Zweitausendeins schließt Buchhandlungen:Eine Welt geht unter

Zweitausendeins schließt Buchhandlungen: Eine Zweitausendeins-Filiale an der Kantstraße in Berlin-Charlottenburg

Eine Zweitausendeins-Filiale an der Kantstraße in Berlin-Charlottenburg

(Foto: Imago Stock&People)

Bildbände, Liedtexte, linker Ramsch: Auf dem Postwege erreichte die Kulturrevolution über diesen Buchhändler noch das kleinste Dorf. Doch obwohl er lange vor Zalando und Amazon verschickte, hat ausgerechnet Zweitausendeins die Zukunft verschlafen. Ein Nachruf auf die einst revolutionäre Buchkette, die ins Internet verschwindet.

Von Willi Winkler

Lichtjahre dauert die Reise. Sie führt am Jupiter vorbei und an der schönen blauen Donau, Nietzsche wird bemüht und Richard Strauss, und dann findet sich der Raumfahrer als alter Mann in einem Rokoko-Zimmer wieder, sieht sich als Kind und zugleich als Greis - ein ewiges Rätsel sich und den Zuschauern von Stanley Kubricks Science-Fiction-Klassiker "Odyssee im Weltraum", die im fernen Jahr 2001 spielen sollte.

Nach diesem Film benannten die Gründer Lutz Reinecke und Walter Treumann 1969 ihren Versandhandel. Sie umgingen den traditionellen Buchhandel, boten zeitgemäße Buttons und typischen Batik-Unsinn an, Flugschriften, Liedtexte, bald auch Schallplatten, groß- und ziemlich freizügig bebilderte Bücher, und alles, was der im Zweifel linke Ramsch hergab. Der Aufklärungserfolg dieses pfennigfuchserischen Unternehmens ist kaum zu überschätzen; mit Zweitausendeins erreichte die Kulturrevolution auf dem Postwege das kleinste Dorf.

Das Land ernährt die Stadt, wie der große Steuermann wusste, aber hier kam die nahrhafte Botschaft für die Provinz aus Frankfurt, aus der Zentrale der Kritischen Theorie. Nur dass die von keinem erfolgreicher untergraben wurde als von Zweitausendeins-Autor Eckhard Henscheid, der zwar Adorno im Postponierungswettstreit um das Reflexivum "sich" siegen ließ, in der "Trilogie des laufenden Schwachsinns" aber die Negative Dialektik mitsamt der instrumentellen Vernunft vom Kopf auf die Wirtshaustischbeine stellte.

Nirgendwo kam die Gegenkultur günstiger

Zweitausendeins missionierte nicht nur mit Hilfe der Bundespost das flache Land, sondern war über Jahrzehnte in jeder größeren Stadt mit seinen Geschäften vertreten. Der bald nach Millionen zählende Umsatz wurde auf lächerlich wenigen Quadratmetern gemacht. Jeder Kinderladen war eine geräumige Suite gegen die drangvolle Enge, in der sich die Bücher- und Plattennarren in den Zweitausendeins-Läden behaupten mussten. Die Liebhaber- und Laufkundschaft war treu, bestellte Edel-Reprints, Gesamtausgaben oder die neue Platte von Bob Dylan nach den vielstelligen Nummern im "Merkheft", wühlte regelmäßig in der Grabbelkiste nach extra reduzierten Sonderangeboten oder papierlte gaaaanz vorsichtig den Prachtband über David O. Selznicks Filme aus der schweren Silberfolie. Nirgendwo kam die Gegenkultur günstiger als bei Zweitausendeins.

Lichtjahre scheint dieses Schwelgen im Ramsch zurückzuliegen. 2006, gerade noch rechtzeitig, verkaufte Lutz Kroth, née Reinecke, den Wundertütenladen. Die Brüder Kölmel (Kinowelt) übernahmen und gehen jetzt damit ziemlich erfolgreich unter. Zweitausendeins ist längst ein Zuschussgeschäft. Die Zahl der Mitarbeiter wurde innerhalb von drei Jahren halbiert, der Umsatz sank trotzdem von 35 auf mittlerweile 17 Millionen Euro. Obwohl sie lange vor Zalando und Amazon verschickten, hat ausgerechnet Zweitausendeins die Zukunft verschlafen. Dafür hat man sich Schnäppchenjäger herangezogen, die alles immer noch massenhafter und noch billiger im Internet aufspüren können. Eine Welt geht unter.

Ja, doch eine ganze Welt. Die letzte Generation der Büchersammler ist gerade dabei, ihre Wohnungen zu verkleinern. Die ungelesenen Fackel-Bände müssen raus, die Deutschlandberichte der Sopade (ebenfalls wie neu), der apokalyptische Report "Global 2000". Wer braucht da noch die unschätzbaren "Haidnischen Alterthümer", die kostbare Jean-Paul-Ausgabe, Erich Frieds Shakespeare? Die Bücher-Jahre gehen zu Ende, wie sollte da Zweitausendeins länger durchhalten können?

Erst einmal wohl nur noch im Internet. Aber ohne die Läden in München, Hamburg, Göttingen oder Freiburg wird es auch keinen Suhrkamp-Ramsch mehr geben ("Finks Krieg" von Martin Walser für einen Euro!). Auch keine augenpulvrigen "Merkhefte" mehr, keine eigenproduzierten Filmbücher über Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders. An ihrer Stelle werden weitere Krempel-Boutiquen entstehen, nutzloses Zeug, aber dafür teuer. Kulturfrevel! pocht das Herz, aber es hilft kein noch so melancholischer Nachruf: Die Odyssee ist zu Ende, das Märchen von Zweitausendeins auch.

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