Süddeutsche Zeitung

Autonomes Fahren:Was nach dem Auto kommt

Lesezeit: 5 min

Von Malte Conradi, San Francisco

In einem unscheinbaren Flachbau an der Autobahn zwischen San Francisco und dem Silicon Valley arbeiten Menschen daran, 130 Jahre Tradition, Erfahrung und Industriegeschichte obsolet zu machen. Seit Carl Benz' "Patent-Motorwagen Nummer 1", so sehen sie das hier, wurde das Automobil immer nur graduell weiterentwickelt. Jedes neue Modell, jede Verbesserung baute auf dem Grundprinzip der Vorgänger auf. Und hier, in diesem Gebäude, das nicht einmal ein Logo am Eingang trägt, wollen sie nun den ganz großen Schritt dazu machen.

Sie wollen das Auto neu erfinden, so radikal, dass selbst die Bezeichnung nicht bleiben darf. Deshalb hatten sie lange ein großes Glas: Wer das, woran sie hier arbeiten, "Auto" nannte, musste einen Dollar reinwerfen. Inzwischen ist das nicht mehr nötig, alle sprechen selbstverständlich vom "Roboter" oder, wer es prosaischer mag, vom "Fahrzeug".

Nun ist man große Worte gewohnt an der amerikanischen Westküste. Aber im Vergleich zu dem hier sind die anderen, die bekannten Firmen, geradezu zögerlich: Tesla ersetzt den Verbrennungsmotor einfach durch einen elektrischen Antrieb. Die Google-Tochter Waymo arbeitet an einer Software, die irgendwann besser sein soll, als menschliche Fahrer. Äußerlich und innerlich aber werden die Fahrzeuge von Tesla und Waymo vorerst aussehen wie, nun ja, Autos.

Nur bei Zoox wollen sie alles auf einmal: Ein elektrisch angetriebenes und autonom fahrendes Fahrzeug. Und weil es nicht um einen menschlichen Fahrer herumgebaut werden muss, soll es anders aussehen, als alles, was es bisher gab. Apple hatte mal ähnliche Pläne, gab sie aber auf. Zoox hingegen will schon im Laufe des Jahres 2020 auf den Markt. Dann sollen Kunden die selbstfahrenden Autos - pardon, Fahrzeuge - per Smartphone-App ordern können und sich wie von einem Taxi an ein Ziel in San Francisco und Umgebung bringen lassen.

Würde das gelingen, sähen Konkurrenten wie Waymo (Google) oder Cruise (General Motors), die bislang als führend auf dem Gebiet gelten, ziemlich alt aus. Sie testen ihre selbstfahrenden Autos nämlich vor allem in dünn besiedelten Gegenden in Arizona und Kalifornien. Nach allgemeiner Einschätzung ist die Branche noch Jahre entfernt von dem, was Zoox in 20 Monaten auf der Straße haben will: ein selbstfahrendes Fahrzeug, das sich sicher und verlässlich durch eine Großstadt bewegt.

Große Ziele also für eine Firma, die vor nicht einmal fünf Jahren von einem in der Szene völlig unbekannten australischen Künstler gegründet wurde und bisher nur wenig über sich preisgibt. Während die Konkurrenten jeden Erfolg in die Welt rufen und immer maximal sichtbar sein wollen, um Vertrauen bei zukünftigen Kunden aufzubauen, hört man von Zoox: nichts. Keine Vorführungen, keine öffentlichen Ankündigungen, keine Journalistenbesuche. Nur ganz langsam öffnet sich das Unternehmen nun. Ein Zeichen, dass man tatsächlich glaubt, die gesetzten Ziele erreichen zu können.

In den Hallen schrauben und feilen Mitarbeiter an Einzelteilen für Prototypen, die meisten aber sitzen am Laptop. Ein fertiges Modell des Zoox-Gefährts verbirgt sich hinter einem sorgfältig verschlossenen Vorhang. Hineinblicken darf nur, wer als Investor einen großen Geldkoffer mitbringt.

Gleich am Eingang, aber hinter einem Sichtschutz verborgen, steht ein frühes Modell des Zoox-Gefährts. Im Grunde ist es nur ein Rahmen aus Stahlrohren, auf das Kameras und die Geräte für Radar und Laser montiert sind. "Das Fahrzeug, mit dem wir 2020 die ersten Fahrgäste transportieren werden, wird ganz anders aussehen", versichert der deutsche Software-Ingenieur Marc Wimmershoff. Ein Detail allerdings wird bleiben: Das Fahrzeug ist vollkommen symmetrisch aufgebaut, ein Hinten oder Vorne gibt es nicht. So kann es jederzeit in jede Richtung fahren.

Auf einem Rundgang sind ein paar weitere Details zu erkennen. Auf einem Stahlgerüst öffnen sich Türen, indem sie sich wenige Zentimeter nach vorne bewegen und dann zu beiden Seiten weggleiten, wie bei einer U-Bahn. Schließlich muss das schlaue Auto die Türen selbst öffnen und schließen können, erklärt Wimmershoff.

An einem anderen Teststand sind vier Sitze zu sehen, nicht hintereinander wie gewohnt, sondern einander zugewandt. Wo es keinen Fahrer gibt, muss auch niemand dauernd auf die Straße blicken. Braucht es dann überhaupt Fenster? Und wie soll die Personenkabine aussehen, wenn sie nicht mehr vor allem Arbeitsplatz des Fahrers ist? Erwarten die Fahrgäste ein mobiles Büro, mit drahtlosem Internet, Ladesteckern fürs Smartphone und vielleicht einem Drucker? Oder lieber eine Lounge zum Entspannen, mit Snacks und Getränken und warum nicht einer Spielkonsole?

Über solche Fragen denken Zoox-Mitarbeiter in einer geheimen Fabrikhalle nach, der Zugang zu dieser Design-Abteilung ist mit Gips und Steinen so gestaltet, dass er wie der Eingang einer Höhle aussieht. Hier drinnen geht es um die Frage, was Menschen von einem Auto erwarten, in dem sie nichts tun müssen. Auch über selbstfahrende Friseur-Autos wird schon nachgedacht, aus denen man nach der Fahrt mit einer neuen Frisur aussteigen würde. Genauso sind Massage-Autos denkbar oder Schlafwagen.

Dass Zoox mit seinen überzogen anmutenden Zielen in der Branche überhaupt ernst genommen wird, fing damit an, dass Risikokapitalgeber großzügige Summen bereitstellten und es der Firma gelang, zahlreiche renommierte Ingenieure von etablierten Konkurrenten wie Tesla abzuwerben. Darunter auch den Deutschen Marc Wimmershoff.

Und dann stattete die Stadt San Francisco Zoox Ende des vergangenen Jahres als erstes und bis heute einziges Unternehmen mit einer Lizenz aus, Fahrgäste mit autonomen Fahrzeugen zu transportieren. Vorerst noch unter der Bedingung, dass ein Sicherheitsfahrer hinter dem Steuer sitzt, um jederzeit eingreifen zu können. An den Bedingungen für ein Pilotprojekt ohne Fahrer arbeitet die Stadt derzeit.

Den wichtigsten Grund, warum man sie und ihre Ziele ernst nehmen sollte, liefern die Zoox-Ingenieure aber derzeit im Zentrum von San Francisco. Dort testen sie ihre Systeme mit umgebauten Toyota-Geländewagen. Hier zu fahren ist auch für Menschen anstrengend, für selbstfahrende Autos ist es wohl eine der schwierigsten Umgebungen in der westlichen Welt: Enge Straßen, manche extrem steil, auf denen rechts und links Autos parken. Fahrradfahrer, Fußgänger die unvermittelt auf die Straße treten, Schlaglöcher. Und dann noch zahlreiche Lieferwagen, die in zweiter Reihe parken oder in enge Einfahrten manövrieren.

Auch Bill Gates soll angetan gewesen sein

Das Zoox-System meistert die einstündige Fahrt flüssig, ohne das ständige Stocken, das das Fahren in autonomen Autos sonst noch oft sehr anstrengend macht. Nach wenigen Minuten ist vergessen, dass es kein geübter Fahrer ist, der das Auto lenkt. Kürzlich sei Bill Gates zu einer Probefahrt gekommen, heißt es. Auch er soll angetan gewesen sein.

Und dann, fast am Ende der Testfahrt, demonstriert die Maschine, was vielleicht das Schwierigste am autonomen Fahren sein wird: die Kommunikation mit Menschen. Auf der rechten Spur steht ein SUV, er wartet darauf, dass der riesige Feuerwehrtruck vor ihm rückwärts in eine Einfahrt manövriert. Aus dem Seitenfenster des SUV bedeutet eine Hand, man möge warten. Das ist der Blick eines Menschen auf die Situation.

Die Software sieht: ein Auto, das bewegungslos auf der Straße steht. Davor ein großes Fahrzeug, das langsam aber zielstrebig den Weg freimacht. Also kurvt das System schwungvoll an dem SUV vorbei und ist genau in dem Moment zur Stelle, als der Feuerwehrwagen den Weg freimacht. Der SUV-Fahrer brüllt aufgeregt irgendetwas. Der Roboter fährt grußlos weiter.

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Quelle:
SZ vom 05.03.2019
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