Feinstaub und Stickoxide:Unterschätzte Gefahr

In einem Gutachten untersucht die Wissenschaftsakademie Leopoldina die Gefahr durch Luftschadstoffe. Stickstoffdioxid sei ein weit kleineres Problem als Feinstaub, schließen die Experten und fordern eine nachhaltige Verkehrswende.

Von Hanno Charisius

Bundeskanzlerin Angela Merkel bat die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina Ende Januar darum, sich erneut mit den Grenzwerten für Luftschadstoffe zu befassen. Die Akademie trommelte daraufhin 20 führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen, um sämtliche Erkenntnisse zu prüfen, die es derzeit zur Schädlichkeit von Feinstaub und Stickstoffdioxid gibt. Gut zwei Monate brauchten die Experten, bis sie an diesem Dienstag schließlich eine kompakte Zusammenfassung des Sachstands präsentierten.

Nur gut 50 Seiten umfasst das Dokument, das sich salopp so zusammenfassen lässt: Stickstoffdioxid (NO₂), das in großen Mengen von Dieselfahrzeugen ohne funktionierende Abgasreinigung ausgestoßen wird, ist ein Problem für die Gesundheit von Mensch und Umwelt - aber bei Weitem nicht das größte. Das Gremium hält die bestehenden NO₂-Grenzwerte für ausreichend, um die Menschen vor negativen Folgen des Gases zu schützen, das bei langfristiger Belastung Krankheiten wie Asthma hervorrufen kann. Die EU-Grenzwerte orientieren sich an den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO aus dem Jahr 2005. Die Richtwerte basieren auf Laborstudien an Zellen und Tieren, Untersuchungen an Menschen sowie epidemiologischen Studien. Für 2020 plant die WHO eine Neufassung.

Weitaus kritischer sehen die Leopoldina-Expertinnen und -Experten den derzeitigen Umgang mit Feinstaub, hier seien strengere Richtlinien angezeigt. Als Faustregel gilt: Je kleiner, desto gefährlicher sind die Partikel. Feinstaub könne insgesamt die Sterblichkeit erhöhen, Erkrankungen der Atemwege, des Herz-Kreislauf-Systems, Diabetes und Lungenkrebs verursachen, heißt es in der Stellungnahme. Die extrem feinen Partikel des Ultrafeinstaubs können "in den Blutkreislauf gelangen und auf diesem Weg weitere Gesundheitsstörungen auslösen".

Der Verkehr ist jedoch nur eine von vielen Feinstaubquellen. Eine "bundesweite, ressortübergreifende Strategie zur Luftreinhaltung" sollte dem Gutachten zufolge weitere Schadstoffe aus allen Quellen berücksichtigen - "darunter auch Landwirtschaft und Holzfeuerung".

Software-Updates und Hardware-Upgrades können nur einen kleinen Beitrag leisten

Die Wissenschaftler bringen zudem eine weitere Abgaskomponente ins Gespräch, die in der aktuellen Grenzwert-Debatte oft vernachlässigt wird: das klimaschädliche Kohlendioxid, CO₂. Durch seinen Beitrag zur Erwärmung des Weltklimas gefährdet das ungiftige Gas indirekt Menschenleben. Daher sei es nicht empfehlenswert, auf Benziner statt Dieselmotoren umzusteigen. Klassische Ottomotoren produzieren zwar weniger NO₂, dafür aber mehr CO₂. Im Gegensatz zu den anderen Schadstoffen ist der Ausstoß von CO₂ durch Fahrzeuge in den vergangenen Jahren weiter gestiegen weil der Verkehr enorm zugenommen hat.

Auch aus diesen Gründen sei "eine nachhaltige Verkehrswende geboten, die systematisch betrieben werden sollte", heißt es in der Stellungnahme der Leopoldina. Software-Updates und Hardware-Upgrades einiger Dieselfahrzeuge könnten dabei nur einen kleinen Beitrag leisten. "Um die Gesamtemissionen zu reduzieren, genügt es nicht, die Emissionen pro Fahrzeug zu verringern. Vielmehr sind neue Mobilitätskonzepte vor allem in städtischen Ballungsräumen notwendig."

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