Süddeutsche Zeitung

Zoff um Discounter:Die wundersame Wandlung der Bösewichte

Das Image von Schlecker, Kik und anderen Billiganbietern ist mies. Doch sie können es sich nicht leisten, als schlechte Arbeitgeber am Pranger zu stehen. Jetzt starten sie Marketingoffensiven - doch noch immer kursieren Berichte über neue Schikanen gegen Mitarbeiter.

Thomas Öchsner und Stefan Weber

Mehr als 800 Mitarbeiter des Textildiscounters Kik durften in den vergangenen Wochen auch etwas anderes tun, als für ihren Arbeitgeber Shirts und Blusen zu verkaufen oder im Büro zu arbeiten. Sie absolvierten ein Casting für Werbeaufnahmen. Gesucht wurden mehr als drei Dutzend Männer und Frauen, die ihr Gesicht für die Kleiderkette in die Kamera halten. Im Herbst will der Filialist mit mehr als 2300 Läden die Imagekampagne starten. Sie soll auch dazu dienen, sich als attraktiver Arbeitgeber zu empfehlen.

Das Projekt ist eine der vielen Maßnahmen, mit denen der Modehändler sein Schmuddelimage abstreifen möchte. Kik ist nicht der einzige Discount-Riese, der in der Öffentlichkeit nicht mehr als Bösewicht oder Ausbeuter auffallen will. Ob Netto, Lidl oder Schlecker, deutsche Lebensmitteldiscounter oder Drogerieketten, die wegen der miesen Bezahlung von Mitarbeitern oder ethischen Fehltritten bei der Personalpolitik an den Pranger gestellt wurden, geloben auf einmal Umkehr. Natürlich geht es dabei auch ums Geld. "Negative Schlagzeilen sind geschäftsschädigend", sagt die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Margret Mönig-Raane.

Etwas Reue

Als erster Branchenprimus bekam dies Schlecker zu spüren. Nachdem die Drogeriekette begann, Teile der Stammbelegschaft durch schlechter bezahlte Mitarbeiter einer Leiharbeitsfirma zu ersetzen und sich sogar Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen für das Geschäftsgebaren des Familienunternehmens interessierte, ging der Umsatz in den ersten vier Monaten des Jahres 2010 um 16 Prozent zurück. Das stellte zumindest der Marktforscher GfK fest. Eine Million Kunden hätten demnach Schlecker den Rücken gekehrt.

Wenige Monate später zeigte der sparsame Milliardär und Firmengründer Anton Schlecker so etwas wie Reue: Er ließ zu, dass für die 34.000 Beschäftigten künftig ein Einzelhandelstarif gilt. Die umstrittene Leiharbeit wurde eingeschränkt. Ein großer Erfolg für Verdi, der ohne den öffentlichen Druck kaum möglich gewesen wäre. Inzwischen versuchen die Juniorchefs der Drogeriekette, Lars und Meike Schlecker, die der Vater schrittweise an ihre Führungsrolle heranführt, den miesen Ruf weiter zu polieren. Noch kursieren Berichte über neue Schikanen gegen Mitarbeiter. Aber bei der Familienfirma sollen nicht nur die Filialen schöner und größer werden. Die Geschwister versprechen auch: "Schlecker wird sich ändern."

Andere Discounter haben ebenfalls reagiert. Netto erlaubte seinen Mitarbeitern die Wahl von Betriebsräten und verpflichtete sich, den Angestellten im Verkauf Tariflöhne zu zahlen. Lidl entließ einen Manager nach einer Affäre um geheime Krankenakten von Mitarbeitern und sprach sich öffentlich für einen Mindestlohn von zehn Euro aus - zumindest ein gelungener PR-Gag. Und Kik zeigt mit einem Basisverdienst von 7,50 Euro brutto je Stunde in Sachen Mindestlohn Flagge.

Nachdem die Kleiderkette wegen der katastrophalen Zustände bei seinen Näherinnen in Bangladesch in die Kritik geriet, will das Unternehmen auch seine Lieferanten stärker kontrollieren. Außerdem ist mit Michael Arretz bei Kik im Herbst 2010 ein Fachmann für Themen wie nachhaltiges Wirtschaften und Umwelt in die Geschäftsführung berufen worden. Zuvor hatte er bei dem zur Otto-Gruppe gehörenden Beratungsunternehmen Systain Consulting gearbeitet. Arretz soll die Kleiderkette in der Öffentlichkeit neu positionieren.

Verdi-Vizechefin Mönig-Raane führt die wundersame Wandlung bei Kik und den anderen auch auf die Lage am Arbeitsmarkt zurück: "Ist das Image schlecht, sinkt die Attraktivität des Unternehmens für Führungskräfte erheblich." Niemand könne es sich noch erlauben, ein "richtig mieser Arbeitgeber" zu sein. Dabei würden die Unternehmen auch an den Fachkräftemangel und an ihre Ausbildungsplätze denken. "Die Menschen gehen nicht zu Firmen, bei denen sie sich schämen zu arbeiten", sagt die Gewerkschaftsfrau. Eine heile Welt im Einzelhandel sieht sie deshalb nicht. Die Bösewichte hätten es schwerer, aber sie seien noch nicht ausgestorben. "Es gibt", sagt Mönig-Raane, "noch genug zu tun."

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SZ vom 26.05.2011/hgn
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