Süddeutsche Zeitung

Zwischen den Zahlen:Schreiben ist Gold

Dieser Text sollte eigentlich diktiert werden. Das hat nicht geklappt - ist wohl besser so. Denn das Diktieren kann ziemlich herrisch wirken.

Von Stephan Radomsky

"Hey Siri, schreib mit!" - "Ich finde keine App dafür. Du musst erst eine runterladen." Humor hat es ja, das Fräulein Siri. Wenn man bedenkt, wie viele zur Textverarbeitung geeignete Programme sich auf dem Smartphone tummeln. Stur ist sie aber auch. Es helfen kein Flehen und kein Feintuning in den Systemeinstellungen, heute nimmt das Fräulein Siri keine Diktate mehr an.

Und vielleicht ist das auch besser so. Ein Mann, der einer Frau sagt, was sie aufschreiben soll, das wirkt doch ziemlich aus der Zeit gefallen. So wie Rauchen im Büro. Oder Chefs mit Chauffeur. Außerdem ist Diktieren ja gar nicht so einfach: Einen Text auf Anhieb druckreif zu sprechen ist anspruchsvoll, es braucht Übung und Konzentration. Wie schrecklich unsortiert die meisten Menschen aber reden (und wohl auch denken), beweisen täglich eingehende Sprachnachrichten auf Whatsapp und der Mailbox. Scheinbar unendlich mäandern diese Monologe manchmal vor sich hin, kommen vom einen aufs andere. Um was ging es jetzt noch mal? Längst vergessen. Ist ja auch egal, man kann sich ja wieder melden, wenn es einem eingefallen ist.

Wer dagegen schreibt, muss sich notgedrungen vorher sortieren, muss Buchstaben zu Worten reihen, Worte zu Sätzen, Sätze zu Absätzen, Absätze zum Text. Das kann einem auch das Fräulein Siri nicht abnehmen, so klug sie inzwischen geworden sein mag. Deshalb ist Schreiben auch viel höflicher als Diktieren: Der Diktator (sic!) bestimmt, wie lange der Empfänger zuhören muss. Querlesen und Überspringen geht bei einer Sprachnachricht eben nicht. Der Schreiber dagegen ist diskret, er übernimmt nicht die Kontrolle über sein Gegenüber, sondern macht ihm ein Angebot. "Lies doch mal" statt "Hör gefälligst zu!"

Nur eines fehlt beim Selberschreiben leider: das Umherlaufen. Ein paar Schritte wirken Wunder, um auf neue Gedanken zu kommen. Insofern ist es jetzt höchste Zeit für ein wenig Bewegung.

Nach gescheitertem Diktat verreist.

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Quelle:
SZ vom 01.08.2020
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