz der Herrscher von Cornwall gewesen sein."

Immerhin erhellen die Ausgrabungen die Geschichte in den sogenannten Dark Ages, einer Zeit, als die römischen Besatzer Britannien verlassen hatten und die Bewohner den Angriffen der feindlichen Sachsen und Pikten ausgeliefert waren. Wenig war bislang über die dunklen Jahrhunderte bekannt, weder wie neue Herrscher das Machtvakuum der Römer füllten noch wie isoliert die Inselbewohner international lebten.

Auf Tintagel waren die Zeiten weniger dunkel als gedacht. Das feine Geschirr belegt einen hohen Lebensstandard. Die zahlreichen Knochenreste auf diversen Müllkippen der Insel zeigen zudem, dass auf der Burg offenbar auch üppig gespeist wurde. Nicht nur Kalb, Schaf, Ziege kamen auf den Teller, sondern auch Austern und sogar Tiefseefisch wie Kabeljau - was zeigt, dass die Technik zum Tiefseeangeln vorhanden gewesen sein muss. "Tintagel war also nicht nur ein Handelsplatz, um Olivenöl und Wein zu transportieren und zu verkaufen, sondern die Menschen tranken und feierten hier auch", sagt Win Scutt.

Und offenbar blieb es einige Jahrhunderte lang während der "Dark Ages" immer noch ein kulturell hochstehender Ort, an dem nach Abzug der Römer Anfang des 5. Jahrhunderts die römische Sprache und die Kultur der Antike erhalten blieb. Im vergangenen Sommer entdeckten die Forscher eine 60 Zentimeter lange, steinerne Fensterbank mit Inschriften. Der Stein ist der zweite mit Schriftzeichen darauf. Bereits 1998 war auf der östlichen Terrasse der sogenannte Artagnou Stein gefunden worden, eine Schieferplatte aus dem 6. Jahrhundert, welche die Artus-Diskussion damals ordentlich befeuert hatte.

Auf der Tafel findet sich der Name Artognou als Teil einer Art Inschrift, die Forscher des Celtic Inscribed Stones Project übersetzten: "Artognou, Abkömmling von Colianus, machte dies. Colianus machte dies." Manche Forscher brachten den Namen Artognou mit König Artus in Verbindung. "Er hat aber nichts mit Artus zu tun", sagt Scutt. Auch der amerikanische Historiker und Linguist John Koch bezweifelt den Zusammenhang. Michelle Brown, Expertin für mittelalterliche Schriften, hält aufgrund eines Symbols auf dem Stein sogar einen Bezug zum weströmischen Kaiser Honorius Augustus für möglich, damit wäre der Stein sogar noch deutlich älter als bislang angenommen.

Auch auf dem zweiten Stein fanden sich keine Hinweise auf Artus, dafür aber lateinische, griechische und keltische Wörter und christliche Zeichen. Experten der Universität London datierten ihn auf das 7. Jahrhundert. Neben dem römischen Namen Tito und dem keltischen Namen Budic ritzte jemand die lateinischen Wörter fili (Sohn oder Söhne) und viri duo (zwei Männer). Begeistert zeigen sich die Forscher auch angesichts der symbolhaften Zeichen, etwa einem griechischen Delta und einem "A" mit einem "V" im Inneren. "A" könnte für Alpha stehen und sich auf Gott beziehen. Michelle Brown erkennt anhand des Schreibstils einen "kompetenten Schreiber mit christlichem Hintergrund, der mit dem Schreiben von Dokumenten und Büchern vertraut war".

Schreiben war damals mit Sicherheit eine privilegierte Tätigkeit, die nur wohlhabende Menschen oder Mönche beherrschten. "Die Entdeckung dieses Steins stützt die Idee, dass Tintagel ein wichtiger, blühender Handelshafen und eine hochrangige Siedlung war", sagt Win Scutt. "Hier lebte eine gebildete Gemeinschaft. Es könnte ein Sitz der Herrscher von Cornwall gewesen sein." Es wäre, umtost von der mächtigen Brandung des Atlantiks, auf jeden Fall ein würdiger Ort für einen König.

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