Krebsforschung:"Jeder Patient soll wissen, dass er in Deutschland am besten aufgehoben ist"

Bundesministerin fuer Bildung und Forschung Anja Karliczek CDU Berlin 23 01 2019 Berlin Deutschl

Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek

(Foto: imago/photothek)

Bundesforschungsministerin Karliczek ruft zum Kampf gegen den Krebs auf. Für eine bessere Behandlung müssten Patienten mehr Informationen preisgeben.

Interview von Kathrin Zinkant

Richard Nixon hat es 1971 mit dem War on Cancer versucht, Barack Obama verkündete vor drei Jahren den Cancer Moonshot - jetzt will auch Anja Karliczek (CDU) mit einem Forschungsgroßprojekt gegen die Erkrankung vorgehen. Am Dienstag hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung gemeinsam mit Gesundheitsminister Jens Spahn in Berlin die Nationale Dekade gegen Krebs vorgestellt. Zehn Jahre gezielte Forschungsförderung sollen die Situation von Patienten in Deutschland verbessern.

SZ: Die Versprechen der Politik im Kampf gegen Krebs sind oft umfassend. Was ist Ihre Vision zur Nationalen Dekade?

Anja Karliczek: Immer noch ist Krebs in Deutschland die zweithäufigste Todesursache. Krebs macht Angst. Ich weiß das selbst aus der Familie, und so viele Menschen kennen das, Betroffene, Angehörige, Freunde. Das langfristige Ziel heißt: Heilung. Wir müssen uns auf dem Weg aber Zwischenziele stecken. Besser mit Krebs leben zu können, mehr Lebensqualität für die Erkrankten und die Angehörigen zu erreichen, das wären bereits Fortschritte.

Wie wollen Sie das erreichen?

Wir wollen, dass Patienten schneller von Forschungsergebnissen profitieren. Wir wollen aber auch umgekehrt Informationen, die vom Patienten kommen, wieder in die Forschung überführen. Eines unserer Ziele sind Netzwerke aus Forschung und Versorgung. Dadurch können Daten besser zusammengeführt und die heutigen Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz noch besser genutzt werden. Wir wollen dafür alle zusammenbringen, die Erkenntnisse über diese Krankheit haben - Forscher, Ärzte, Pfleger, Patienten, auch Stiftungen.

Wie viel Geld stellen Sie dafür bereit?

Wir richten uns hier sehr eng am Bedarf aus und starten mit einer Förderung von großen klinischen Studien über 60 Millionen Euro zum Start der Dekade. Wir werden im Lauf der Dekade entscheiden, wo unsere Förderung den größten Nutzen bringen kann. Wir geben aber bereits seit vielen Jahren viel Geld für die Krebsforschung aus. Wir fördern beispielsweise das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg seit fast 50 Jahren. Insgesamt fließen jährlich mehr als 200 Millionen Euro in die Krebsforschung. Das werden wir jetzt noch einmal erheblich aufstocken.

Und worum geht es inhaltlich?

Krebsfrüherkennung soll zum Beispiel verbessert werden. Hier gibt es ein Problem mit zu späten Diagnosen und auch mit Fehl- und Überdiagnosen, mit falschen Verdachtsdiagnosen. Künstliche Intelligenz kann hier helfen. Wenn man die Daten aus den Screenings zusammenbringt, und wenn man diese Daten wissenschaftlich gut aufarbeitet, lassen sich zutreffende Diagnosen besser stellen. Gerade, wenn es um bildgebende Verfahren geht. Und wir wollen Prävention insgesamt stärken.

Wo wird der Schwerpunkt liegen?

Krebs ist individuell. In der personalisierten Medizin bekommen wir jetzt den Fortschritt durch neue Technologien. Auch physikalische Anwendungen liefern neue Möglichkeiten, zum Beispiel Lasersysteme, die einzelne Krebszellen aufspüren können. Einen ersten konkreten Schwerpunkt setzen wir mit der Förderung großer klinischer Studien. Damit wollen wir die gängige Praxis in Prävention, Diagnose und Behandlung überprüfen. Die Empfehlungen, die daraus abgeleitet werden, können den Patienten direkt zugutekommen. Es ist das erste Mal, dass wir solche Studien in diesem Maßstab unterstützen.

Pk zum Berufsbildungsbericht 2018

Anja Karliczek, geboren 1971, absolvierte als Bankkauf- und Hotelfachfrau ein BWL-Fernstudium und zog zweimal per Direktmandat in den Bundestag. Seit 2018 ist sie Bundesministerin für Bildung und Forschung.

(Foto: dpa)

Sie sprechen viel von Beschleunigung. Doch Therapien müssen sorgfältig geprüft werden, bevor man sie anbietet.

Bisher gibt es nur den Weg aus der Forschung zum Patienten. Aber die Ergebnisse am Patienten wieder zurück zu spiegeln in die Forschung - was macht das Medikament? Wirkt es? All das soll schneller und effektiver werden, indem wir den Informationsaustausch stärken.

Ist das nicht genau das, was Studien leisten sollten, bevor neue Therapien oder Tests auf den Markt kommen?

Es geht uns nicht darum, durch Beschleunigung mehr Therapien auf den Markt zu bringen. Wir wollen Informationen bündeln und dadurch eine höhere Wirksamkeit erzielen. An so vielen Stellen werden Daten gesammelt, was aber bisher fehlt, ist eine Vernetzung dieser Informationen.

Genetische Analysen, um zum Beispiel bei Brustkrebs über eine Chemotherapie zu entscheiden, sind längst auf dem Markt, aber ein Nutzen ist oft nicht belegt. Kann Vernetzung daran etwas ändern?

Vernetzung kann helfen bei der Erkenntnis, wann etwas nützlich ist und wann nicht. Damit wollen wir keine Studien ersetzen, die durchgeführt werden, bevor ein Medikament oder eine Therapie auf den Markt kommt. Unser Ziel ist es, die Informationen, die wir heute an den Patientenbetten sammeln, zu nutzen, um bessere Ergebnisse erzielen zu können. Das ist ein Teil des Fortschritts, den wir jetzt schaffen können. Zehn Jahre sind ein guter Zeitraum, um sich darauf zu konzentrieren. Die Zeit, die in Projektförderungen meist vorgesehen ist, wäre zu kurz.

Eine Forschungsakte für jeden Patienten?

Können Sie ein Beispiel nennen?

Es geht darum, Muster zu erkennen. Dazu braucht man viele Daten der Person, welche Krankheiten hatte sie, wie wurde sie behandelt, und so weiter. Wir fördern bereits ein Projekt, das Daten - radiologische, genetische und weitere klinische Daten - von Patienten mit Leber-Bauchspeicheldrüsen-Tumoren zusammenführt. Diese Tumore sind derzeit nicht gut therapierbar, aber schnell anwachsend. Deshalb müssen Therapieentscheidungen schnell getroffen werden. IT-Lösungen helfen hier, ähnliche Krebsfälle zu entdecken und individuell passende Behandlungen zu ermöglichen.

2013 wurden zu diesem Zweck die klinischen Krebsregister eingeführt. Reichen die nicht aus?

Ich glaube, dass wir noch kleinteiliger werden müssen, um Differenzierungen herausfiltern zu können. Wir brauchen mehr Daten, als sie gegenwärtig in den klinischen Krebsregistern erfasst werden. Diese Register haben zwar inzwischen Standards entwickelt, an denen wir uns orientieren können. Allerdings benötigen wir mehr Details, auch in der Prävention, aus allen Bereichen - Ernährung, Bewegung, Alkoholkonsum, aber genauso Impfungen.

. . .wie jene gegen das HPV-Virus, die vor Gebärmutterhalskrebs schützt.

Wir fördern bereits Projekte, auf deren Grundlage eine Forschungsdatenbank entstehen kann. Mein Traum wäre, diese Art von Forschung noch viel mehr Patienten mit anderen Erkrankungen und ihren Familien ermöglichen zu können und diese Daten als Teil der Patientenakte zu nutzen.

Bekommt also künftig jeder Patient eine Krebsforschungsakte?

Das nicht. Aber wir brauchen Daten in einer gewissen Größenordnung, um zu Ergebnissen zu kommen. Ich gehe davon aus, dass ein Mensch, der selbst Krebs hat, oder auch ein Angehöriger aus der Familie, bereit wäre mitzumachen. Ich werde mich dafür einsetzen.

Um die Früherkennung datenbasiert zu verbessern, müssten auch von Screeningteilnehmern Daten gesammelt werden, also von gesunden Menschen.

Wenn wir sicherstellen können, dass die Daten ausschließlich zu medizinischen und zu Forschungszwecken genutzt werden, dann werden sich, davon bin ich überzeugt, viele Menschen beteiligen. Das ist ein wichtiger Punkt, die Daten müssen auf jeden Fall geschützt bleiben. Wenn man das alles gut erklärt und sagt: Mit einem mäßigen Aufwand können Sie sich daran beteiligen, die Früherkennung und Behandlung von Krebs zu verbessern, das wird intensiv zur Forschung eingesetzt, dann bin ich sehr optimistisch, dass das funktioniert.

Der letztjährige Nobelpreis hat erneut gezeigt, dass am Anfang jeder Therapie die Grundlagenforschung steht.

In der Grundlagenforschung ist eine Menge geleistet worden in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten, das ist ein Feld, auf dem wir in Deutschland sehr gut sind. Die Idee ist, aus diesen vielen Vorarbeiten - wie gesagt, das DKFZ arbeitet hier schon fast 50 Jahre - über die translationale Medizin zu zeigen: Jetzt geht es verstärkt in die Umsetzung, die Fortschritte kommen bei den Menschen an.

Rückt die Grundlagenforschung erst einmal in den Hintergrund?

Nein. Wir wollen die Krebsforschung zehn Jahre lang insgesamt stärken, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen und diese in die Breite zu tragen. Wenn wir feststellen, dass ein konkreter Bereich der Grundlagenforschung besonders gefördert werden muss, dann werden wir das tun. Vielleicht erscheint es vorerst auch sinnvoller, auf deutscher, aber auch auf europäischer und internationaler Ebene, Geld in Dateninfrastruktur zu stecken, die Vernetzung von Grundlagen- und Anwendungsforschung voranzutreiben.

Der Krebsatlas hat zuletzt gezeigt, dass Patienten in Deutschland noch nicht die optimale Behandlung erhalten.

Jeder Patient soll künftig wissen, dass er als Krebskranker in Deutschland am besten aufgehoben ist, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Das ist das Ziel.

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