Süddeutsche Zeitung

Zweifelhaftes Angebot aus Brüssel:Deutsche Bahn darf Schienennetz behalten

Im Streit um das Schienennetz der Bahn rudert die EU-Kommission zurück, die Zerschlagung der Deutschen Bahn ist damit vorerst vom Tisch. Allerdings nennt Brüssel Auflagen, die dem Unternehmen nicht gefallen dürften - denn die neue Wettbewerbsklausel hat es in sich.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

Die Deutsche Bahn wird nicht zerschlagen. Der Konzern darf das Schienennetz behalten, allerdings nur unter strengen Auflagen. Entsprechende Vorschriften sieht das vierte Eisenbahnpaket vor, das EU-Verkehrskommissar Siim Kallas an diesem Mittwoch in Brüssel vorstellen will. Es liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Die Vorschläge sollen dazu beitragen, den Personenverkehr auf der Schiene auszubauen, europaweit gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und ab Ende 2019 allen Bahnunternehmen freien Zugang zu den Schienen zu gewährleisten.

So richtig freuen dürfte sich die Deutsche Bahn über das Einlenken der EU-Kommission, die ursprünglich auf eine gesellschaftsrechtliche Entflechtung zwischen Netz und Bahnbetrieb bestehen wollte, allerdings nicht. Denn der Gesetzesvorschlag enthält eine neue Wettbewerbsklausel, die es in sich hat.

Danach soll vertikal integrierten Unternehmen wie eben der Deutschen Bahn künftig verboten werden, außerhalb der eigenen Landesgrenzen zu operieren, falls sie gegen die neuen strikten Auflagen und Wettbewerbskonditionen verstoßen. Den Daumen heben oder senken darf allein die EU-Kommission.

Praktisch bedeutet das, dass die Deutsche Bahn nur noch innerhalb der Landesgrenzen fahren dürfte, sobald die EU-Kommission aufgrund der ihr von der Deutschen Bahn übermittelten Informationen zu dem Schluss kommt, "dass nicht alle Auflagen erfüllt sind, um praktisch gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und einen fairen Wettbewerb auf dem Heimatmarkt zu ermöglichen".

Stellt die EU-Kommission diese Verstöße fest, bleibt dem Unternehmen der Zugang zum europäischen Schienennetz verwehrt, was spürbare Umsatzeinbußen zur Folge hätte. Laut EU-Kommission werden im europäischen Bahngeschäft jährlich 73 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet, die Branche sichert 800.000 Jobs.

Streit zwischen Brüssel und Berlin

Brisant ist, dass EU-Kommission und Berlin bereits im Clinch liegen. Die Behörde leitete am vergangenen Freitag ein Verfahren gegen Deutschland wegen der Verletzung von EU-Recht ein. Hintergrund ist, dass öffentliche Mittel für Gleise und Nahverkehrsangebote nicht für andere Zwecke genutzt werden dürfen. Berlin müsse sicherstellen, dass dies in getrennten Rechnungsführungen der Bahn auch erkennbar sei, forderte Brüssel. Die Bundesregierung wies die Vorwürfe zurück.

Kommissionskreisen zufolge wurde die Compliance Verification Clause vor allem in das Gesetzespaket aufgenommen, um Bahnunternehmen aus kleineren Ländern den Zugang zum europäischen Schienennetz zu ermöglichen - und um für einen fairen Wettbewerb zwischen den beiden größten Anbietern, der Deutschen Bahn und der französischen SNCF, zu sorgen.

Anders als die Deutsche Bahn muss die SNCF die Wettbewerbsklausel nicht besonders fürchten. Sie hat Netz und Bahnbetrieb vollständig getrennt. In Deutschland sind beide unter dem Dach der Bahn-Holding. Das Gleisnetz wird neben Eigenmitteln der Bahn vom Bund finanziert. Für den Nahverkehr bekommen die Bahn wie auch private Konkurrenten ebenfalls öffentliche Mittel. Die bundeseigene Bahn führt das Netz in einer eigenen Tochter, deren Gewinne ins Ergebnis des Mutterkonzerns einfließen.

Nur die zweitbeste Lösung

Die Kommission findet, dass der deutsche Markt nicht allen Bewerbern gleiche Chancen bietet. Deshalb fordert Kallas vertikal integrierte Unternehmen auf, undurchlässige chinesische Mauern zwischen Netz und Betrieb zu ziehen. Geldflüsse müssten transparent sein und dürften nicht zur Querfinanzierung von Konzernsparten verwendet werden. Führungspersonal darf nicht sofort vom Netzbetrieb zur Bahn wechseln.

Kallas räumt in seinem Vorschlag ein, dass vertikal integrierte Strukturen nur die zweitbeste Lösung seien. Die beste Variante, für fairen Wettbewerbsbedingungen zu sorgen, sei immer noch "die vollständige Trennung von Netz und Betrieb".

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SZ vom 30.01.2013/infu
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