Forschungspolitik:Forscher müssen ständig publizieren - das schadet der Wissenschaft

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Heute werden junge Wissenschaftler schon während der Doktorarbeit angehalten, mehrere wissenschaftliche Publikationen zu produzieren.

(Foto: imago/Westend61)

Das Publikationswesen ist derart unübersichtlich geworden, dass Hochstapler und Betrüger leichtes Spiel haben. Aber auch seriöse Forscher fallen auf Raubjournale herein, der Druck auf sie ist zu groß.

Kommentar von Patrick Illinger

Wie kommt das Wissen in die Welt? Jahrzehntelang waren hierfür ehrwürdige Fachjournale zuständig, und noch heute wird das akademische Publikationswesen von Traditionsblättern wie Science und Nature angeführt. Doch der Ausstoß wissenschaftlicher Publikationen steigt exponentiell, die Marke von einer Million Veröffentlichungen pro Jahr ist bereits erreicht. Und fast täglich kommen neue, mittlerweile auch digitale Fachzeitschriften auf den Markt. Abgesehen von der Frage, wer dies alles noch überblicken soll: Ist das noch seriös?

Leider nein. Eine aufwändige Recherche von NDR, WDR und SZ zeigt, dass sogenannte Raubjournale alle Arten von Unsinn ungeprüft und sogar unbesehen publizieren. Unter seriösen Wissenschaftlern stoßen diese Journale zu Recht auf Verachtung. Doch ist das Publikationswesen derart unübersichtlich geworden, dass nicht nur Hochstapler und Betrüger, sondern auch seriöse Forscher den oft geschickt gemachten Raubjournalen auf den Leim gehen. Das gefährdet die Wahrnehmung von Wissenschaft in der Öffentlichkeit.

Wie konnte es dazu kommen? Ein Grund ist, dass traditionelle Wissenschaftsverlage ihr komfortables Geschäftsmodell überreizt haben. Sie garantieren zwar weitgehend wasserdichte Begutachtungsverfahren, doch verdienen sie ihr Geld damit, dass mit Steuermitteln bezahlte Wissenschaftler Inhalte liefern, die dann mit Steuermitteln finanzierte Universitäts- und Institutsbibliotheken abkaufen müssen. So verdienen die Wissenschaftsverlage doppelt, während die Wissenschaft sowohl die Arbeit macht als auch bezahlt.

Ein weiterer Grund ist aber auch der ungebremste Wildwuchs, der im wissenschaftlichen Publikationswesen herrscht. Die seriöse Wissenschaft trägt daran eine Mitschuld. Angetrieben vom Dogma "publish or perish" - zu Deutsch: (so viel wie möglich) publizieren oder untergehen - werden junge Wissenschaftler schon während der Doktorarbeit angehalten, mehrere wissenschaftliche Publikationen zu produzieren. In Berufungsverfahren spielen numerische Kenngrößen eine entscheidende Rolle: Wie viele Publikationen hat die Kandidatin oder der Kandidat erstellt, und wie oft wurden diese von anderen Publikationen zitiert?

Raubverleger nutzen die Naivität vieler Wissenschaftler aus, aber auch den Druck, möglichst viel zu publizieren. Sie täuschen selbst Spitzenforscher mit beeindruckend professionell gemachten Internetseiten - und bieten Hochstaplern, Betrügern und Lobbyisten die Möglichkeit, Quatsch und Unwahrheiten zu publizieren. Tatsächlich führt das dazu, dass Zigtausende völlig wertlose, aber professionell wirkende Publikationen in die Öffentlichkeit gelangen.

Solchen Raubverlegern die Grundlage entziehen könnte eine Art basisdemokratisches Publikationswesen. Auf Internetplattformen wie Arxiv können Wissenschaftler bereits seit einigen Jahren Rohfassungen ihrer Publikation wie auf einem Marktplatz vorstellen. Fachkollegen kritisieren, korrigieren und ergänzen diese dann. Das Problem daran ist, dass die gesamte Weltöffentlichkeit, Journalisten wie auch Politiker und Lobbyisten, die unreifen, ungeprüften Veröffentlichungen in die Hände bekommen und womöglich halbgare, falsche oder interessengeleitete Studienergebnisse weitertragen oder für ihre Zwecke nutzen.

Abhilfe kann letztlich nur eine Art Gütesiegel bieten, wie es zum Beispiel seriöse Online-Shops auszeichnet. Welcher Verlag und welches digitale Journal ein entsprechendes Siegel erhält, könnte ein von den achtbaren Wissenschaftsakademien der Welt eingesetzter Ausschuss entscheiden. Außerdem täte mehr Zurückhaltung seitens der Wissenschaft gut: Forscher sollten weniger statt noch mehr publizieren. Ein solches Umdenken müsste von der Wissenschaft selbst angestoßen werden.

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