Süddeutsche Zeitung

Zwischen den Zahlen:Gib ihm Saures!

Die Corona-Krise bringt so ziemlich jeden in Not - weshalb selbst kleinste Branchen Großes fordern. Gerettet werden müssen unter anderem: die Gurken-Bauern, die Ehering-Industrie und - natürlich - auch die Bestatter.

Von Henrike Roßbach

Am Dienstagmorgen ist die Meldung plötzlich im Postfach, zwischen der Terminübersicht des Bundespresseamtes und einer neuen Studie zum Anleiheprogramm der EZB: "Gurken-Industrie unter Druck", teilt der Bundesverband der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie, kurz BOGK, mit und warnt vor einer "deutlichen Verknappung des Angebots von Einlegegurken".

Es ist also ernst und Schuld ist, natürlich, Corona. Hygiene, Abstand, weniger Erntehelfer - das Übliche. Die Bauern hätten, so erfährt man, in weiser Voraussicht gleich weniger Gürkchen angebaut. Verschärft wird der Mangel an "sauren Gurken, Cornichons und Gurkensticks" nun aber durch den aktuell ungewöhnlichen Appetit der Deutschen auf die krummen Dinger. Klar, wer nicht ins Restaurant darf, isst halt zu Hause Cornichons; übrigens ein 1A-Hamster-Food, das auch noch im Verdacht steht, stimmungsaufhellend zu wirken ("Sauer macht lustig").

Die Gurken-Misere ist aber nur eine von vielen. Weshalb die BOGKs der Welt versuchen, im Schatten der Oberschreihälse (Autos! Flugzeuge!) auch ein bisschen Aufmerksamkeit abzukriegen. Die Süßwarenindustrie etwa freute sich über Gerichtsurteile, die Schokohasen zu Lebensmitteln erklärten, weshalb Süßkramläden öffnen durften. Der Bundesverband Bestattungsbedarf wiederum verlangte jüngst ("Beispiel Sarg"), die heimische Sargproduktion müsse "strukturell gestärkt" werden, am liebsten durch Wiederbelebung des Sterbegeldes, schließlich bedrohe Corona die Lieferkette.

"Du bringst mich noch ins Grab", soll auch in der ein oder anderen Ehe schon geäußert worden sein, den Handelsverband Juweliere aber plagt etwas anderes: "Trauringmarkt in der Warteschleife" lautet die Klage; kein Wunder, die Hochzeits-Hochzeit im Mai fällt ja aus. Es ist also wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Kosmetikhersteller die manikürten Hände heben und den ausbleibenden Lipstick-Effekt betrauern. Früher stieg in Krisen nämlich oft der Lippenstiftabsatz, weil die Frauen besser aussehen wollten, als sie sich fühlten. In dieser Krise aber tragen sie: Masken.

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Quelle:
SZ vom 16.05.2020
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