Landwirtschaft:Lob und Erschütterung nach Gentechnik-Urteil

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Europäischer Gerichtshof: War die Entscheidung zur Gentechnik gut oder schlecht? Experten streiten. (Foto: dpa)
  • Der EuGH hat entschieden, dass Pflanzen, die mit neuen molekularbiologischen Methoden gezüchtet werden, besonders streng zu regulieren sind.
  • Der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland begrüßt die Entscheidung des EuGH, ebenso das Bundesministerium für Umwelt und das Bundeslandwirtschaftsministerium.
  • Kritik kommt hingegen von Pflanzenzüchtern und -forschern. Sie äußern großes Unverständnis für das Urteil, nicht zuletzt für die vorgeblich wissenschaftliche Begründung der Entscheidung.

Von Kathrin Zinkant, Berlin

Das Urteil war lange erwartet worden, doch mit dem Ergebnis hatte so recht keiner gerechnet. Pflanzenzüchter, Politiker, Wissenschaftler und Umweltverbände haben auffallend unterschiedlich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Gentechnik reagiert.

Der EuGH hatte am Mittwoch entschieden, dass Pflanzen, die mit neuen molekularbiologischen Methoden wie der Genschere Crispr-Cas gezüchtet werden, grundsätzlich als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) zu regulieren sind. Das gilt auch, wenn sich die Pflanzen nicht von konventionell gezüchteten Sorten unterscheiden.

Man dürfe sich aus einer Luxusposition des Überflusses "nicht dem Fortschritt verweigern"

Der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) begrüßte die Entscheidung. Heike Moldenhauer vom BUND teilte wenige Minuten nach dem Urteil mit: "Der EuGH hat das Vorsorgeprinzip bestätigt und den Schutz der Bürger sowie ihre Wahlfreiheit über die Gewinninteressen von Konzernen wie Bayer-Monsanto gestellt". Die Bundesregierung habe im Koalitionsvertrag "bezüglich der Gentechnik Wahlfreiheit garantiert". Das Urteil gebe dem Kabinett Rückenwind für dieses Ziel.

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Auch das Bundesministerium für Umwelt und das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) lobten den Urteilsspruch. Ein Sprecher des BMEL ließ mitteilen, dass der gesundheitliche Verbraucherschutz immer an erster Stelle stehe. Agrarministerin Julia Klöckner hatte sich zuvor noch dafür ausgesprochen, die nun als GVO regulierten Techniken nicht "reflexartig" abzulehnen. Gentechnik sei zu einem "verkürzten Kampfbegriff" geworden. Man dürfe sich aus einer Luxusposition des Überflusses "nicht dem Fortschritt verweigern".

So sehen es auch die Kritiker des Urteils. Vor allem Pflanzenzüchter und -forscher zeigten am Mittwoch und Donnerstag großes Unverständnis für das EuGH-Urteil, nicht zuletzt für die vorgeblich wissenschaftliche Begründung der Entscheidung. Der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter, der mehr als 130 größtenteils mittelständische Saatguthersteller und -händler vertritt, zeigte sich tief enttäuscht.

"Der EuGH ignoriert mit seinem Urteil die wissenschaftliche Bewertung der Experten europäischer und nationaler Behörden, nach der Pflanzen, die sich nicht von klassisch gezüchteten unterscheiden, nicht als GVO einzustufen sind", kritisiert die Vorsitzende Stephanie Franck. Man sehe in dem Urteil eine "deutliche Abkehr von Innovationen und Fortschritt in der Landwirtschaft".

Der Präsident der deutschen Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Jörg Hacker, sagte, "die Erforschung und Entwicklung vorteilhafter Pflanzen in Europa mittels Genome Editing" werde durch den Entscheid unattraktiv und bleibe künftig wohl "entweder ganz aus oder die Firmen wandern ab, beispielsweise in die USA, wo solche Pflanzen schon wie konventionell gezüchtete Sorten reguliert werden".

Die Leopoldina bleibe dem Mikrobiologen zufolge bei ihrer wissenschaftlich begründeten Meinung, dass "die neuen molekularen Züchtungsmethoden weitaus präziser und sicherer sind als nicht regulierte konventionelle Züchtungsmethoden wie die Strahlenmutagenese."

"Das Urteil wirft die anwendungsorientierte Forschung in Europa um Jahrzehnte zurück", sagte der Pflanzengenetiker Jens Boch von der Universität Hannover der Süddeutschen Zeitung am Donnerstag. "Für viele Projekte, in denen es um einen reduzierten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, um Trockentoleranz oder verbesserte Nährstoffzusammensetzungen geht, gibt es jetzt eigentlich keinen Grund mehr weiterzumachen".

Die Begründung des Gerichtshofs sei sehr wissenschaftsfremd. Dass Gene-Editing-Verfahren größere Risiken mit sich brächten als die auch in Zukunft nicht regulierten, alten Mutageneseverfahren, könne kein seriöser Forscher bestätigen.

© SZ vom 27.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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