Zu höflich:Dieses Start-up übernimmt für Japaner die Kündigung

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Menschen überqueren in Tokio eine Straße: Vielen Japanern fällt es schwer, zu kündigen. (Foto: REUTERS)

Japaner kündigen fast nie, selbst wenn sie gemobbt werden oder wahnsinnig viele Überstunden machen müssen - sie sind zu höflich. Für 400 Euro bekommen sie nun Hilfe.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Niemand überbringt gerne schlechte Nachrichten, aber kaum einer anderen Nation fällt das so schwer wie den Japanern. Sie lernen von klein auf, dass es sich nicht gehört, jemandem zur Last zu fallen. Leuten, die hierarchisch über ihnen stehen, schon gar nicht.

Das hält viele Japaner davon ab, ihren Job zu kündigen, selbst wenn sie gemobbt, gequält oder zu unendlichen Überstunden gezwungen werden. Sie fürchten das Kündigungsgespräch. Zudem gibt es Bosse, die eine Kündigung einfach ablehnen. "Senshi", ein Start-Up in Tokio, macht das zum Geschäft. Für 50 000 Yen, 400 Euro, nimmt Senshi ihnen das Kündigungsgespräch und den Papierkram ab. Sie müssen nie mehr in die verhasste Firma.

Nur wer als Zeitarbeiter jobbt, kann die Stelle ohne Verlust wechseln

Die Japaner haben noch andere Gründe, nicht zu kündigen. Für Fachkräfte gibt es keinen Arbeitsmarkt. Toyota würde keinen Ingenieur einstellen, der von Nissan kommt. Besonders die Großen wollen nur Leute direkt von der Uni. Sie bilden sie aus und formen sie zum Beispiel zum "Toyota-Menschen". Die Bosse entscheiden, in welchem Job sie eingesetzt werden, oft auch in welcher Stadt. Dafür können sie damit rechnen, bis zur Rente zu bleiben.

Bisher war in Japan fast jeder Arbeitsplatzwechsel mit Lohneinbußen und Statusverlust verbunden. Auch deshalb stagnieren die Löhne. Nur wer als wenig angesehener Zeitarbeiter jobbt, kann die Stelle ohne Verlust wechseln.

Doch viele Japaner halten es in ihrem Job nicht mehr aus. So haben Yuichiro Okazaki und Toshiyuki Niino, zwei heute 28-jährige Jugendfreunde, bereits für 800 Leute gekündigt, seit sie ihr Start-Up vor einem Jahr gründeten. Und die Nachfrage steigt. Auf ihrer Website "Exit" erklären sie die Rechtslage: Eine Kündigung darf normalerweise nicht abgelehnt werden. Sie zerpflücken die Argumente, mit denen Bosse ihren Leuten die Kündigung auszureden versuchen, indem sie Schuldgefühle wecken etwa. "Unser Dienst hilft auch den Firmen", sagte Niino der Japan Times. Wer weg will, sei keine gute Arbeitskraft. Doch ein Chef verliert das Gesicht, wenn ihm jemand davonläuft.

Okazaki und Niino hoffen, ihre Kündigungsagentur werde helfen, den starren Arbeitsmarkt zu öffnen. Dazu trägt der gegenwärtige Arbeitskräftemangel ebenfalls bei. Inzwischen gibt es häufiger Leute, die an ihren neuen Stelle mehr verdienen als zuvor.

© SZ vom 12.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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