Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Margaret Thatcher:Kalt, nicht schrill

Als Maggie Thatcher Ende der siebziger Jahre an die Macht kam, ging es ihrem Land schlecht. Darum setzte sie eine Wirtschaftspolitik durch, die viele als herzlos empfanden. Ihre Maßnahmen waren wirkungsvoll, doch ging Thatcher damit nicht zu weit?

Von Hans von der Hagen

Ihre größte Kraft war das Wort. Wer wissen wollte, was Margaret Thatcher vorhatte, musste ihr nur zuhören. Und sie wusste, was sie zu tun hatte, damit man das auch tat: "Entspann dich. Mit tiefer Stimme reden. Nicht zu langsam." Solche Anweisungen schrieb sie sich selbst in ihre Redemanuskripte. Etwa in jener Rede, die sie 1975 auf der Parteikonferenz der Konservativen hielt. Die nun verstorbene Thatcher wusste immer: Wer schrill daherkommt, hat keine Chance.

Ihre Reden machten schon Jahre vor ihrem Einzug als Premierministerin in No. 10 Downing Street im Mai 1979 klar, mit welch einfachem Rezept sie arbeiten würde: alles genau andersherum machen wie die Sozialisten. In einer Zeit, in der Großbritannien eher einem Kombinat denn einem Königreich glich, suchten die Konservativen nicht die Mitte, sondern die Abgrenzung.

"Es ist die Labour-Regierung, die uns in Friedenszeiten in Rekordhöhe besteuert", geißelte Thatcher 1975 die politischen Gegner. Sie hätten die übliche Krankheit der Sozialisten: "Das Geld anderer Leute geht ihnen aus." Das Protokoll vermerkt hinter jenem Satz in Klammern "Gelächter". Man konnte in jenen Jahren auch nur noch lachen, denn Großbritannien ging es dreckig.

Weg mit der Nanny

Der Spitzensteuersatz lag bei 83 Prozent, die Inflationsrate bei mehr als 20 Prozent. Ein Streik jagte den nächsten, die Wirtschaft war am Boden. Das Land war zum Synonym für Verlierer geworden, gerade darum konnte konservative Wirtschaftspolitik gedeihen: wenig Staat, niedrige Steuern, viel Freiheit - und das dazugehörige Risiko für den Einzelnen.

Thatcher setzte diese Politik freilich mit solch brachialer Gewalt durch, dass ihr Name zum Programm wurde: Thatcherism wurde ihre Wirtschaftspolitik getauft: Entmachtung der Gewerkschaften, drastische Kürzung von Staatsausgaben, umfangreiche Privatisierungen. Es war die Abkehr vom, wie es Thatcher nannte, "Nanny-State". Der Staat sollte sich nicht mehr wie ein Kindermädchen um jeden kümmern. Andere westliche Regierungen gingen ähnlich vor, vor allem Ronald Reagan in den Vereinigten Staaten.

Die Politik der britischen Regierung markierte die Abkehr von den Ideen des Ökonomen John Maynard Keynes und die Hinwendung zum Monetarismus. Vereinfacht bedeutete das: Nicht mehr der Staat stand im Vordergrund, sondern die Unternehmen. Nicht mehr die Arbeitslosigkeit wurde direkt bekämpft, sondern die Inflation. Nicht mehr die Nachfrage der Verbraucher wurde gefördert, sondern das Angebot der Unternehmen. Es sind die Mittel der Konservativen, um Unternehmen zu stärken und so die Wirtschaft ins Laufen zu bringen.

Viele geißelten die Wirtschaftspolitik Thatchers als kalt und unbarmherzig. Doch ihr politisches Credo ließ keinen Kompromiss zu. In einer Rede 1980 enttäuschte sie all jene, die sich Hoffnung auf mehr Wärme in ihrer Politik machten - nur ein Jahr nach Übernahme der Regierungsverantwortung hatte sich die Zahl der Arbeitslosen um ein Drittel auf zwei Millionen erhöht.

Thatcher blieb hart: "Das Einzige, was ich denen sagen kann, die mit angehaltenem Atem auf die Lieblingsphrase der Medien, die Kehrtwende, warten, ist: Machen Sie kehrt, wenn Sie wollen. Die Dame wird es nicht tun."

Das englischsprachige Original des letzten Satzes - The lady's not for turning - liegt sprachlich dicht bei The lady's not for burning, einem Theaterstück des britischen Autors Christopher Fry aus den späten vierziger Jahren. Das ist wohl ein Beleg dafür, dass Thatcher, die ihre Reden oft in quälend langen Sitzungen immer wieder mit ihren Schreibern durchging, nichts dem Zufall überließ.

Die Worte mussten sitzen, und so war dies am Ende einer der Sätze, die fortan an Thatcher klebten, wie es sich jeder Redenschreiber nur wünschen mag. Er machte deutlich, dass sich Maggie Thatcher als Führungsfigur verstand, die Kompromisse nicht duldete. Gerade darum steht Thatcherism nicht nur für ihre - keineswegs von ihr erdachte - Wirtschaftspolitik, sondern auch für die Art, wie sie diese durchsetzte.

Es dauerte einige Jahre, bis Thatchers Vorgehen Wirkung zeigte, doch dann ging es mit der britischen Wirtschaft bergauf. Mehr noch: Ihre auf Privatisierung bedachte Politik machte Schule in ganz Europa: Staatliche Betriebe wie Telekommunikation, Post oder auch Fluggesellschaften wurden verkauft, der Staat verwandelte sich in einen Dienstleister.

Ihre Gegner kritisieren, dass Thatcher am Ende zu weit ging. Zwar profitieren Verbraucher von günstigeren Preisen, die der Wettbewerb zwischen den neu entstandenen Unternehmen ermöglichte, doch dieser Wettbewerb der privatisierten Unternehmen macht den Briten das Leben bis heute schwer - schon das Bahnfahren kann zur Tortur werden.

Zugleich fehlt den Briten nun der Mittelstand, die stabilisierende Schicht vieler Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen und neue Produkte entwickeln. Der Finanzplatz London ist der wirtschaftliche Glanzpunkt des Landes. Danach kommt nicht mehr viel.

War also doch das meiste schlecht, was von Thatcher kam? Nein. Die Kollegen von The Atlantic erinnern daran, dass die gelernte Chemikerin Thatcher möglicherweise geholfen habe, Softeis zu entwickeln. Das ist allerdings eine Geschichte mit ganz eigener Kälte.

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