Rolle der Ratingagenturen:Lobet die Säulenheiligen des Kapitalismus!

Gottes Wege gelten als unerfindlich - die der Ratingagenturen sind dagegen um vieles seriöser. Lasst sie uns also lobpreisen und anbeten! Ihre Kritiker sollen dargebracht werden auf dem Scheiterhaufen des Finanzmarktplatzes. Das christliche Abendland braucht Standard & Poor's, Fitch und Moody's wie den elektrischen Pfefferstreuer.

Max Uthoff

Es herrscht Götzendämmerung im Land. Die Idole sind vom Sockel gestoßen, die großen wie die kleinen, die Angela Merkel schnell zusammengeleimt hat. Wie viel Talkshowzeit hätte zum Beispiel sinnvoll genutzt werden können, hätte irgendjemand vor zwei, drei Jahren ein Schild ans Schloss Bellevue genagelt: Betteln und Hausieren verboten! Dann wäre uns die ganze Bundespräsidentenkrise erspart geblieben.

Die Vorbilder machen sich also vom Acker, auch die Gottesfürchtigkeit verflüchtigt sich. An was können wir noch glauben? Da ist es Zeit, eine Institution zu rühmen, die das christliche Abendland braucht wie den elektrischen Pfefferstreuer: die Ratingagenturen. Ob sie nun europäisch sind, amerikanisch, weltweit.

Monolithisch und kathedralengleich schrauben sich ihre gläsernen Fassaden in den Himmel: unnahbar, mystisch, Säulenheilige des Kapitalismus. Lasst sie uns lobpreisen und anbeten! Ihre Kritiker, das Stalinisten-Centerfold Sahra Wagenknecht und der sympathische Bolschewik Peter Bofinger, sie sollen dargebracht werden auf dem Scheiterhaufen des Finanzmarktplatzes.

Welche Argumente könnten gegen Standard & Poor's, gegen Fitch und gegen Moody's, die Heilige Dreifaltigkeit der Beratungsbranche, ins Feld geführt werden? Der Vorwurf, die amerikanischen Ratingagenturen seien parteiisch und dienten dem Dollar, ist ungerecht. Man muss Standard & Poor's hier in Schutz nehmen. Die Büros sind nun mal in New York.

Im Falle einer Abwertung der USA auf USB würden sie von Einheiten der Navy Seals besetzt werden. Das ist halt schlimmer als die Bedrohung durch eine seeseitige D-Day-Kopie mit der Gorch Fock oder eines Grenadierbataillons aus Hammelburg, der zauberhaften Weinstadt Frankens.

Der Trend, die Länder im Dollarraum höher zu bewerten als das alte Europa, hat auch nichts mit den Tricks peruanischer Hütchenspieler zu tun. Er folgt dem Gesetz der Natur. Jeder, der schon mal eine Immobilie finanziert hat, weiß, dass das Ranking des Kreditnehmers altersabhängig gestuft wird. Klar also, dass ein junger Kontinent wie Amerika mit einer besseren Bewertung rechnen kann als das alte Europa.

Darüber hinaus sind Ratingagenturen allwissend, wie das bei Gottheiten üblich ist. Sie wissen, dass Europa eine phönizische Königstochter war, die von Zeus in Stiergestalt nach Kreta entführt und dort von ihm verführt wurde. Sie wissen also: Uns Europäer hat mal ein Rindvieh flachgelegt. Wie soll da Vertrauen entstehen? Misstrauisch macht die neuen Götter auch, wie wenig die Griechen einst auf Kassandra hörten. Das soll ihnen nicht passieren, wenn sie ihre unerforschlichen Ratschlüsse verkünden. Kassandras? Und sie haben es geschafft: Stufen die Hohepriester der Kreditwürdigkeit die Schuldenberge Griechenlands auf Doppel-D herab, werfen sich Sarkozy und Merkel vor Moody's und Fitch in den Staub und bringen griechische Bauernopfer dar.

Der göttliche Blick in die Zukunft, in Westfalen auch Spökenkiekerei genannt, er ist nicht neu. Er ist die uralte Geschäftsübereinkunft seit der Einführung des Orakels von Delphi. Nur wenn das Orakel den Zeitpunkt einer Offensive gegen Alexandrien oder die UdSSR für günstig hielt, setzten die Feldherren ihre Kohorten in Marsch. Das analoge Geschrei auf den Schlachtfeldern wurde allerdings inzwischen digitalisiert und an die Börsen verlegt. Das bedeutet mehr Tote bei weniger Blutvergießen und ist deshalb ein Fortschritt in der Zivilisation. Die Bevölkerung ist auf Ramsch herabgestuft, ein unbeherrschbarer Kostenfaktor und Hindernis im Kampf um die Exportweltmeisterschaft. Das ist traurig, aber unvermeidlich. Es ginge, genau genommen, auch ohne Ratingagenturen. Aber was wäre der Weg in den Abgrund ohne die Blaskapelle, die die Menschen emotional umspült?

Junior-Analysten lesen im Kaffeesatz

Gottes Wege gelten als unerfindlich. Um wie vieles seriöser ist da doch die Meinungsfindung bei Standard & Poor's! Chef-Analyst und Junior-Analyst setzen sich an den Konferenztisch. Sie nehmen alle Zahlen des freien Marktes genauestens unter die Lupe. Sie durchdenken und bewerten sie unter Berücksichtigung aller Risiken. Nach einer zermürbenden, schweißtreibenden halben Stunde schüttet die Chefsekretärin den Inhalt der Analystenkaffeemaschinenfiltertüte auf den Tisch. Chef- und Junior-Analyst zeichnen daraufhin mit den Fingerspitzen konzentrische Kornkreise in den Kaffeesatz. Weißer Rauch steigt auf, ein neues Rating wird verkündet. Das Unfassbare ist bezwungen, fassbar, gebändigt, in Kategorien gefasst. Wer sonst auf der Welt kann das von sich behaupten?

Es geht also nicht anders. Das ist hart, aber tröstlich. Denn ohne Ratingagenturen ist das Leben nicht zu bewältigen, der Markt ohne Marktfrauen und sichtbarer Ware, der Handel per Derivat simuliert und Produkte ohne realen Wert verkauft zur Realisierung von Spekulationsgewinnen. Sie sind da Weg, Wahrheit und Leben. Die Agenturen zeigen den Investoren den Weg, den ihr Kapital nehmen muss. Manchmal drehen sie die Beschilderung um, sodass der Investor sich auf dem gleichen Weg wieder entgegenkommt. Dann kommt es zu Geisterinvestitionen mit Totalschaden. Dies führt dann Absturz in Hölle und Fegefeuer.

Das Kapital ist flüchtig. Da hilft kein Leinenzwang. Da ist der Mensch angewiesen auf den Rat von Auguren, da braucht er das Vertrauen zu großen Namen wie Standard & Poor's, Fitch, Moody's, den Blindenhunden für die großen Kapitalkarawanen durch die Wüsten der Erde, vorbei an Flüchtlingslagern, Hungercamps und zeltenden Occupy-Kämpfern mit dem alten Woodstock-Feuer in den Augen.

Unverzagt rufen wir deshalb unseren griechischen Freunden zu: Das deutsche Wirtschaftswunder entstand aus Trümmern! Was Griechenland also zunächst braucht, sind Trümmer. Das bisschen Akropolis reicht da nicht. Sollten wir uns nicht deshalb freuen über die Kreativität der jugendlichen Bevölkerung auf den Straßen Athens, die beim Einwerfen von Schaufenstern und Anzünden alter Gemäuer Raum für einen Neuanfang schaffen?

Und all denen, die die Empfehlungen der Ratingagenturen tatsächlich ernst nehmen sei noch der Hinweis gestattet, dass sich bei dem Wort Ratingagentur das Wort gag doch erfrischend zentral positioniert hat.

Max Uthoff, 44, ist Jurist und Kabarettist. In diesem Jahr ist er Träger des deutschen Kleinkunstpreises in der Sparte Kabarett.

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