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Im Home-Office blüht der Eskapismus - und bringt höchst seltsame Früchte hervor. Die Kollegen sieht man nur noch selten in Videokonferenzen. Umso mehr kann man dafür Fotos ihrer Heimschreibtische bewundern, die sie posten.

Von Marc Beise

Richtig harte Zeiten sind das jetzt, aber immerhin, die Sache mit dem häuslichen Arbeiten: läuft. Was früher auf gelegentliches Unverständnis stieß ("Allein zu Hause, nur mit dem Notebook? Ich könnte das nicht!"), klappt immer besser. Selbst wer sich zunächst noch aus Gewohnheit in die fast menschenleere Firma geschleppt hatte, kommt nun im, Achtung Wortwitz, Rödelheim (Gruß nach Hessen!) ganz gut zurecht. In den Orga-Listen steht immer häufiger HO, für Home-Office. Sogar die firmenamtliche Schreibweise ist verinnerlicht: nicht in einem Wort, aber auch nicht unverbunden nebeneinander, sondern gekoppelt, eben: Home-Office. Warum so? Keine Ahnung.

Dennoch ist das Bindestrichleben a bissle fad, und die tägliche Audiokonferenz lindert nicht die Einsamkeit. Gelegentlich wird man - es sind die kleinen Dinge, die Freude machen - zu einer Video-Konferenz eingeladen. Da sind sie dann wieder, die lieben Kollegen, auch ein paar nicht so liebe. Wenn der Typ, der auch sonst so viel redet, schon wieder das Mikrofon hat, schaltet man selbst auf stumm und lässt den Blick schweifen. Wissen die alle, dass sie vor dem ewig gleichen weißen Billy-Regal sitzen?

Neuerdings gibt es sogar, Idee aus der Morgenschalte, ein eigenes Postfach für die Banalitäten des Alltags, ein wenig Eskapismus in der Krise. Erst wurden Witze geteilt, Toilettenpapier-Videos oder auch mal die heimische Topfpflanze gepostet. Dann machte sich ein Kollege frei, sozusagen, und zeigte seinen Arbeitsplatz. Mutig, dachte man erst, aber gleich folgte, als würden Dämme brechen, Foto auf Foto. Die Sitzecke in der Küche, Eiche rustikal. Ein Balkontisch im Schlafzimmer. Die Schreibplatte, die schon in New York gestanden hat, das vor Jahren mal selbst abgebeizte gute Teil, der Laptop auf dem Couchtisch - schlechte Körperhaltung, Frau Kollegin!

Nur einer zierte sich, im Team als Messie bekannt. Bis auch er, Gruppenzwang!, einen, nun ja: leidlich aufgeräumten Arbeitsplatz ins Netz stellte. Wobei sich, bei näherer Betrachtung, die Papierstöße auf den Boden verlagert haben. Deutschland digital, da geht noch was.

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