Zwischen den Zahlen:Großer Abgang

In Deutschland sind die Chefs ihren Firmen so treu wie nirgendwo sonst. Schade eigentlich. Denn ein dramatischer Abgang wäre zur Abwechslung mal ganz schön.

Von Angelika Slavik

Der dramatische Abgang gehört ohne Zweifel zu den großen Errungenschaften einer menschlichen Existenz. Ja, der dramatische Abgang macht aus dem durchschnittlichen Bürohengst aus der Buchhaltung eine Firmenlegende und aus der abgewiesenen Bachelor-Kandidatin ein Internet-Phänomen.

Im Laufe der Zeit hat die Welt ja eine Menge spektakulärer Abschiede erlebt: Da war die Ingenieurin, die vor drei Jahren live in der Werbepause des Superbowls ihren Chef (und ungefähr 800 Millionen Zuschauern auf der ganzen Welt) wissen ließ, dass sie auf ihren Job keine Lust mehr habe und künftig als Puppenspielerin zu arbeiten gedenke. Da war der Flugbegleiter, der nach der Landung noch eben schnell über den Bordfunk wissen ließ, dass es das jetzt gewesen sei, bevor er sich ein letztes Bier aufmachte und verschwand. Und da war der Hotelangestellte, der eigens eine Band engagierte, die in der Lobby des Hotels seinem Chef die Kündigung inbrünstig entgegen- schmetterte.

Große Momente! Für einen spektakulären Abschied ist es zudem gar nicht notwendig, im Groll zu gehen. Die Programmiererin Karen Cheng etwa textete für ihren Abschied von dem Internetkonzern Microsoft einen durchaus liebevollen Song und lud ein Video ihrer Performance beim Internetportal Youtube hoch. Titel: "Bye, bye Excel and I".

Angesichts all dieser spektakulären Abschiedsworte ist es natürlich bedauerlich, feststellen zu müssen, dass die deutschen Manager in dieser Kategorie echte Underperformer sind. Im vergangenen Geschäftsjahr wurden nur 12,7 Prozent der Chefsessel in deutschen Firmen neu besetzt, so hat es die Unternehmensberatung Pricewaterhouse Coopers kürzlich ausgerechnet. Nirgendwo sonst auf der Welt ist die Fluktuationsrate bei Führungskräften so niedrig.

In Deutschland gilt: Wenn Chef und Firma hier mal zueinandergefunden haben, dann muss schon einiges passieren, damit sich entweder die eine oder die andere Seite zur Trennung entschließt. Das liegt natürlich auch daran, dass die Geschäfte bei den meisten deutschen Unternehmen sehr gut laufen, es also selten zwingende Gründe dafür gibt, Veränderungen in der Führungsebene vorzunehmen. Ohne akute Knast- oder Pleitegefahr bleibt man einander somit meist in Treue verbunden. Ordentliche, solide Verhältnisse eben! Da ist es bloß schade um all die großen Abschiedslieder, die der Welt deswegen versagt bleiben.

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