Süddeutsche Zeitung

Zuckersteuer:Süßer Streit

Eine Strafabgabe verteuert zuckrige Limonaden in Großbritannien. Der Gesundheitsminister will die Steuer nun ausweiten, doch Boris Johnson, der mögliche neue Premierminister, stellt ihren Nutzen in Frage.

Von Björn Finke, London

Erst die Cola, nun der Schokoshake: Vor 15 Monaten führte Großbritannien eine Strafabgabe für zuckrige Limonaden ein. Die heißt Soft Drinks Industry Levy, wird aber gemeinhin kurz und anschaulich Zuckersteuer genannt. In dieser Woche stellte Gesundheitsminister Matt Hancock im Kabinett Pläne vor, die seiner Meinung nach "sehr erfolgreiche" Steuer auf Milchshakes auszuweiten. Doch die Chancen dafür stehen schlecht - zumindest wenn Boris Johnson neuer Premierminister wird. Der Brexit-Vorkämpfer sagte, eine Einbeziehung von Shakes würde "jene schröpfen, die es sich am wenigsten leisten können". Der frühere Außenminister versprach zudem, generell den Nutzen der Strafabgabe zu prüfen, und stellte damit ihre Abschaffung in den Raum. Die Getränke-Industrie würde sich freuen, denn sie hat die Zuckersteuer heftig bekämpft.

Ein Drittel der jungen Briten verlässt die Grundschule mit Übergewicht

Johnson gilt als Favorit für die Nachfolge von Premierministerin Theresa May. Die 160 000 Mitglieder der Konservativen Partei wählen bis 22. Juli einen neuen Partei- und Regierungschef. Deswegen bombardieren Johnson und sein Mitbewerber Jeremy Hunt die Öffentlichkeit gerade mit blumigen Ankündigungen und waghalsigen Versprechen. Für seine Angriffe auf die Zuckersteuer kassierte Johnson aber viel Widerspruch - von Gesundheitskampagnen, der Oppositionspartei Labour und Wissenschaftlern. Johnsons Äußerungen sind auch peinlich für den Gesundheitsminister: Hancock unterstützt dessen Bewerbung für das Amt des Premiers, doch zugleich torpediert Johnson Hancocks Pläne.

Die Zuckersteuer wurde noch von der Regierung des früheren Premiers David Cameron beschlossen. In Kraft trat sie im Frühjahr 2018. Seitdem zahlen Hersteller, die ihren Brausen zu viel Zucker hinzufügen, eine Strafe. Enthält ein Getränk mindestens acht Gramm Zucker pro 100 Millilitern, sind es 24 Pence pro Liter, umgerechnet 27 Cent. Eine Dose Coca-Cola wird damit um neun Cent teurer. Für Getränke mit fünf bis acht Gramm Zucker pro 100 Millilitern ist die Abgabe ein wenig niedriger.

Mit den Einnahmen fördert die Regierung den Sport in Schulen. Ziel der Steuer ist es, dass Kunden im Supermarktregal zu gesünderen Getränken greifen. Außerdem haben viele Hersteller den Zuckergehalt ihrer Brausen gesenkt, um sich die Abgabe zu ersparen. Anfangs hieß es, die Steuer werde 520 Millionen Pfund pro Jahr einbringen. Wegen der geänderten Rezepturen sollen es nun nur noch 240 Millionen Pfund sein. Klingt unerfreulich, doch tatsächlich feiert die Regierung die Reaktion der Industrie als Erfolg: Dank der neuen Rezepturen nehmen Briten geschätzt pro Jahr 45 Millionen Kilogramm weniger Zucker in Limonaden zu sich.

Dass Johnson eine Ausweitung auf Milchgetränke ablehnt, begründet er mit der Belastung für Geringverdiener. Kritiker klagen oft, dass die Zuckersteuer Arme am härtesten trifft, denn diese müssen einen großen Teil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben. Verteidiger argumentieren hingegen, es helfe den Armen, wenn sie dank der Steuer gesünder leben.

Anlass für die Abgabe waren beunruhigende Zahlen: Studien zufolge verlässt ein Drittel der jungen Untertanen Ihrer Majestät die Grundschule mit Übergewicht. Kinder aus armen Familien sind davon besonders betroffen. Und den meisten Zucker nehmen junge Briten über Limonaden zu sich. Wer schon als Jugendlicher Speckrollen hat, wird diese später nicht so leicht los und hat ein höheres Risiko für Krankheiten wie Diabetes. Außerdem schadet der Zucker den Zähnen der Kinder. Das alles kostet den klammen staatlichen Gesundheitsdienst NHS Milliarden. Fachleute und Politiker sprechen bereits von einer "Übergewichts-Krise" im Königreich. Die Forschungsorganisation Cancer Research UK veröffentlichte erst in dieser Woche eine Studie, derzufolge vier verbreitete Krebsarten inzwischen häufiger von Übergewicht als von Rauchen ausgelöst werden.

Es ist zu früh für Untersuchungen, ob die Zuckersteuer und die gesünderen Limonaden-Rezepturen die Briten wirklich schlanker machen. Studien aus anderen Ländern zeigen jedoch meist einen Rückgang des Konsums zuckriger Brausen. Johnson sagt aber, anstatt Steuern einzuführen, solle die Regierung die Bürger lieber "ermutigen, spazieren zu gehen, Fahrrad zu fahren und generell mehr Sport zu treiben". Der exzentrische Politiker war allerdings nicht immer ein Gegner solcher Steuern. Als Bürgermeister von London führte er vor gut drei Jahren eine Zehn-Pence-Abgabe auf zuckrige Brausen im Cafe des Rathauses ein. Damals bezeichnete er Übergewicht als "eine der größten Herausforderungen" für die Politik.

Seine Kehrtwende könnte daher schlicht dem Wahlkampf geschuldet sein. Viele Mitglieder der Konservativen Partei lehnen die Vorstellung ab, dass die Regierung Bürgern beim Essen und Trinken reinredet. So etwas gilt ihnen als Auswuchs des "Nanny States", des überfürsorglichen Staates. Johnsons Äußerungen werden solchen Konservativen gut gefallen - und könnten den Politiker seinem Traum näher bringen, zum Premier gewählt zu werden.

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SZ vom 05.07.2019
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