Zwangsarbeit bei Audi:Union des Bösen

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Rennfahrer Ernst von Delius in dem stromlinienförmigen Rennwagen der Auto-Union, Typ C, auf der Avus in Berlin. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Lange hatte sich Audi gegen die Aufarbeitung der Geschichte gewehrt. Nun lässt der Autohersteller endlich die Rolle seiner Vorgängerfirma im Dritten Reich untersuchen. Das Ergebnis: "In einem skandalösen Maße" wurden KZ-Häftlinge ausgebeutet.

Von Thomas Fromm und Hans Leyendecker, München

Es war ein typisches Konzern-Jubiläum. Die Stimmung festlich, die Prominentenliste lang: Als Audi im Juli 2009 seinen 100-jährigen Geburtstag feierte, kamen 1800 Gäste zum Gratulieren. Audi-Chef Rupert Stadler kündigte neue Fahrzeuge an ("ein Modellfeuerwerk"), und in seiner Jubiläumsrede sagte er: "Diejenigen, die die Geschicke der Marke lenkten und voranbrachten, zeichneten sich durch Mut und Tatkraft aus."

Heute würde Stadler seinen Redetext wohl nicht mehr ganz so stehen lassen - denn fünf Jahre nach der festlichen Gala in Ingolstadt liegt nun eine Studie vor, die belegt: Der Audi-Vorgängerkonzern Auto Union, 1932 aus dem Zusammenschluss der Hersteller DKW, Audi, Horch und Wanderer entstanden, war weitaus stärker in die Verbrechen des NS-Regimes eingebunden, als bisher bekannt. Das Unternehmen aus Sachsen ließ systematisch KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter unter unmenschlichsten Bedingungen für sich arbeiten; Tausende kamen dabei ums Leben.

Die Befreiung von Auschwitz
:Das Ende des Holocaust

Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Etwa 7000 Menschen befanden sich noch in dem Lager - für immer gezeichnet von den Gräueltaten der Nazis. Bilder von damals und heute.

Die Studie des Audi-Historikers Martin Kukowski und des Chemnitzer Professors Rudolf Boch, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt und die an diesem Montag unter dem Titel "Kriegswirtschaft und Arbeitseinsatz bei der Auto Union AG Chemnitz im Zweiten Weltkrieg" im Franz-Steiner-Verlag erscheint, bringt neue - belastende - Details. Zwangsarbeiter arbeiteten demnach nicht nur in Auto-Union-Fabriken. Insgesamt sieben Konzentrationsaußenlager ließ die SS für die Auto Union bauen.

Mit Studie stürzt der Haus-Mythos

Im Zentrum der Studie: Das Lager in Leitmeritz, dem heutigen Litoměřice in Tschechien, damals ein Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg, wo von 1944 an in den Stollen eines Kalksteinbergwerks eine unterirdische Produktion von Panzermotoren vorbereitet wurde. Die Studie hält fest: "Bis zur Auflösung des KZ-Außenlagers Anfang Mai 1945 durchliefen es geschätzt 14 000 bis 18 000 KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter, von denen ungefähr ein Viertel bis ein Drittel den Einsatz nicht überlebte."

Die "moralische Mitverantwortung" der Auto Union stehe "außer Frage", denn "schließlich drängte die Auto-Union-Führung bei der SS" wegen der bevorstehenden Luftangriffe "im Sommer 1944 noch auf beschleunigten Baufortschritt". Fazit der Studie: Die Auto Union habe sich aus "kriegswirtschaftlichen Interessen heraus in einem skandalösen Maße in den KZ-Komplex einbinden" lassen.

Auto Union, das war über viele Jahre hin vor allem ein Mann: Richard Bruhn. Konzernchef von 1932 bis 1945 und dann wieder von 1949 bis 1956, NSDAP-Mitglied und später auch "Wehrwirtschaftsführer" - nach NS-Lesart also offiziell Leiter eines rüstungsrelevanten Betriebes. Dennoch wurde Bruhn nach dem Krieg zur Symbolfigur des Neuanfangs bei Audi stilisiert.

Mit der jetzt vorliegenden Studie stürzt der Haus-Mythos: "Das Unternehmen verschloss sich mitnichten den Wünschen des NS-Regimes und schaltete sich nach Kriegsbeginn massiv in die Kriegswirtschaft ein", so Kukowski und Boch. Auf die legendären "Luxuskarossen von Horch und die Silberpfeil-Rennwagen folgten tarnfarbene (Einheits-)Kriegsfahrzeuge."

Nazi-Herrschaft in Firmenchroniken ausgeblendet

Deutsche Industrie und Drittes Reich: Viele Jahre war es eine schlechte Tradition deutscher Firmen gewesen, sich vor einer Aufarbeitung der eigenen Geschichte zu drücken. In den Firmenchroniken vieler Unternehmen wurden die Jahre der Nazi-Herrschaft ausgeblendet, in Jubiläumsfeiern wurde die Zeit übersprungen. Die Nachfolger jener Unternehmensführer, die im Dritten Reich die Konzerne regiert hatten, waren in aller Regel geschichtslos. Die Hierarchie ließ Meutereien nicht zu, und die Neuen wollten aufbauen, egal auf welchem Untergrund.

Darin unterschieden sie sich nicht von einem Großteil der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Die Vergangenheit sollte endlich vergehen. Dann kamen die Achtundsechziger. Sie wollten die Alten mit ihrer Geschichtslosigkeit nicht so einfach davonkommen lassen. Etliche Konzerne änderten in den Neunzigerjahren ihre Einstellung. Daimler-Benz, Bertelsmann, der VW-Konzern, Porsche, Krupp, Allianz und andere ließen von Historikern die Jahre 1933 bis 1945 aufarbeiten.

"Nach jahrzehntelangem Drängen und einer weitgehend auf die Geschichtswissenschaft beschränkten Auseinandersetzung mit dem Thema", heißt es in der Ingolstädter Studie, habe "die Diskussion der Kriegsvergangenheit der deutschen Industrie schlussendlich doch noch Fahrt" aufgenommen. Das ist eine Untertreibung. Die anderen waren schon lange unterwegs, als Audi noch so tat, als sei das kein Thema, dem man sich stellen müsse. Das mag daran liegen, dass Audi, bis 1985 noch Auto Union, juristisch betrachtet nicht der Nachfolger der Auto Union ist. Geschichtlich aber schon - und moralisch erst recht.

"Angesichts aufkommender kritischer Stimmen zur Unternehmenshistorie der ehemaligen Auto Union AG im Dritten Reich und zum Umgang ihres Ingolstädter Nachfahren mit diesem Kapitel der Unternehmensgeschichte", heißt es im Vorwort etwas umständlich, sei die Studie "angeregt" worden. Wahr ist, dass ein Artikel in der Wirtschaftswoche im September 2010 ("Öffentliches Verbrechen ") die Aufarbeitung auf den Weg gebracht hat.

Manche Aussage in dieser Geschichte war eine Klitterung. So wurde gewürdigt, im Fall des Ex-Vorstandschefs Richard Bruhn sei laut Historikern Antisemitismus nicht nachweisbar, das Rüstungsgeschäft sei für ihn laut Wissenschaft eine "nationale Pflicht" gewesen und "sogar" habe er jüdische Mitarbeiter "ins Ausland geschickt und gerettet". Tatsächlich aber ging es dabei um genau einen Mitarbeiter, den er 1933 ins Ausland schickte.

Aber manchmal können Medien doch etwas bewirken. Die BMW-Eigentümerfamilie Quandt beispielsweise ließ die Unternehmensgeschichte und die Rolle der Familien-Dynastie erforschen, nachdem 2007 die Fernsehdokumentation "Das Schweigen der Quandts" ausgestrahlt worden war. Die Aufarbeitung, die der Bonner Historiker Joachim Scholtyseck vornahm, ist mittlerweile ein Standardwerk.

Als wäre vorher nichts gewesen

Scholtyseck macht Unterschiede bei den Familien aus. Robert Bosch etwa, der auch Zwangsarbeiter beschäftigt hatte, sei ein vergleichsweise "sozial denkender Liberaler gewesen, ein Hitler-Gegner", sagte Scholtyseck in einem Interview. Günther Quandt, der im Dritten Reich das Vermögen der Quandt-Gruppe erheblich erweitert habe, sei dagegen skrupellos vorgegangen. Leid lässt sich nicht so einfach katalogisieren.

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:Deutsche Unternehmen und ihre Rolle in der NS-Zeit

Die Dokumentation "Das Schweigen der Quandts" belebt die Debatte um deutsche Unternehmen und ihre NS-Vergangenheit neu. Einige Unternehmen beauftragten Historikerkommissionen für die Aufarbeitung ihrer Unternehmensgeschichte und gestanden eine historische Mitschuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus ein. Ein Überblick.

Und auch nicht leicht wiedergutmachen. Im Sommer 2000 trat das Gesetz zur Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" in Kraft. Ganz freiwillig passierte das nicht - Sammelklagen in den USA drohten. Bund und Wirtschaft zahlten je 2,5 Milliarden Euro in die Kasse. Die Stiftung zahlte an 1, 7 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter oder an deren Nachfahren Entschädigungen von bis zu 7500 Euro aus. Aufseiten der Wirtschaft zahlten die umsatzstärksten deutschen Unternehmen etwa die Hälfte der Summe, der Rest kam von 6500 Unternehmen.

Audi war nicht darunter.

Jetzt aber kommen die Dinge ins Rollen. Laut Wirtschaftswoche will sich der Audi-Betriebsrat nun dafür einsetzen, die firmeneigene Pensionskasse "Dr.-Richard-Bruhn-Hilfe-Altersversorgung der Auto Union" umzubenennen, auch eine nach Bruhn benannte Straße in Ingolstadt könnte bald einen neuen Namen haben.

Es hat lange gedauert. Im Juni 1953 blickte Auto-Union-Mitgründer Carl Hahn, Vater des späteren VW-Chefs Carl Hahn, beim Presseempfang zur Internationalen Automobilausstellung IAA noch einmal zurück. "Während des Krieges", führte Hahn aus, habe man "selbstverständlich" seine "Pflicht getan" und sich "in die Kriegswirtschaft eingeschaltet". Im selben Jahr bekam Ex-NSDAP-Mann Richard Bruhn das Große Bundesverdienstkreuz verliehen.

Gerade so, als ob da vorher gar nichts gewesen wäre.

© SZ vom 26.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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