Evolution des Menschen:Aufrecht auf dem Ast

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Bislang hatte man angenommen, der Gang auf zwei Beinen habe sich bei unseren Vorfahren in der Savanne entwickelt. Tatsächlich aber war das ganz anders, vermuten britische Wissenschaftler.

Marcus Anhäuser

Das Bild ist ein Klassiker: Eine Reihe sich vom Boden aufrichtender menschlicher Vorfahren - ganz rechts steht aufrecht der moderne Mensch, Homo sapiens.

So beliebt das Bild ist, Evolutionsforscher mögen es nicht, weil es einen falschen Eindruck vermittelt. Es sieht aus, als habe sich der Mensch in einer geraden Linie von seinen äffischen Vorfahren auf vier Füßen bis in die Gegenwart ohne Umwege entwickelt. Tatsächlich führte der Weg über verschlungene Seitenäste, und mancher angebliche Vorfahre entpuppte sich als evolutionäre Sackgasse.

Die populäre Ahnenreihe weist einen weiteren Fehler auf, wenn die neueste These zur Evolution des aufrechten Ganges stimmt, die Forscher im Fachmagazin Science vorstellen (Bd.316, S.1328, 2007).

Die menschlichen Urahnen mussten sich demnach nicht aus dem Staub der Savanne von ihren vier Füßen erheben, um auf zwei Beinen zu gehen. Die Vorfahren von Homo sapiens und den Menschenaffen lernten die Grundbegriffe des Gehens auf zwei Beinen in den Bäumen. Als der Wald sich lichtete, brauchten sie nur vom Baum zu steigen und auf zwei Beinen weiterzugehen.

Das schlägt ein Forschertrio um Susannah Thorpe von der britischen University Birmingham vor. Wenn das stimmt, wäre der aufrechte Gang des Menschen keine einzigartige evolutionäre Erfindung der Gattung Homo, sondern eine traditionelle Fortbewegung. "Sich auf allen Vieren fortzubewegen und den Körper auf die Fingerknöchel zu stützen wie Schimpansen und Gorillas, das war die eigentliche Innovation", sagt Susannah Thorpe.

Die These stellt die Vorstellung von der Evolution des aufrechten Ganges auf den Kopf. Auch wenn sich Paläoanthropolgen uneinig sind, was menschliche Vorfahren zum aufrechten Gang trieb - die offene Savanne, das Sozialverhalten, freie Hände für besseren Transport oder ein Leben am Wasser - eines schien klar zu sein:

Die menschlichen Vorfahren verließen die Bäume auf vier Füßen, als sich die Urwälder im Miozän vor 24 bis fünf Millionen Jahren lichteten, weil das Klima ständig zwischen trockenen und feuchten Phasen wechselte.

Erst die menschliche Entwicklungslinie am Boden erfand das Gehen auf zwei Beinen über lange Strecken. Das zweibeinige Dahinwackeln moderner Menschenaffen war nur der klägliche Beleg dafür, dass diese Gruppe sich in punkto Fortbewegung am Boden nicht wesentlich weiter entwickelt hatte, seit Mensch und Affe evolutionär eigene Wege gingen.

Lebende Belege

Anders als sonst belegen die Forscher ihre Idee nicht mit fossilen Knochen oder versteinerten Spuren. Sie folgten ein Jahr lang Orang-Utans in der Urwaldlandschaft des Gunung Leuser Nationalparks auf Sumatra. "Orang-Utans auf Sumatra verbringen die meiste Zeit auf Bäumen und vor allem ist ihre Bewegungsart dem Menschen ähnlicher als die von Schimpansen, Bonobos oder Gorillas", schreiben Thorpe und Kollegen.

Die Affenforscherin wertete fast 3000 Beispiele von Orang-Bewegungen auf Bäumen aus. Die Tiere wanderten häufig auf zwei Beinen von Ast zu Ast und stützten sich dabei mit den Händen ab. (Siehe Video von RH Crompton.)

Die statistische Auswertung belegte den entscheidenden, evolutionären Vorteil des aufrechten Ganges: "Abgestützt und auf zwei Beinen erreichen die Orang-Utans die süßesten Früchte an den äußeren, dünnen Ästen im Dach der Bäume", sagt Thorpe.

Die Hälfte der Zeit hangelten sich die Orangs zwar durch die Äste, während sie sich nur in zwölf Prozent der Fälle auf zwei Beinen abgestützt bewegten. Der aufrechte Gang habe gegenüber anderen Fortbewegungsarten aber einen entscheidenden Vorteil: "Es ist sicher und gleichzeitig hat man die Hand frei."

Das Problem mit den besten Leckerbissen an den dünnen Ästen müssten schon die gemeinsamen Vorfahren der Menschenaffen und der menschlichen Urahnen gehabt haben. Das mache es sehr wahrscheinlich, dass diese auf zwei Beinen und abgestützt durch die Hände durch das Kronendach kletterten, so die Forscher. Die menschliche Linie führte den aufrechten Gang einfach in der Ebene weiter. Die Gorilla- und die Schimpansenlinie entwickelten die Fortbewegungsarten auf vier Füßen am Boden, während Orang-Utans Südostasiens sich darauf spezialisierten auch weiterhin von Baum zu Baum zu hangeln.

Der Erklärungsansatz bietet eine Lösung für etliche Fragen zur Evolution des aufrechten Ganges. "Wenn Zweifüßigkeit auf Bäumen entstand, muss man nicht mehr erklären, wie die Evolution durch das Stadium der ineffiziente Fortbewegungsart kam, wie wir sie von den Schimpansen kennen", schreiben Paul O'Higgins und Sarah Elton in Science. Es erkläre zudem, warum viele der frühen Menschen verhältnismäßig lange Arme haben. Es sind Relikte des aufgestützten Kletterns auf zwei Beinen in Bäumen wie es Orangs heute noch formvollendet zeigen.

© SZ vom 1.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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