Forschungsqualität:Zu jedem Vorurteil eine passende wissenschaftliche Studie

Spiderman

Wie gefährlich ist Spiderman für Kinder?

(Foto: dpa)

Eine Untersuchung warnt vor dem Einfluss von Superhelden auf Kinder. Es ist ein Phänomen unserer Zeit: Auch in Fachliteratur steht oft Unfug, doch Ideologie siegt über Vernunft.

Kommentar von Werner Bartens

Rrrrrums, klirr, boing. Ist doch klar, dass so was nicht gut sein kann. Rohe Gewalt, diese ewigen Prügeleien, überall Aggression. Davor muss man Kinder schützen. Wie sollen sie sich sonst zu friedliebenden, sozial kompetenten Erwachsenen entwickeln? Solche Fragen stellen sich nicht nur die selbstgestrickte Waldorf-Mutti und der homöopathische Veganer-Vater.

Schließlich hat die Wissenschaft ja festgestellt: Unter dem medialen Dauer-Bombardement von Ballerspielen, dem Killerkommando von nebenan und ab und zu einem Weltuntergang verwandeln sich wunde Kinderseelen in kurzer Zeit zu eiskalten Monstern.

Nun passt nicht nur auf jeden Topf ein Deckel, sondern auch zu jedem Vorurteil eine Studie

Gerade will eine Studie gezeigt haben, dass Vorschüler aggressiv werden und ihr Mitgefühl nachlässt, wenn sie regelmäßig Comicserien mit Superhelden sehen. Besonders Jungs natürlich. Und obwohl Superman, Spiderman, Captain America und Co. auch karitative Aufgaben übernehmen, prägt vor allem ihre Haudrauf-Mentalität die frühkindliche Psyche. Der Sinn für Gerechtigkeit und Nächstenliebe, der diesen Figuren auch zart eingeschrieben ist, färbt hingegen nicht auf Kindergartenkinder ab.

Nun passt nicht nur auf jeden Topf ein Deckel, sondern auch zu jedem Vorurteil eine Studie. Die unkontrolliert wuchernde Fachpublizistik hat gerade in den Lebenswissenschaften dazu geführt, dass in großer Zahl Artikel veröffentlicht werden, für die Attribute wie grober Unfug oder unerheblich den Rahmen abstecken. Wer lange genug sucht, wird für jede noch so obskure These und jedes gut abgehangene Vorurteil einen Beitrag finden, der sich wissenschaftlich gibt, dieses Etikett aber nicht verdient. Gegenargumente sind dann nicht mehr nötig, die Forschung hat es ja bewiesen.

Strengere Qualitätskriterien für Fachartikel sind deshalb wichtig und könnten Abhilfe schaffen. Mindestens so wichtig ist es aber, gerade in der Diskussion um neue Medien auf der Hut zu sein. In der Debatte um Video-Spiele, Handy-Apps oder Comic-Serien geht es häufig nicht mehr um fachliche Argumente, sondern um Ideologie.

Schon paradox: Die Generation, die mit Prügel-Orgien von Asterix & Obelix (Verrohung!) und Filmen von Bud Spencer (mitleidlose Gewalt!) aufgewachsen ist, sieht mit jedem neuen PC-Spiel und jeder Serie den Untergang der Zivilisation heraufziehen - und findet leider auch entsprechende Jahrmarktschreier in der Forschung und auf dem Markt der populären Sachbücher. Apropos Buch: Vielleicht hilft es, sich zu erinnern, dass vor Jahrhunderten vor einer neuen Seuche gewarnt wurden, die - so die Fachleute seinerzeit - zu "unaufhörlicher Ratlosigkeit der Seele, Trägheit und Widerwillen" führte. Es ging um die Lesesucht.

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