Zulassung von Neuwagen bei Audi und VW:Schlamperei auf dem Prüfstand

Audi says 2.1 million cars hit by VW emissions testing scandal

Die Messwerte bei der Zulassung könnten richtig sein – sie könnten aber auch zum Vorteil oder zum Nachteil der Hersteller ausgefallen sein.

(Foto: Armin Weigel/ dpa)

Abgas- und Spritverbrauchstests zur Zulassung neuer Audi und VW könnten regelwidrig abgelaufen sein. Was auch daran liegt, dass nicht die Behörden kontrollieren, sondern private Anbieter. Und die sind auf die Großaufträge der Autohersteller angewiesen.

Von Max Hägler

Man könnte dieses Problem mit dem Hausbau vergleichen: Der Bauarbeiter nimmt einen Stab, der in etwa ein Meter lang ist und konstruiert damit ein Haus. Dabei ist seine Messlatte vielleicht 101 Zentimeter lang, oder auch nur 98, so genau weiß er es nicht. Denn abgeglichen mit einem Urmeter wurde das Teil zuvor nicht, auch weil er gar nicht richtig ausgebildet worden ist im Meterstabbenutzen. Am Ende steht das Haus, das schon, aber es kann sein, dass es ein bisschen schief ist. Denn es fehlte, wie das in der Sprache der Techniker heißt: die Kalibrierung. Eigentlich nobelste Grundlage für Techniker, gerade im technikverliebten Deutschland.

Und doch scheint es bei deutschen Vorzeigeunternehmen daran gefehlt zu haben, bei Audi und Volkswagen, und zwar ausgerechnet bei Zulassungsprüfungen ihrer Autos. Bei der Frage also, wie viel Sprit Autos verbrauchen und wie viele Abgase sie ausstoßen. Das legen Dokumente nahe, die der Süddeutschen Zeitung, dem NDR und WDR vorliegen und sich allesamt um die Nichtbeachtung einer grundlegenden Vorschrift drehen.

Das Urteil des Oberkontrolleurs: Bei Audi werde recht "hemdsärmlig" gemessen

Seitens der Audi AG sei eingeräumt worden, "dass die Anforderungen der ISO 17025 für den Bereich der Typzulassungen bisher nicht im Fokus des Qualitätsmanagement-Systems in Ingolstadt stehen", heißt es in einem Bericht eines Ingenieurs, der im September 2016 sogenannte Rollenprüfstände von Audi sichtete - als externer Oberkontrolleur. "Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass der überwiegende Teil der Anforderungen so nicht bekannt ist und bisher nicht umgesetzt wurde." Sein Urteil: "Hemdsärmelig" sei es bei Audi zugegangen. Und das ein Jahr nachdem der Dieselskandal aufgeflogen war und man annehmen würde, dass seitdem alles überkorrekt abläuft. Beinahe wortgleich sein Urteil über VW-Anlagen.

Es ist technischer Sprech, aber es geht um Essentielles: In der ISO-Norm 17025 ist festgelegt, wie Prüfanlagen kalibriert werden und wer sie bedienen darf. "Das Arbeiten danach ist kein Nice-to-have, das ist Grundlage für Typzulassungen", heißt es dazu aus der Automobilbranche von Experten, die damit ständig befasst sind. Doch bei VW und Audi sah man das offenbar anders. In Berichten des Oberkontrolleurs heißt es unter anderem: Es sei nicht sichergestellt, dass das Bedienpersonal frei von "Zwängen" ist. Wer am Prüfstand arbeitet, muss das unabhängig tun; es darf etwa kein Vorgesetzter die Möglichkeit haben, Einfluss zu nehmen.

Entscheidende Mitarbeiter seien zudem nicht geschult und qualifiziert gewesen; "besonders kritisch, weil fehleranfällig" sei das bei Gasmessungen. Weiterhin seien Tests als "ungültig" erklärt worden, ohne dass nachvollziehbar sei warum, wann und von wem. Was bedeutet: Es könnten Tests mit schlechten Werten gestrichen worden sein. Die Regeln erlauben jedoch pro Wagen nur drei Prüffahrten und Streichungen nur mit klarer Begründung.

Für die Autohersteller kann die Nachlässigkeit zum Problem werden

Es gibt zwar keine Hinweise auf verfälschte Messwerte, und die Hersteller haben offenbar allerlei Qualitäts-Zertifikate vorgelegt. Aber die waren nach Ansicht des Oberkontrolleurs: unzureichend. Oder anders gesagt: Wie lang der Meterstab war und wie er angewendet wird, ist offenbar nicht immer genau bekannt gewesen. Die Messwerte bei der Zulassung könnten richtig sein, sie könnten aber auch zum Vorteil oder zum Nachteil der Hersteller ausgefallen sein.

Für den Autokonzern kann dieses nachlässige Vorgehen zu einem Problem werden: "Wenn der Hersteller Unterlagen vorlegt, die nicht zutreffend sind, hat er seine Pflicht verletzt, dann ist eine Typgenehmigung, die auf dieser Grundlage erteilt wurde, rechtswidrig", sagt Martin Führ, Professor an der Hochschule Darmstadt, Umweltjurist und Gutachter beim Diesel-Untersuchungsausschuss im Bundestag.

Gilt für die Zulassungen etwa das Prinzip: "Wer zahlt schafft an"?

Autozulassungen laufen meist folgendermaßen ab: Nachdem ein Fahrzeug fertig entwickelt ist, wird es zur Zulassung angemeldet. Auf konzerneigenen Prüfständen fahren Mitarbeiter des Herstellers vorgeschriebene Tests, Kollegen bedienen dabei die Prüfanlagen. Das Ganze beaufsichtigen Kontrolleure eines technischen Dienstes, der dafür von einer Behörde eine Genehmigung braucht.

Dieser Dienst, eine private Firma, ist letztlich verantwortlich für die Stimmigkeit aller vorgelegten Daten. Er sendet die Messergebnisse an eine Zulassungsbehörde. In den vorliegenden Fällen überwacht die Tests das Luxemburger Unternehmen ATE, eine Konkurrenz der deutschen Prüfdienste Tüv und Dekra - und schickt die Papiere dann an die Luxemburger Zulassungsbehörde, die EU-weit gültige Zulassungen erteilt.

ATE hatte einmal den Kontrolleur gebeten, seine Kritik einzuschränken

Auf den ersten Blick läuft alles ordentlich. Die Firma ATE hatte den Oberkontrolleur sogar selbst entsandt zu Audi und VW, als Auditor, wie man das im Prüfgeschäft nennt. Aber das System stößt an Grenzen, wie die Dokumente zeigen. Vielleicht auch, weil gilt: Wer zahlt, schafft an.

So hat ATE den Oberkontrolleur etwa einmal gebeten, seine Kritik einzuschränken, auch wenn sie zutreffend sei: Da sein Bericht "durch internationale Behörden" angesehen werde, störe "die teilweise sehr drastische Wortwahl etwas". Der Oberprüfer mahnte im Gegenzug, ATE müsse gegenüber dem Auftraggeber Audi streng bleiben. Wenn die Audi-Ingenieure ungehalten seien ob der Genauigkeit, sollte die Antwort lauten: "Wollen Sie gesetzeskonform prüfen oder auf den nächsten Skandal warten?"

ATE weist die Vorwürfe heftig zurück

Ausgerechnet die, die am härtesten sein müssten, die Prüfer, sind also mitunter sanft. Wohl auch, weil das Testen ein Geschäft ist und nicht nur hoheitlicher Akt. "Die technischen Prüfer sind natürlich von Großaufträgen besonders abhängig", sagt Umweltjurist Führ. Ein Dilemma, weil die Behörden selbst nicht mehr testen: "Macht der technische Dienst einen Fehler, dann ist das ganze System auf Sand gebaut."

ATE weist solche Vorwürfe heftig zurück: An der Korrektheit der Messwerte gebe es keine Zweifel, und es seien keine Normen verletzt worden. Auch hätten Behörden keine Verletzung der Prüfvorschriften festgestellt. Man habe jedoch selbst "durch kritisches Hinterfragen Verbesserungspotenzial entdeckt."

Beim VW-Konzern spricht man ähnlich: Der Prüfdienst ATE arbeite unabhängig, versichert der Hersteller - und die eigenen Anlagen seien "prüffähig". Und doch scheint man sich indes nicht ganz so sicher, dass wirklich immer alles seine gute Ordnung hatte. Die Marken VW und Audi seien "ab November 2016 intensiv in dieses Thema eingestiegen", erklärt ein Konzernsprecher, und würden daran arbeiten, die Anforderungen der ISO 17025 "im Detail" umzusetzen. Es werde aktuell überprüft, ob weitere Maßnahmen notwendig seien. Mit anderen Worten: Zuvor war das normgerechte Messen wohl tatsächlich nicht so wichtig.

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