Zukunft der Nachrichten-App:Zuckerberg schickt die Roboter los

Mark Zuckerberg

Facebook-Chef Mark Zuckerberg mit dem Antrieb eines Solarflugzeugs. Abheben sollen, wenn es nach ihm geht, auch sogenannte Chatbots.

(Foto: Eric Risberg/AP)

Der Chef von Facebook will, dass Menschen künftig über den Messenger mit Robotern chatten, und sich so Schuhe, Pizza und Wettervorhersage liefern lassen.

Von Johannes Kuhn, New Orleans

Das Zeitalter des Smartphones ist verrückt. Da arbeitet die Menschheit Jahrzehnte daran, Computer nicht mehr durch die Eingabe umständlicher Befehle steuern zu müssen, und dann werden im 21. Jahrhundert plötzlich Chatbots zum Trend. Kaum etwas elektrisiert die Tech-Branche im Jahr 2016 so wie kleine Smartphone-Programme, die sich über das Eintippen von Wörtern und Sätzen steuern lassen.

Facebook öffnet seinen Kurznachrichtendienst Messenger für "intelligente Konversations-Bots" und folgt damit dem Weg, den bereits kleinere Konkurrenten wie Kik oder Telegram gegangen sind. Der Messenger, eigentlich ein intimer Ort für den Austausch mit Freunden und Bekannten, wird nach den Vorstellungen Mark Zuckerbergs, des Facebook-Chefs, zur Kommunikationszentrale für, nun, beinahe alles. Statt mit Partner, Familie und Freundeskreis chatten Menschen künftig mit Robotern von Marken und Shops, lassen sich Schuhe, Pizza und die Wettervorhersage liefern oder machen Termine aus. So zumindest die Theorie.

900 Millionen Menschen nutzen Facebooks Messenger. Jetzt erreicht sie die erste große Entwicklung aus jenen Regionen, die bei der Digitalisierung Laptops übersprungen haben und direkt in der Mobil-zeit gelandet sind: In Asien wickeln Nutzer der App Wechat schon seit Jahren Bestellungen, Jobsuche oder Bezahlung über Miniprogramme in der Chat-Software ab.

Anhand des Vorbilds Wechat lässt sich auch Facebooks strategisches Interesse ableiten: Der Dienst des chinesischen Internetkonzerns Tencent hat viele bisher genutzte Smartphone-Anwendungen überflüssig gemacht und sich als Betriebssystem über dem Betriebssystem etabliert. Seine Mitteilungen dominieren den Homescreen - den Hauptbildschirm des Handys. Facebook könnte damit einen entscheidenden Nachteil gegenüber Google und Apple kompensieren: das Fehlen eines eigenen mobilen Betriebssystems wie Android oder iOS.

Facebooks Extrazutat besteht aus lernender Software, einer Frühform künstlicher Intelligenz. Darin liegt auch der Paradigmenwechsel, der sich seit der frühen Kommunikation mit Computern vollzogen hat: Früher mussten Nutzer erst komplizierte Kommandos lernen, damit Computer taten, was sie sollten. Nun haben die Rechner gelernt, mit ihren Anwendern zu reden und sich menschlichen Kommunikationsmustern anzupassen.

Doch warum sollten Menschen künftig ausgerechnet chatten wollen, wenn es doch Apps für verschiedenste Dienstleistungen gibt? Facebook sieht das so: Messenger haben sich als wichtigste App-Gattung der Smartphone-Ära entpuppt, vergangenes Jahr benutzten 1,4 Milliarden Menschen mobile Chat-Software. Zugleich zeigt der Rest des App-Marktes deutliche Symptome der Sättigung. Immer weniger Programme erreichen einen dauerhaften Platz auf dem Homescreen oder werden so regelmäßig aufgerufen, dass sich die Entwicklung lohnt: Ein Viertel aller heruntergeladener Apps wird nur ein einziges Mal verwendet. Facebooks Versprechen an die Entwickler: eine neue Chance, auf Hunderte Millionen neuer Kunden zu treffen, im Messenger, mit einer Chatbot-Anwendung.

Das ändert einiges: Anders als Apps lagern Chatbots nicht auf dem Speicher eines Smartphones, sondern in der Cloud, also auf externen Servern. Ein Grund, weshalb Microsoft als Anbieter von Rechenkraft seit Kurzem Werkzeuge zur Bot-Programmierung zur Verfügung stellt. Der Konzern hofft, dass Bot-Entwickler ihre Software auf Microsofts Servern speichern und dafür bezahlen.

Theoretisch sinkt damit für Nutzer die Hürde, ein neues Programm auszuprobieren. Telegram experimentiert mit einer aktuelleren Variante von QR-Codes , die Bots in der physischen Welt verankern sollen. Hypothetisches Szenario: Im U-Bahnhof klebt ein Sticker. Ein Tourist kann durch Scannen einen Chatbot aktivieren, der nicht nur über Fahrplan und Verspätungen Auskunft gibt, sondern auch Tickets verkauft. Der mühsame Download der örtlichen App der Verkehrsbetriebe wird dadurch unnötig.

Das Beispiel zeigt allerdings auch, dass nicht jede Funktion über einen Bot laufen muss. Wenn der Chat mit der U-Bahn-Software länger dauert, als eine Website zu öffnen oder eine SMS-Auskunft anzufordern, ist er überflüssig. Spart ein Chat im Vergleich zu einer Online-Reisebuchung im Web aber viele Klicks und die mühsame Eingabe von Kundendaten, hilft er. Erste Mini-Bots lassen sich deshalb weniger über Wortbefehle, sondern über eine Mehrfachauswahl an Antworten navigieren.

Apps haben das mobile Web verdrängt, nun greifen die Bots die Apps an

Einheitliche Designs zur Nutzerführung gibt es allerdings noch nicht. In den kommenden Monaten dürften - wie schon zu Beginn von Apples App-Store - viele interessante und noch mehr schlechte oder überflüssige Chatbots den Messenger erobern, bevor sich wirklich sinnvolle Nutzungsszenarien zeigen.

Apps waren dem Web überlegen, sobald sie Smartphone-Funktionen nutzten, die es nur auf diesen Geräten gab, wie etwa Sensoren. Chatbots werden Apps und dem Web dort gefährlich, wo sie Nutzern im Hintergrund Arbeit abnehmen, gleichzeitig aber nicht nerven. Damit wildern sie in jenem Gebiet, das eigentlich persönliche Assistenten wie Google Now (Android) oder Siri (iOS) besetzen wollen, die per Stimme bedienbar sind. Das könnte die Dominanz von Google und Apple gefährden.

Es ist es nur eine Frage der Zeit, bis Entwickler für die Betriebssystem-Assistenten eigene Hilfsprogramme schreiben können (auch wenn Apple damit den App-Store schwächen würde). Diese Software hätte dann auch Zugriff auf die Systemfunktionen des Smartphones, eine Eigenschaft, die Facebooks Messenger-Assistenten M oder auch Microsofts Assistent Cortana schmerzhaft fehlt. Ob die "dialogische Nutzeroberfläche" (conversational UI) wirklich ein neues Bedienungsprinzip begründen wird, lässt sich noch nicht seriös prognostizieren. Entkommen werden wir ihr aber nicht.

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