Zuwächse für Online-Händler:Brille? Online!

Konkurrenz für Fielmann, Apollo und Co.: Online-Anbieter machen mit Brillen Millionenumsätze. Traditionelle Optiker warnen vor Qualitätsproblemen - und geraten doch unter Druck.

Von Pia Ratzesberger

Loriot hat den Beruf des Optikers schon vor Jahren in Frage gestellt: In einer Zeichnung des Künstlers ist zu sehen, wie eines seiner berühmten Knollennasen-Männchen mit der Ehefrau ins Brillengeschäft geht. Nachdem ihm der Ladenbesitzer eine Brille zum Anprobieren gegeben hat, legt der Mann die Gläser schnell wieder ab. So genau will er seine Frau gar nicht erkennen. Unter der Zeichnung steht: "Optiker Nolte zog sich zwei Jahre später aus dem Geschäftsleben zurück". Hätte der 2011 verstorbene Loriot die Situation heute karikiert, wäre das Knollennasen-Männchen vielleicht gar nicht mehr in einen Laden gegangen - sondern hätte vor dem Computer gesessen. Denn Online-Händler verkaufen immer mehr Brillen.

Mister Spex, der beliebteste der Shops im Netz, hat im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben 26 Millionen Euro umgesetzt. Das sind 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Spex sieht sich nicht nur als Online-Händler: "Wir verstehen uns als Optiker", sagt die Sprecherin des Berliner Unternehmens - und fordert mit diesem Selbstverständnis Ketten wie Fielmann oder Apollo heraus. Auch wenn das Anprobieren der Brillengestelle bei dem Shop im Netz natürlich anders abläuft als im Laden.

Wer zum Beispiel eine Webcam hat, kann sich durch eine 3D-Darstellung seine Favoriten aus mehr als 5000 verschiedenen Brillen auf die Nase setzen. Die Sprecherin sagt selbst, das Konzept sei noch nicht ganz ausgereift. Doch bei den Käufern scheint es schon anzukommen. An manchen Tagen verschickt das Unternehmen bis zu 6000 Pakete, es hat in seiner Kundendatei nach eigenen Angaben mittlerweile mehr als 600.000 Menschen registriert.

"Rückfall ins Mittelalter"

Dabei galt gerade die Brille lange als ein Produkt, das online nicht verkauft werden kann. Die Anpassung der Gestelle an die Kopfform, die Justierung des Abstands zwischen Gläsern und Augen - das könnten die Shops im Netz nicht leisten, hieß es von Seiten der traditionellen Optiker. Günther Fielmann, Chef des gleichnamigen Marktführers im Brillengeschäft, sagte erst im vergangenen Jahr deutlich in einem Gespräch mit der Tageszeitung Welt, was er von den Shops im Netz hält: "Das ist ein Rückfall ins Mittelalter. Damals gab es auf den Märkten auch nur Fertigbrillen".

Dass Fielmann einen so drastischen Vergleich wählte, kommt nicht von ungefähr. Seine Optiker-Kette rühmt sich damit, den Kunden immer den günstigsten Preis anzubieten. Doch mit der Konkurrenz aus dem Netz kann die Hamburger Firma nun teils nicht mehr mithalten. Spex und seine Mitstreiter drücken die Preise nach unten. Denn allein die Kosten, um wie Fielmann etwa 600 Filialen am Laufen zu halten, haben die Online-Händler nicht.

Zwar geht es nicht ganz ohne persönlichen Service, das hat auch Spex erkannt. Das Unternehmen hat sich deswegen ein Partnernetzwerk mit bundesweit etwa 340 Optikern aufgebaut. Wenn die Brille nicht passt, kann der Kunde zum nächstgelegenen Partner gehen: Doch "für die meisten Leute, die bei uns kaufen, ist es natürlich sowieso nicht der erste Brillenkauf", so die Sprecherin.

Brille24 setzt dagegen klar nur auf den billigen Preis. Kooperationen mit Optikern wie bei Spex gibt es nicht. Die meisten Sehhilfen kosten gerade einmal 39,90 Euro. Den Vorwurf mancher traditioneller Optiker, dass eine mit so wenig Informationen bestellte Brille nicht passen könnte, sieht eine Sprecherin der 2007 gegründeten Firma nicht bestätigt: "Wir haben eine Retour-Quote von etwa zwei Prozent und liegen damit weit unter dem Durchschnitt von anderen Online-Shops".

Plötzliches Schweigen

Ob man von diesem Prozentsatz aber wirklich auf die Qualität der Brillen schließen kann, ist umstritten. Die niedrige Zahl an Rücksendungen müsse nicht darin begründet sein, dass die Brille wirklich passe, kritisiert der Zentralverband der Augenoptiker (ZVA). Viele Kunden würden die nötigen Korrekturen vielleicht gar nicht bemerken. "Das Auge versucht die Defizite dann automatisch auszugleichen und strengt sich mehr an", so ein Sprecher des ZVA. Traditionelle Optikerketten wie Fielmann oder Apollo seien durch die neue Konkurrenz wie Brille24 oder Mister Spex aber nicht im Zugzwang, online zu gehen.

Selbst Online-Marktführer Spex ist mit seinen 26 Millionen Euro Umsatz noch weit von Fielmanns Größenordnung entfernt: Im vergangenen Jahr machte die Hamburger Kette fast 900 Millionen Umsatz. Doch dass sich die traditionellen Betriebe durchaus mit der Konkurrenz im Netz auseinandersetzen, zeigt ihr plötzliches Schweigen zu dem Thema. Während der Fielmann-Chef im vergangenen Jahr die Online-Shops noch frei heraus als obsolet bezeichnete, gibt man sich nun zurückhaltender.

Bei Nachfragen verweist das hanseatische Unternehmen lediglich auf den Geschäftsbericht aus dem vergangenen Jahr. Dort ist zu lesen, dass die Anpassung der Brille über das Internet ein "reines Zufallsprodukt" sei. "Deshalb verkauft Fielmann Korrektionsbrillen nicht per Internet", heißt es weiter. Allerdings ist es der Geschäftsbericht für das vergangene Jahr - ob Fielmann diesen Satz auch im kommenden übernimmt, wird sich zeigen. Bei Apollo, nach Fielmann der Zweitgrößte in der Branche, will man sich zum Thema Online-Handel gar nicht äußern.

Mister Spex sieht einen möglichen Start von Fielmann oder Apollo im Netz gelassen. Man vertraut auf die Erfahrung im E-Commerce der vergangenen Jahre und das eigene Wachstum. Erst im Mai haben drei Großinvestoren 16 Millionen Euro in die Firma gesteckt, im Juli hat Spex zwei schwedische Onlineshops gekauft. Die Berliner Firma würde es insgeheim wohl auch freuen, Recht behalten zu haben. Den anderen bewiesen zu haben, dass Brillen im Netz eben doch zu verkaufen sind. Die Spex-Sprecherin sagt dazu ganz klar: "Wenn die Großen nachziehen, wäre das für die Online-Optik wie ein Ritterschlag."

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