15 Jahre nach Tschernobyl:Spätfolge Schilddrüsenkrebs

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Experte Jacob verweist auf den Zusammenhang zwischen kranken Kindern und dem Gau

(SZ vom 26.4.2001) - Als Spezialist für Risikoanalyse im Institut für Strahlenschutz des GSF-Forschungszentrums in Neuherberg bei München war Peter Jacob mehrmals in den vom Reaktor-Unfall betroffenen Gebieten. Tina Baier sprach mit ihm über die Lebensbedingungen 15 Jahre nach dem Gau.

SZ: Wie viele Menschen sind noch einer erhöhten Strahlenbelastung ausgesetzt?

Jacob: Etwa 200000 Menschen in Weißrussland, Russland und der Ukraine werden jährlich mit einer Strahlendosis von mehr als einem Milli-Sievert belastet. Zum Vergleich: In Deutschland sind Gebiete mit solchen Werten gesperrt - zum Beispiel Regionen, in denen früher Uran abgebaut wurde.

SZ: Wie hoch ist die Strahlenbelastung genau?

Jacob: Das kann in bestimmten Regionen auf bis zu zehn Milli-Sievert hochgehen. In der Ukraine werden die Menschen vor allem durch verstrahlte Milch, so wie durch Pilze, Beeren und Wildfleisch belastet. Viele Menschen auf dem Land sind auf Nahrung aus den Wäldern angewiesen, um zu überleben. In Russland und Weißrussland spielt die Strahlenbelastung von außen durch radioaktives Cäsium im Boden eine große Rolle.

SZ: Welche gesundheitlichen Folgen hat das?

Jacob: Eindeutig nachgewiesen ist ein Anstieg von Schilddrüsenkrebs, bei denjenigen, die als Kinder und Jugendliche einer erhöhten Strahlung ausgesetzt waren. In Weißrussland sind 1300 Fälle bis Ende 1999 registriert. In einem vergleichbaren Zeitraum vor dem Unfall waren es nur 140 Fälle. Unsere Studien haben außerdem ergeben, dass die Zahl der Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Kindern schon bei einer Belastung von 0,05 Sievert ansteigt. Vorher hat man gedacht, dass der kritische Wert höher liegt.

SZ: Bemühen sich die betroffenen Länder, die Strahlenbelastung zu mindern?

Jacob: Am meisten wird in Weißrussland getan. Sechs Prozent des Staatshaushalts werden dort nach offiziellen Angaben für die Bewältigung der Folgen des Tschernobyl-Unfalls aufgewendet. In Russland hat man bis in die frühen neunziger Jahre auch sehr viel unternommen. Doch dann haben sich die finanziellen Verhältnisse verschlechtert und das Engagement wurde zurückgefahren. Als Folge ist die Strahlenbelastung in einigen Regionen wieder angestiegen - in Extremfällen um bis zu 50 Prozent.

SZ: Was kann man überhaupt tun?

Jacob: Vor allem in Weißrussland pflanzt man auf den Weiden spezielle Grassorten, die radioaktives Cäsium weniger stark aufnehmen als andere. In hochkontaminierten Dörfern und um Kindergärten herum wird die oberste radioaktiv verseuchte Erdschicht abgetragen und in Löchern außerhalb des Dorfes vergraben. Teilweise werden auch die Dächer neu gedeckt.

SZ: Ist das genug?

Jacob: Die Internationale Strahlenschutzkommission geht davon aus, dass bis zu einer Belastung von zehn Milli-Sievert pro Person und Jahr eigentlich überhaupt keine Gegenmaßnahmen erforderlich sind. Wenn man diesen Maßstab anlegt, wird genug getan. Doch aus meiner Sicht wird das ohnehin knappe Geld oft nicht sinnvoll eingesetzt - etwa für Entschädigungszahlungen statt für Dekontamination.

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