Zwischen den Zahlen:Ganz natürlich

Italiener können ohne Bidet nicht leben. Jetzt erobert es auch prüde Absatzmärkte. Ausgerechnet die Amerikaner haben dessen Vorzüge entdeckt. Dabei haben sie das Bidet bereits im Zweiten Weltkrieg kennengelernt.

Von Ulrike Sauer

Schon mal darüber nachgedacht, wie die Italiener zu ihrer hohen Lebenserwartung kommen? Statistiker meldeten gerade den Anstieg auf 83 Jahre. Es mag an der Ernährung liegen, am Klima, dem verhaltenen Alkoholkonsum, der medizinischen Versorgung, der Hygiene...Hygiene? Ja, ganz genau, sagt Giovanni Savorani, Fliesenhersteller und Lobby-Chef der italienischen Keramikindustrie. Steinfußböden tun der Gesundheit gut, wirbt er für eines der Paradeprodukte der heimischen Wirtschaft. Würde man der Teppich-Konkurrenz weltweit drei Prozent Marktanteil abjagen, könnte seine Branche einen großen Sprung nach vorn machen, sagt Savorani.

So verlegen etwa die Amerikaner, die im Durchschnitt fast fünf Jahre früher sterben, nur auf 13 Prozent ihrer Böden Steinplatten. Umgekehrt kommt kaum ein Italiener auf die Idee, sich Textilfasern in die Wohnung zu legen, die Schmutz und Bakterien aufnehmen. Die Teppich-Ächter haben nicht einmal eine Vokabel für Auslegeware. Sie leihen sich das Wort bei den Franzosen und sagen mit spitzem Mund und etwas angewiderter Miene: moquette.

Ganz anders verhält es sich mit dem Bidet. Diese Erfindung der Gallier preist man südlich der Alpen in höchsten Tönen. Was ebenfalls vom Sauberkeitsbedürfnis der Italiener zeugt. In 97 Prozent der Wohnungen ist mindestens ein Bidet zur Reinigung des Intimbereichs vorhanden. Das Gesetz schreibt ihre Installation seit 1975 vor. Dagegen ist das niedrige Waschbecken aus den meisten französischen Badezimmern verschwunden. Der hygienische Fortschritt fiel dem Platzmangel zum Opfer. Die Deutschen sind dem Bidet traditionell abgeneigt. Nur jeder 16. Haushalt besitzt eins.

Jetzt aber haben ausgerechnet die Amerikaner dessen Vorzüge entdeckt. Seit 2010 wächst der Absatz des bislang unverstandenen Objekts auf dem US-Markt um zehn bis 30 Prozent im Jahr. "Gelobt sei der Herr", sagt Augusto Ciarrocchi, Chef des Sanitärherstellers Flaminia. Ihm ginge es gar nicht ums Geschäft. Er frage sich vielmehr: Wie ist es nur möglich, ohne Bidet zu leben? "Ich fühle mich im Ausland immer unwohl", gesteht der Mann ganz unverklemmt.

Übrigens lernten die amerikanischen Männer im Zweiten Weltkrieg das Bidet in französischen Bordellen kennen. Das dürfte seinen anrüchigen Ruf befördert haben. Heute punkten die Verkäufer mit einem Umweltargument: Amerikaner verbrauchen im Jahr pro Kopf 40 Rollen Klopapier. Das Bidet soll den Konsum um 75 Prozent reduzieren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: