20. Klimakonferenz in Lima:Der letzte Anlauf

Klima oder Strompreis

Bis 2020 werden weltweit wohl zehn Gigatonnen Kohlendioxid mehr ausgestoßen, als es der Kampf gegen die Erderwärmung erlaubt.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)
  • In Perus Hauptstadt Lima findet kommende Woche die 20. Klimakonferenz der Vereinten Nationen statt - dazu werden Delegationen aus 195 Staaten erwartet.
  • Erste Verhandlungstexte gibt es schon, die Chancen auf eine Einigung stehen gut.
  • Neben nationale Ziele soll eine regelmäßige Überprüfung treten: Strengen sich die Staaten nicht genug an oder sind ihre Ziele zu lasch, müssen sie nachlegen.

Von Michael Bauchmüller

Der Schlitten im Schuppen, die Rentiere grasen. Keine Geschenke. "Der Weihnachtsmann", sagt Anders Levermann, "wird nicht mehr am Nordpol wohnen können. Das ist für dieses Jahrhundert ganz klar." Nicht nur Levermann, der am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung arbeitet, erwartet ein rapides Schmelzen des arktischen Eises in den nächsten Jahrzehnten. Umstritten ist allenfalls, wann genau der Weihnachtsmann auswandern sollte - und wohin. In der Westantarktis und auf Grönland sieht es auch nicht gut aus. "Wir müssen uns auf Überraschungen einstellen", sagt er.

So liegen die Dinge zu Beginn der mittlerweile 20. Klimakonferenz der Vereinten Nationen: Die Befunde sind klar. Vor vier Wochen erst hat der Weltklimarat seinen fünften großen Bericht vorgelegt, er bekräftigt alte Gewissheiten. Unbestreitbar nehme die Erderwärmung zu, schließen die Forscher, und damit auch das Risiko extremer Wetterereignisse. Und mit allergrößter Wahrscheinlichkeit hat das die Menschheit selbst erwirtschaftet.

In Perus Hauptstadt Lima tritt die Menschheit nächste Woche zusammen, zumindest die Regierungsvertreter tun es. Delegationen aus 195 Staaten werden erwartet. Ein weiteres Kapitel in einem zähen Prozess, der Jahr für Jahr von denselben Befunden, den gleichen Appellen begleitet wird - ohne dass sich viel ändert. Die Treibhausgas-Emissionen steigen und steigen.

Doch dieses Mal ist vieles anders.

Geld für den internationalen Klimafonds sprudelt

Ein Jahr bevor in Paris ein neues Klimaabkommen geschlossen werden soll, gibt es plötzlich Bewegung. Die Europäer haben sich, ungeachtet aller Widerstände aus Osteuropa, doch noch auf ein Klimaziel für die Zeit nach 2020 geeinigt. Die USA und China, die größten Bremser im Klimaschutz, wollen plötzlich gemeinsam die Erderwärmung bekämpfen; Indien räumt starre Positionen von gestern. Selbst das Geld für den internationalen Klimafonds sprudelt: Knapp zehn Milliarden Dollar brachte kürzlich eine Geberkonferenz in Berlin. Erstmals hat der Fonds damit Geld, um Klimaschutz zu fördern. "Wir haben eine grundlegend andere Situation, als wir sie vor Kopenhagen hatten", sagt Karsten Sach, Deutschlands Chef-Unterhändler bei den Verhandlungen. "Klimaschutz ist in allen Staaten als politische Priorität angekommen."

Kopenhagen. Die gescheiterte Klimakonferenz 2009 wirkt heute noch nach. Auch damals sollte der große Durchbruch gelingen, ein neues globales Abkommen sollte das "Kyoto-Protokoll" ersetzen. Misstrauisch taktierten die Mächtigen dort bis zum Schluss - und reisten schließlich mit leeren Händen ab. Doch die Fehler lagen nicht in Kopenhagen allein, sondern schon in der Vorbereitung. Die Staaten hatten sich alle strittigen Fragen bis zum Schluss aufgehoben. Am Ende waren es so viele, dass keiner sie mehr in einer Nachtsitzung beantworten konnte. Das soll diesmal anders laufen. Es ist der letzte Anlauf.

Die Voraussetzungen sind gut. Erste Verhandlungstexte gibt es schon, sie werfen viele wichtige Fragen auf - zu klären binnen zwei Wochen in Lima. Die Milliardenspritze für den Klimafonds dürfte das Zutrauen der Entwicklungsländer stärken, schließlich griffen alle wichtigen Industriestaaten dafür in die Tasche. Und offenbar sind auch alle wichtigen Staaten bereit, bis zum März eigene Ziele und Pläne für den Klimaschutz vorzulegen. Diese Pläne sollen die Basis des Pariser Abkommens bilden.

Jeder Staat soll in Lima seine eigenen Ziele vorstellen

Dahinter steht ein fundamentaler Strategiewechsel. Hatten die Staaten 1997 im Kyoto-Protokoll erst festgelegt, wie stark die Emissionen sinken sollen und dies dann auf die Industriestaaten heruntergebrochen, dürfte es in Zukunft genau andersherum laufen: Jeder Staat schlägt vor, was er zu tun gedenkt - und die Summe aller nationalen Pläne soll am Ende den Anstieg der Treibhausgase in Schach halten.

Aber reicht das? "Wir wissen jetzt schon, dass es nicht genügt", sagt Christiana Figueres, die Chefin des UN-Klimasekretariats in Bonn. Deshalb soll neben die nationalen Ziele eine regelmäßige Überprüfung treten. Sie gleicht ab, ob sich mit den schönen Zielen auch das eine große Fernziel erreichen lässt, die Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad. Strengen sich die Staaten nicht genug an, oder sind ihre Ziele zu lasch, dann müssen sie nachlegen. "Eine echte Herausforderung", sagt Figueres. Die Lücke ist riesig: Schon in den sechs Jahren bis 2020 emittieren die Staaten voraussichtlich zehn Gigatonnen Kohlendioxid mehr, als der Kampf gegen die Erderwärmung erlaubt, hat die UN-Umweltorganisation Unep errechnet. Zehn Gigatonnen, das sind zehnmal die jährlichen Emissionen Deutschlands.

Eine knifflige Aufgabe

Doch die heiklen Fragen gehen weit darüber hinaus. Wenn nämlich die Staaten eigene Pläne für den Klimaschutz vorlegen, wer soll dann wie messen, was das für den Klimaschutz wirklich bringt? Wie lässt sich der Schutz von Regenwäldern in Brasilien vergleichen mit einem Energieeffizienz-Plan Vietnams oder den Anti-Kohle-Regeln der USA? Die Konferenz in Lima soll auf diese Fragen eine Antwort geben, es wird vermutlich ihre kniffligste Aufgabe. "Die Frage ist, ob da Äpfel mit Birnen verglichen werden oder mit Äpfeln", sagt Martin Kaiser, der für Greenpeace die Verhandlungen verfolgt. "Letztlich sind das hochpolitische Entscheidungen."

Hochpolitisch auch deshalb, weil von solchen Klärungen am Ende abhängt, wie viel das "Paris-Protokoll" überhaupt wert sein wird. Zwar sollen sich die Staaten Ende 2015 in Paris auf den Klimaschutz und auf einen entsprechenden Mechanismus völkerrechtlich verbindlich verpflichten - nicht aber auf konkrete Klimaschutz-Zusagen für die nächsten Jahre. Dies würde in den USA absehbar am Kongress scheitern. Auch Peking hält davon wenig.

Schon in Lima wird es deswegen darum gehen, wie ein künftiges Abkommen überhaupt Zähne bekommen soll; wie sich Zusagen kontrollieren, messen, verifizieren lassen. Und wie daraus am Ende ein Pfad wird, der halbwegs zu dem Ziel führt, das die Wissenschaft verlangt - der Beschränkung der Erderwärmung auf höchstens zwei Grad. Nicht nur wegen Weihnachten.

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