Süddeutsche Zeitung

Zollstreit:Pause im Handelsstreit

Amerika und China bewegen sich aufeinander zu, zumindest etwas. Beiden fehlt gerade die Kraft für den Zwist. Gelöst ist er aber nicht.

Von Christoph Giesen und Claus Hulverscheidt, Peking/New York

Man kann fast den Überblick verlieren, wie oft Liu He, der stellvertretende chinesische Premierminister, in den vergangenen anderthalb Jahren nach Washington geflogen ist. Und immer ging es um den Handelskonflikt zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt. Jedes Mal traf er auf Finanzminister Steve Mnuchin und Robert Lighthizer, den zähen Handelsbeauftragten der US-Regierung. Sonderlich nahe gekommen war man sich bislang nicht. Nun aber scheint man ein Stück weiter - und Liu gratulierte Lighthizer zum 72. Geburtstag.

Noch unmittelbar vor Beginn der jüngsten Gespräche hatte es so ausgesehen, als sei eine weitere Zuspitzung unvermeidbar. Die USA drohten für die kommende Woche mit weiteren Zöllen und schränkten wegen der Unterdrückung von Muslimen in Westchina die Lieferung amerikanischer Hightech-Komponenten an Firmen aus der Volksrepublik weiter ein. Die Pekinger Führung wiederum setzte US-Unternehmen unter Druck, weil diese gegen chinesische Zensurbestimmungen verstoßen hatten, darunter die Profi-Basketballliga NBA.

Donald Trump droht ein Impeachment-Verfahren, Xi Jinping hat mit Hongkong zu tun

Gleich zu Beginn der Gespräche jedoch wurde klar, dass beide Seiten es sich derzeit schlicht nicht leisten können oder wollen, den Handelsstreit weiter eskalieren zu lassen. US-Präsident Donald Trump und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping haben gerade zu viele andere Probleme: Trump steht vor einem Amtsenthebungsverfahren, er hat mit seiner Syrien-Politik erstmals weite Teile der eigenen Partei gegen sich aufgebracht - und die amerikanische Wirtschaft droht wegen des Handelsstreits in die Rezession abzurutschen. Sollte das tatsächlich passieren, verlöre Trump ausgerechnet im Wahljahr 2020 das wichtigste Argument für seine Wiederwahl. Xi wiederum hat mit den Dauerdemonstrationen in Hongkong zu tun, die nicht in den Griff zu bekommen sind. Und auch die chinesische Wirtschaft ächzt unter den Strafzöllen.

Angesichts des Drucks musste Trump von seiner Idee Abstand nehmen, alle strittigen Themen auf einmal zu verhandeln und die Lösungen in ein einziges umfassendes Abkommen zu gießen. Noch vor wenigen Tagen hatte er es abgelehnt, einzelne Punkte aus dem Paket herauszulösen - wohl wissend, dass er mit jedem Teilabkommen Verhandlungsmasse aus der Hand gäbe. Doch seine Strategie erwies sich als nicht umsetzbar: Hätte er auf einer Gesamtlösung bestanden, wären die Verhandlungen einmal mehr gescheitert, und Liu wieder einmal unverrichteter Dinge nach Peking geflogen.

In fundamentalen Fragen aber sind beide Seiten weiter völlig unterschiedlicher Meinung. Das gilt insbesondere für das Investitionsprogramm "Made in China 2025". Ziel der Initiative ist es, chinesische Unternehmen mit Hilfe von massiven Subventionen sowie der Übernahme ausländischer Konkurrenten zu Weltmarktführern in zentralen Zukunftstechnologien wie Mobilität oder künstlicher Intelligenz hochzupäppeln. Die USA sehen in den Staatshilfen eine Wettbewerbsverzerrung und eine Gefährdung ihrer Rolle als Weltwirtschaftsmacht Nummer eins. Auch will Trump unbedingt verhindern, dass sicherheitsrelevante neue Technologien wie der künftige Mobilfunkstandard 5G vor allem von chinesischen Firmen - und damit mittelbar von der Pekinger Regierung - dominiert werden.

Außerdem ist da die Frage, wie überprüft werden soll, ob China etwaige Zusagen zum Schutz geistigen Eigentums, zum Verzicht auf erzwungenen Technologietransfer und zur Öffnung aller Märkte für ausländische Firmen auch tatsächlich einhält. Und ungeklärt ist schließlich ebenfalls, wie das immense Defizit der USA im Handel mit China abgebaut werden soll. Die Beseitigung des Fehlbetrags, den Trump entgegen aller ökonomischen Lehrmeinungen als Schmach empfindet, ist eines der zentralen Versprechen des Präsidenten an seine Kernwähler.

China sagte in den Gesprächen nun lediglich zu, den heimischen Bankenmarkt für amerikanische Finanzdienstleister zu öffnen, die Landeswährung, den Yuan, nicht als Kampfinstrument zur Verbilligung eigener Exporte einzusetzen und den Diebstahl geistigen Eigentums zu unterbinden, der Firmen aus der Volksrepublik immer wieder nachgesagt wird. Zugeständnisse, deren Einhaltung sich entweder nur schwer überprüfen lassen oder kaum ein Hindernis für Peking darstellen. So will die Volksrepublik Agrargüter im Wert von 40 bis 50 Milliarden Dollar in den Vereinigten Staaten kaufen. Es dürfte sich dabei vor allem um Schweinefleisch und Sojabohnen handeln. Beides braucht China dringend. Das Fleisch, weil aufgrund der Schweinepest die eigenen Bestände gekeult werden mussten, die Sojabohnen, weil die Volksrepublik, der mit Abstand größte Verbraucher der Welt ist und mehr als 80 Prozent der Bohnen im Ausland zukauft. Die USA verzichten im Gegenzug darauf, die bestehenden Zölle auf chinesische Waren im Wert von 250 Milliarden Dollar in der kommenden Woche von derzeit 25 auf 30 Prozent zu erhöhen. Sie bleiben dennoch bei schwindelerregenden 25 Prozent.

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Quelle:
SZ vom 14.10.2019
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