Zoff um Geld und Jobs:Die Streithansa

Selbst wenn der Streik vorerst unterbrochen ist: Den Piloten geht es generell nicht um internationale Solidarität, sondern darum, dem Arbeitgeber ein Geschäftsmodell zu verleiden.

Detlef Esslinger

Wieder mal ein Streik im Transportgewerbe, und wieder war die allgemeine Aufregung besonders groß. Die Auseinandersetzung komme "zur Unzeit", rief der Verkehrsminister - als ob je ein Streik zur rechten Zeit gekommen wäre. Vertreter der Industrie sorgten sich bereits um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, der Arbeitskampf hätte ja auch länger dauern können. Und auch die Gewerkschaft tat zunächst nichts, um dem Konflikt etwas von seiner Dimension zu nehmen. "Wir haben einen Waffenstillstand vorgeschlagen"', in eine solche Rhetorik begab sich der Verhandlungsführer von Cockpit. Hallo, geht's noch? Manche Leute scheinen es zu bedauern, dass sie nicht als Partisanengeneral auf die Welt gekommen sind.

Streik bei der Lufthansa, dpa

Der Streik ist jetzt vorläufig ausgesetzt, Lufthansa und Cockpit nehmen die Tarifdiskussion wieder auf.

(Foto: Foto: dpa)

In kaum einer anderen Branche vermögen so wenige Streikende so viele Unbeteiligte so schnell zu treffen wie im Transportgewerbe. Legen Müllwerker die Arbeit nieder, bleibt der Müll zur Not zwei Wochen länger in der Tonne. Sind es Metaller, ärgert sich in der Regel nur der Firmenchef. Sind es aber Lokführer oder Piloten, können sogleich Hunderttausende ihre Pläne stornieren.

Diese Streikenden wissen um ihre Macht, und sie spielen sie umso demonstrativer aus, je ausgeprägter ihr Standesbewusstsein ist. Die Lokführer vor drei Jahren legten zwar auch mal für 96 Stunden die Arbeit nieder, allerdings geschah dies am Ende, nach acht Monaten eines quälenden Streits. Zudem kämpfte diese Gruppe auch aus dem Gefühl heraus, gesellschaftlich kaum wahrgenommen zu werden, was sich in mäßiger Bezahlung und mickrigen Aufstiegschancen spiegelte.

Piloten hingegen wissen nicht einmal, was ein Minderwertigkeitskomplex ist. Seit jeher werden sie als Helden bestaunt; anders als im gesellschaftlichen First-Class-Status kennen sie es gar nicht (was sich in üppiger Bezahlung und famosen Aufstiegschancen spiegelte). Nun aber gelingt es ihnen nicht, in Verhandlungen durchzusetzen, was sie für rechtens halten. Also sollte gleich ihr erster Streik 96 Stunden dauern.

Im Kern ist diese Auseinandersetzung dieselbe wie in vielen anderen Branchen auch, nur dass sie auf finanziell weitaus höherem Niveau stattfindet. Es geht um die Veränderungen in der Arbeitswelt und um die Frage, wie sehr Arbeitnehmer sich Plänen von Arbeitgebern entgegenstellen können. Die Pilotengewerkschaft befürchtet, dass die Lufthansa Strecken verlagert: von der klassischen Lufthansa-Flotte hin zu Tochterunternehmen, bei denen die Tarife billiger sind als im Konzern.

Die Lufthansa hat in den vergangenen Jahren mehrere Fluggesellschaften gekauft oder gegründet: Germanwings, British Midland, Jet Blue, Lufthansa Italia und so weiter. Natürlich geschieht derlei auch zu dem Zweck, Flüge zu anderen Konditionen als bisher anbieten zu können. Der Bedrohung durch Billig-Fluglinien will sich die Lufthansa auch dadurch erwehren, indem sie selbst auf deren Markt aktiv wird - oder indem ihre neuen ausländischen Töchter auch den Charme haben, nach ausländischen Tarifen entlohnen zu dürfen. "Infam" hat der Konzern am Montag die Mutmaßung genannt, er könnte Strecken zum Beispiel auf Lufthansa Italia verlagern - was als Dementi fast schon wieder drollig ist. Es würde bedeuten, dass die Lufthansa eine Tochterfirma gründet, um dann Chancen auszuschließen, die sich daraus ergeben.

Im Grunde passiert bei dem Unternehmen jetzt nur das, was in der übrigen Wirtschaft gang und gäbe ist: Es werden Niederlassungen im Ausland gebaut und Teile der Produktion verlagert. Gewerkschafter haben in dieser Situation die Aufgabe, für die Belegschaft am Stammsitz zu kämpfen; wenn sie eine Beschäftigungsgarantie herausholen, haben sie in der Regel viel erreicht.

Der IG Metall ist dies vor kurzem im Daimler-Werk Sindelfingen gelungen. Aber ein Lufthansa-Pilot würde wahrscheinlich eher versuchen, rückwärts zu starten, als dass er sich Blaumänner zum Vorbild nähme. Auch seine Firma hat nämlich eine Jobgarantie angeboten - die Piloten aber wollen etwas anderes: Die Kollegen ausländischer Töchter sollen ebenfalls zum höheren Lufthansa-Tarif bezahlt werden.

Das ist ein verwegenes Ziel. Denn es geht der Gewerkschaft hier nicht um internationale Solidarität. Es geht ihr darum, dem Arbeitgeber ein Geschäftsmodell zu verleiden. Cockpit versteht unter Jobgarantie: Die Zahl der Lufthansa-Piloten in Deutschland darf sich nicht verringern. Eine Gewerkschaft aber, die ein Geschäftsmodell bekämpft, will nichts anderes, als Firmenleitung spielen.

Dass sich die Piloten am Montagabend von einer Richterin überreden ließen, den Streik auszusetzen, ändert an einem Befund nichts: Sie haben das Wesen des Tarifvertrags missverstanden. Sie versuchen mit diesem Mittel, sich dem Markt entgegenzustemmen. "Wir wollen dafür sorgen, dass ein guter Teil des Lufthansa-Wachstums im Bereich unseres Tarifvertrags anfällt", erklärte ein Sprecher der Piloten allen Ernstes auch nach dem Gerichtstermin. Eigentlich dürfen sie sich gar nicht wünschen, damit durchzukommen. Wenn sie jetzt siegen, verlieren sie später. Sie würden ihre Firma der Billigkonkurrenz, den Air Berlins, den Easy Jets, ausliefern. Und was ist dann mit den Jobs?

Im Video: Streikende Lufthansa-Piloten haben sich am Montag vormittag zu einer Kundgebung in Frankfurt versammelt. Das Unternehmen will den Streik unterdessen von einem Gericht stoppen lassen.

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