Wie geht es an den verseuchtesten Orten der Welt zu? Andrew Blackwell hat einige von ihnen besucht - darunter auch Fort McMurray, Schauplatz des Doku-Spiels Fort McMoney auf Süddeutsche.de. Im Gespräch erklärt Blackwell, Journalist und Filmemacher, warum der triste, zugleich boomende Ort die moderne Gesellschaft im Kleinen widerspiegelt. Sein Buch "Willkommen im sonnigen Tschernobyl" ist im Ludwig-Verlag erschienen. Sie haben eine Reise zu einigen der verseuchtesten Orten der Erde gemacht. Welcher hat Sie am meisten überrascht? Mich hat vor allem das Gebiet um den Fluss Yamuna in Neu-Delhi beeindruckt. Die Yamuna ist unfassbar verschmutzt, im Grunde nur Abwasser. Dennoch gibt es Leute, die auf ihr und in ihr arbeiten. Sei es als Teil religiöser Rituale, sei es, weil sie nach wiederverwertbaren Materialien suchen. Manche fischen sogar darin. Im Bild: Der Fluss Yamuna in Delhi - Indiens dreckigster Fluss. Über Jahre hat der Mann auf dem Foto seinen Lebensunterhalt verdient, indem er beispielsweise Münzen aus dem Wasser fischte.
Wie gehen die Menschen mit der Situation um, die dort leben oder arbeiten? Die meisten haben kaum eine Alternative - sie müssen bleiben. Für die anderen gilt: Die Leute gewöhnen sich mitunter an die seltsamsten Dinge. Und das entscheidet ganz wesentlich darüber, ob man bleibt oder geht. Viele der übel verschmutzten Städte und Plätze bieten ihren Bewohnern auch viel - und sei es nur aus wirtschaftlicher Sicht. Und die Dritten engagieren sich, versuchen, die Kontrolle über ihre Umwelt zu übernehmen und sie zu verändern. Im Bild: Vergnügungspark in Pripjat in der Ukraine. Er liegt in der Zone, die nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl dauerhaft evakuiert wurde.
Sie waren auch in Fort McMurray, Kanada, Schauplatz unseres Doku-Spiels Fort McMoney. Wie muss man sich den Ort vorstellen? Fort McMurray ist ein Außenposten unserer Öl-Zivilisation - geografisch isoliert, symbolisch jedoch sehr nahe an unserem Lebensstil. Der Ort verkörpert die ganze Ambivalenz, mit der wir unsere öldominierte Gesellschaft sehen sollten. In dieser Gesellschaft funktioniert vieles - Gutes und Schlechtes - eben nur deshalb, weil dafür die Erde ausgebeutet wird. Politik, Wirtschaft: Alles hängt letztlich am Öl. Und genauso dreht sich in Fort McMurray letztlich alles um die Ölsande. Im Bild: In Fort McMurray herrscht ein enormer Bedarf an Wohnungen. Die Preise für Mieten und Immobilien zählen zu den höchsten in ganz Kanada.
Gibt es in Fort McMurray Lebensbereiche, die sich dem Einfluss des Öls und der Industrie entziehen? Nein. Es gibt einfach kaum Gründe, warum es Fort McMurray ohne die Teersande geben sollte. Ohne die Industrie wäre es ein winziges Örtchen - tatsächlich aber ist es nun eine betriebsame, wachsende Stadt. Im Bild: Ein Becher mit Schweröl - gewonnen aus Teersand.
Kommen Menschen nach Fort McMurray, um sich das Ausmaß der Zerstörung der Natur selbst anzuschauen? Es gibt schon ein paar Touristen, die das interessiert. Die meisten allerdings kommen wegen der ausgedehnten Wälder, die Fort McMurray umgeben. Sie bieten Platz für Outdoor-Sport, vom Wandern und Camping bis zum Jagen und Motorsport. Gerade weil Fort McMurray in diesen Waldgebieten liegt, wird die Diskussion um die Teersande so kontrovers geführt.
Kümmert sich die Industrie um die Touristen? Keiner schafft das besser als das Oil Sands Discovery Centre, das man sich als eine Art Museum vorstellen muss, das der lokalen Industrie gewidmet ist. Es ist gut gestaltet und sehr informativ - und zugleich eine bizarre Mischung aus Industrie-Propaganda, Stolz, Rechtfertigung, Kinder-Belustigung und Kitsch. Im Bild: Blick in eine der Teersand-Gruben.
Wie wird das, was wirklich geschieht, vor den Besuchern verborgen? Obwohl sich in Fort McMurray alles um die Industrie dreht, obwohl der Teersand-Abbau zu den größten Umgestaltungen führte, die Menschen je auf der Erdoberfläche durchgeführt haben, war es überraschend schwierig, sie zu besuchen. Zumindest, als ich da war. Das Discovery Centre bot eine Bustour an, der ich erwartungsvoll entgegensah. Umso größer war die Enttäuschung, dass ich zwar etwas Industrie sah, aber die Tagebaue selbst bekam ich nicht zu Gesicht. Was bleibt, sind ein paar Fotografien und Videos im Discovery Centre. Ich musste ein Flugzeug mieten, das mich auf die Reise mitnahm.
Die Stadt Fort McMurray wird von der Industrie dominiert. Wirkt die Regierung der Provinz Alberta als Korrektiv - oder macht sie mit? Ein Mann, der für eine der Ölsand-Firmen arbeitet, beschrieb die Rolle der Provinzregierung einmal so: "Sie kassieren Milliarden von Dollar an Abgaben ... wenn du Land hast, lässt dich die Regierung von Alberta das Öl rausholen. Die interessiert der Profit."
Sie waren an vielen Orten, die gemeinsam haben, dass die Umwelt zumindest teilweise zerstört ist. Ist das auch Lust auf Abenteuer? Es geht nicht darum, schreckliche Dinge zu sehen, sondern ein Verständnis für die Umweltprobleme in diesen Orten und für die Leute dort zu bekommen. Das hat nichts mit Katastrophen-Tourismus zu tun. Die Wahrheit hinter vereinfachten Umwelt-Horrorgeschichten ist eben oft komplex. Ich habe versucht, sie kennenzulernen. Darum gefällt mir übrigens auch die Philosophie hinter dem Spiel Fort McMoney. Möglicherweise vertritt es einen moralischen Standpunkt, aber es ist nicht plump. Es bindet viele Leute aus der Stadt mit ein, die für unterschiedliche Aspekte des Lebens in Fort McMurray stehen - das hilft hoffentlich, ein nuanciertes Bild zu gewinnen. Im Bild: Bei der Produktion von Öl aus Teersanden fallen gewaltige Mengen von Schwefel an, die sich mittlerweile viele Meter hoch auftürmen.