Süddeutsche Zeitung

Karstadt:Rettung kurz vor knapp

Karstadt-Investor Nicolas Berggruen zieht die Geldgeber des Vermieterkonsortiums Highstreet auf seine Seite. In letzter Sekunde - und 25.000 Mitarbeiter atmen auf.

Stefan Weber, Düsseldorf

Die letzte Hürde ist genommen: Nach monatelangem Gezerre ist der Verkauf der Warenhauskette Karstadt an den deutsch-amerikanischen Privatinvestor Nicolas Berggruen beschlossene Sache. Am Donnerstag stimmten sämtliche Gläubiger des Vermieterkonsortiums Highstreet den von Berggruen geforderten Mietsenkungen zu. Allerdings fehlten nach Angaben aus Verhandlungskreisen bis zum Abend noch die Unterschriften unter den entsprechenden Verträgen. An diesem Freitag folgt der voraussichtlich letzte Akt in dem Gezerre um Karstadt. Dann entscheidet das Amtsgericht Essen über die Annahme des Insolvenzplans. Die Zustimmung gilt als sicher, sofern sich Berggruen und Highstreet einig sind.

Am Tag der Entscheidung war Nicolas Berggruen viele hundert Kilometer entfernt von dem Ort, an dem über die Zukunft von Karstadt abgestimmt wurde. Während die Geldgeber von Highstreet in London berieten, ob sie den Weg für den Verkauf der Warenhauskette an den Privatinvestor freimachen, tippte Berggruen am Donnerstag in Berlin noch intensiver als sonst auf seinem Blackberry. Um Kontakt zu halten mit London und um sofort zum Flieger zu eilen, falls die Nachricht käme: Ihre Anwesenheit ist erforderlich! Kaum auszudenken, wenn es jetzt technische Probleme mit seinem Kommunikationsgerät geben würde, so wie vor ein paar Tagen, als Berggruen für ein paar Stunden nicht online war.

Kurz nach elf Uhr Londoner Zeit kamen dann die ersten positiven Nachrichten: Die Anleihegläubiger von Highstreet haben dem Mietvertrag zugestimmt! Das war ein Etappensieg, der zu erwarten gewesen war. Denn zum einen ist der Einsatz dieser Geldgeber über die Karstadt-Immobilien vergleichsweise gut abgesichert. Zum anderen genügte eine Zustimmungsquote von 75 Prozent. Sehr viel höher war die Hürde, die nun zu nehmen war: Auch die Kapitalgeber, die Highstreet Mezzanine-Kapital zur Verfügung gestellt hatten, eine Mischform aus Eigenkapital und Kredit, für das sie keine Sicherheiten erhielten, mussten der Vereinbarung zustimmen. Und zwar alle. Eine heikle Konstruktion.

Eine einzige Stimme reichte, um den Deal platzen zu lassen. Unter den Mezzanine-Geldgebern, das war seit langem bekannt, gibt es unterschiedliche Interessen. Darin hatte der italienische Kaufhausbetreiber Maurizio Borletti, der weit nach Schalterschluss ein Kaufangebot für Karstadt abgegeben hatte, seine Chance gesehen, Berggruen auf der Ziellinie doch noch abzufangen.

Zwar hatte Insolvenzverwalter Görg die Offerte des Italieners noch am Dienstag mit harschen Worten zerpflückt und mit dem Urteil "nicht unterschriftsreif" zurückgewiesen. Aber was hieß das schon. Wenn Berggruen scheitern sollte und Görg dem Gläubigerausschuss wie geplant postwendend seinen Plan zur Liquidation vorlegen würde, könnte mancher in dem elfköpfigen Gremium den Vorschlag machen, doch zunächst das Angebot von Borletti eingehender zu prüfen. Oder gar ein neues Bieterverfahren auszurufen. Anstatt Görgs Liquidationskonzept durchzuwinken. Das sah vor, die Sport- und Premiumhäuser unmittelbar zu verkaufen und das letzte Karstadt-Haus schon Ende Februar 2011 zu schließen.

Berggruen konnte somit auch um halb zwölf noch nicht sicher sein, dass er neuer Eigentümer von Karstadt wird, als Spekulationen die Runde machten: Die Verhandlungen stehen kurz vor dem Durchbruch, es fehlt nur noch eine Stimme. Eine Stimme, die über die Zukunft eines Konzerns mit 25 000 Mitarbeitern entscheidet und die damit plötzlich sehr wertvoll ist. "Da wird gezockt bis zum Schluss", heißt es gegen Mittag aus dem Kreis der Beteiligten.

Zwei Stunden später melden dann die ersten Medien: "Karstadt gerettet. Einigung mit Berggruen". Von Seiten Highstreet kommt gleich ein Dementi. Die Verhandlungen dauerten an. Aber die Kommunikationsabteilung des Deutsch-Amerikaners bestätigt: "Ja, wir sind durch. " Schon werden Vorbereitungen für eine kleine Pressekonferenz mit dem neuen Karstadt-Eigentümer am Abend in Berlin getroffen. Aber nur knapp 60 Minuten später rudert das Berggruen-Lager wieder zurück. Es gebe nun doch noch winzige Details zu klären. Dann vergehen erneut Stunden, ohne dass es eine offizielle Bestätigung dafür gibt. Aber aus dem Kreis der Beteiligten wird von verschiedenen Seiten versichert, dass eigentlich nichts mehr schiefgehen könne. Alle Mezzanine-Geldgeber hätten den Mietverträgen zugestimmt. Es fehlten nur noch die Unterschriften unter die entsprechenden Verträge.

So ging es auf der Ziellinie des Rennens um Karstadt zu wie so oft in den vergangenen 15 Monaten, nachdem der Arcandor-Konzern mit Karstadt, Quelle, einigen Spezialversendern und einer Mehrheitsbeteiligung am Reiseunternehmen Thomas Cook am 9. Juni 2009 Insolvenz angemeldet hatte. Immer, wenn die Lösung schon greifbar nahe war, tauchten doch wieder Probleme auf. Mussten Hürden überwunden werden, die vorher niemand gesehen hatte oder sehen wollte.

Und weil Karstadt mit seiner bald 130 Jahre langen Geschichte und 25.000 Mitarbeitern nicht irgendein Unternehmen in Deutschland ist, gab es ein kaum zu durchdringendes Geflecht von Interessen. Insolvenzverwalter, Gläubiger, Kaufinteressenten, Vermieter, Mitarbeiter und Politik meldeten sich regelmäßig zu Wort, zogen Fäden und beschimpften einander mitunter gar. Nur eine Entscheidung, wie es mit dem traditionsreichen Warenhauskonzern weitergeht, wurde nicht getroffen.

Aber jetzt ist es tatsächlich auf Berggruen zugelaufen. Auf den Mann, der gleich nach der Unterzeichnung des Kaufvertrages vor knapp drei Monaten gesagt hatte, Karstadt sei für ihn eine "Kultmarke", die es wiederzubeleben gelte. Wie groß die Erwartungen der Mitarbeiter sind, hatte er am Dienstag bei einem Auftritt in der Kantine der Essener Konzernzentrale erfahren. Als er den Raum betrat, wie meist mit Drei-Tage-Bart und weißem, weit aufgeknöpftem Hemd unter dem Jacket, waren sie von den Stühlen gesprungen, hatten minutenlang applaudiert. Und am Ende, als Berggruen Sätze gesagt hatte wie "Karstadt ist wichtig für die Herzen aller Deutschen, und es ist wichtig für mein Herz, irrsinnig wichtig", hatten sich einige Damen sogar mit ihm fotografieren lassen. Da muss sich Berggruen wie ein Popstar gefühlt haben.

Er hat versprochen, keine Häuser zu schließen und will auch keine Arbeitsplätze streichen. Mit welchen Ideen Berggruen die Warenhauskette, die seit Jahren Umsatz verliert und derzeit nur dank hoher Kosteneinsparungen Überschüsse erwirtschaftet, wieder flott machen will, ist erst in Grundzügen bekannt. Fragen knüpfen sich vor allem an seine Absicht, die 120 Karstadt-Häuser in drei rechtlich selbständige Einheiten zu teilen: eine für die Premiumhäuser, eine für die Sporthäuser und eine für die Standardhäuser. Diese Spaltung soll Partnerschaften möglich machen.

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SZ vom 03.09.2010/mel
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