100 Jahre Jacques-Yves Cousteau:Jenseits der Schnorcheltiefe

Vor 100 Jahren wurde der Unterwasser-Pionier, Filmer und Selbstvermarkter Jacques-Yves Cousteau geboren. Der autodidaktische Meereskundler war beliebt. Doch die Anerkennung etablierter Wissenschaftler blieb ihm verwehrt.

Hanno Charisius

Das rote Seemannsmützchen auf dem Kopf, die bemerkenswerte Nase im Wind, Zigarette im Mund - in dieser Pose kennt eine Generation von Fernsehzuschauern Jacques-Yves Cousteau, den Mann, der den Fernseher in ein Bullauge verwandelte, durch das die Menschheit zum ersten Mal in die Welt unterhalb des Meeresspiegels schauen konnte.

Jacques Cousteau

Die Liste der Verdienste des Meeresforschers Jacques-Yves Cousteauist lang. Allerdings ist auch die Zahl seiner Fehltritte sehr groß.

(Foto: AP/The Cousteau Society)

Die Liste seiner Verdienste ist lang. Die Zahl seiner Fehltritte ist allerdings auch so groß, dass man sich heute wundert, wie dieser Mann zu einer Ikone der Meeresforschung aufsteigen konnte.

Zu Lebzeiten war Cousteau, der vor 100 Jahren geboren wurde, laut Umfragen jahrelang der beliebteste Landsmann der Franzosen. Nur der Priester Abbé Pierre, der sich für die Ärmsten engagierte, konnte ihn zeitweise auf den zweiten Rang verwiesen.

Er beriet Weltbank, Uno und Unesco. Er wurde mit dem Nationalen Verdienstorden ausgezeichnet, war Ehrendoktor der Harvard Universität. Cousteau drehte mehr als 100 Dokumentarfilme. Drei Mal wurde er mit dem Oscar geehrt. 250 Millionen Menschen verfolgten die Episoden seiner in den 1970ern gesendeten TV-Serie "Geheimnisse des Meeres", er schrieb Dutzende Bücher und verwandelte die Meeres-Biologie von einem exotischen Fach in ein Modestudiengang.

Nur eines hat er nicht geschafft: Die Anerkennung der etablierten Meereswissenschaftler blieb ihm verwehrt. Die Akademiker begegneten dem begnadeten Selbstdarsteller mit Argwohn, sie betrachteten ihn als Wilderer, mit dem die Phantasie durchgegangen war.

So träumte Cousteau von operativen Eingriffen, mit denen sich Menschen zu Unterwasseratmern umbauen lassen sollten sowie von riesigen Unterwassersiedlungen, die von Menschen bewohnt werden sollten. Dennoch: Was das breitere Publikum zu dieser Zeit über die Meere wusste, hatte es durch die Filme Cousteaus gelernt.

Eigentlich wollte er Pilot werden

Am 11. Juni 1910 kam Jacques-Yves Cousteau in einem Städtchen nahe Bordeaux als Sohn eines Rechtsanwalts auf die Welt. Eigentlich hatte er Pilot werden wollen, doch schwere Verletzungen bei einem Autounfall vereitelten den Plan.

Auf dem Land wollte er dennoch nicht bleiben und entwickelte rasch eine unbändige Begeisterung für die Unterwasserwelt, die bis zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend unerforscht war. 1933 trat er der französischen Kriegsmarine bei und verließ sie erst 1956 im Rang eines Korvettenkapitäns.

Weiter als auf Schnorcheltiefe waren die Meere noch nicht erforscht, als Cousteau vor mehr als einem halben Jahrhundert begann, mit Kameras in die Tiefe abzutauchen und zunächst schwarz-weiße, später farbige Bilder mitbrachte, die die Welt verzauberten.

Doch bevor es soweit war, musste der autodidaktische Meereskundler lernen, unter Wasser zu atmen. "Wer Fische studieren will, muss am besten selbst zum Fisch werden", sagte Cousteau und brachte Mitte der 1940er-Jahre zwei französische Ingenieure dazu, mit ihm zusammen den vom österreichischen Taucher und Dokumentarfilmer Hans Hass ersonnenen Lungenautomaten weiterzuentwickeln, der es erstmals ermöglichte, Luft aus Pressluftflaschen zu atmen.

Er entwickelte wasserdichte Gehäuse für Kameras - dann stand der Expedition in die Tiefe nichts mehr im Wege. So ausgerüstet stürzten sich er und seine Männer ins Meer. Ihr Credo: "Lasst uns schauen gehen." Mit diesen beiden technischen Neuerungen eroberte Cousteau die Welt unter Wasser.

Das ist unbestritten sein größter Verdienst für die Meeresforschung. Cousteau war nicht nur Taucher, Filmer und Abenteurer, sondern auch ein begnadeter Bastler. Eine Mischung, die wahrscheinlich notwendig ist, wenn man zwischen Haien und Walen überleben will.

Cousteau "Le Commandant"

Von 1951 an kreuzte Cousteau mit seinem Forschungsschiff Calypso, einem umgebauten Minensuchboot, das ihm die irische Brauerei Guinness gesponsert hatte, auf den Weltmeeren. Mit den Jahren verfeinerte er die Tauchtechnik und baute seine Flotte aus. Es kamen zwei weitere Schiffe hinzu, einige Tauchboote, darunter sein bekanntestes, das aussieht wie eine tauchende Untertasse.

Die meiste Zeit verbrachte er jedoch am Bord der Calypso, auf der strenge Hierarchie herrschte und er, "Le Commandant", bisweilen Mannschaftsmitglieder ohne Abendessen ins Bett schickte, wenn sie nicht nach seiner Pfeife tanzten.

Über sein Verhältnis zu dem Schiff sagte der nicht zu Bescheidenheit neigende Tauchpionier: "Ich habe viele Häuser, aber die Calypso ist mein Zuhause." Dort lebten auch seine Frau Simone - von der Mannschaft "la bergère", die Schäferin, genannt - und die beiden Söhne Jean-Michele und Philippe oft mehrere Monate im Jahr.

Doch der hagere Kerl mit der roten Mütze, der sich im Wasser geschmeidig bewegte, hatte an Land nicht nur Bewunderer. Über seinen Umgang mit seiner Frau Simone wird Vieles kolportiert. Fest steht allerdings, dass er ein halbes Jahr nach ihrem Tod im Juni 1991 seine langjährige Geliebte Francine heiratete, mit der er zu diesem Zeitpunkt bereits die Kinder Diane und Pierre-Yves gezeugt hat.

Tatsache ist auch, dass der Kommandant seinen ältesten Sohn verklagte, weil der den Familiennamen als Werbung für ein Urlaubsresort auf den Fidschis benutzt hatte. Cousteau Senior unterlag. Oft wird der Selfmade-Forscher mit Bernhard Grzimek, dem Verhaltensforscher und Tierfilmer, auf eine Stufe gestellt. Vielleicht wäre Reinhold Messner der bessere Vergleich.

Der Tierschutz war damals noch nicht so weit wie heute

Unklar ist bis heute, ob die Calypso nicht gelegentlich für den französischen Nachrichtendienst unterwegs war. Unklar ist auch, welche Rolle Cousteau im deutsch besetzten Frankreich während des Zweiten Weltkriegs gespielt hat. Er wurde zwar mit einem Orden für seine Arbeit im Widerstand dekoriert, es gibt jedoch Hinweise darauf, dass er antisemitische Standpunkte geäußert hat und sich gut mit den Deutschen und dem Vichy-Regime verstanden haben soll.

Kein Geheimnis war hingegen, dass er während der Dreharbeiten ab und an Tiere quälen ließ, damit er die Szenen gemäß seiner Vorstellungen drehen konnte. Dass der Tierschutz in den 1950er-Jahren nicht so weit war wie heute, zeigt sich auch in seinen Filmen. Seine Leute ließen sich von Riesenschildkröten über eine Insel tragen.

Einmal näherte sich die Calypso einer Walkuh mit Kalb. Vor laufender Kamera wurde das Jungtier plötzlich von der Schiffsschraube erfasst. Ein anderes Mal lässt Cousteau ein Riff sprengen, um anschließend die nun leblose Artenvielfalt bestimmen zu können. Und er filmt, wie seine Leute Haie abschlachten, "die Todfeinde der Taucher".

Dennoch gilt Cousteau heute als der Mann, der sich vorbildlich für den Erhalt der Meere eingesetzt hat. Was ihm von kritischen Biographen allerdings als geschicktes Marketing und Geschäftemacherei ausgelegt wird. Tatsächlich konnte Cousteau wie kaum ein anderer über Jahre hinweg beobachten, wie die Meere immer schmutziger wurden. Da er es für unausweichlich hielt, dass der Mensch einst wieder im Meer leben würde, muss ihn das mehr geschmerzt haben, als seine Kritiker ihm zugestehen wollten.

1996 sank die Calypso nach einer Kollision vor Singapur. Das Schiff wurde geborgen und wartet seither auf seine Restaurierung. Am 25. Juni 1997 starb Jacques-Yves Cousteau friedlich im Bett. Er wurde im Familiengrab in der Nähe von Bordeaux beigesetzt.

Er hinterließ außer vielen Büchern, Filmen und der Begeisterung für die Unterwasserwelt auch das halbfertige Hightech-Boot Calypso II, eine Stiftung, in deren Online-Shop man sich rote Seemannsmützen bestellen kann, und einen leeren Sessel in der Académie Française, die ihn bereits 1989 durch die Aufnahme in ihre Reihen zum "Unsterblichen" gemacht hatte. Am heutigen Freitag wäre der Kommandant 100 Jahre alt geworden.

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