Zinspolitik:Im Namen der Sparer

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Die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer kritisiert die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank und hebt sich damit von von ihrer Vorgängerin Angela Merkel ab - manche Ökonomen sind entsetzt, andere begeistert.

Von Alexander Hagelüken, München

Annegret Kramp-Karrenbauer und ihre CDU verschärfen den Kurs gegenüber der AfD. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Deutsche Politiker halten sich aus Zinsentscheidungen normalerweise eher heraus. Schließlich waren es die Deutschen, die nach dem Vorbild der Bundesbank stets für unabhängige Währungshüter in Europa geworben haben. Mischt sich eine Politikerin wie jetzt CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in die Zinspolitik ein, löst sie damit gleich eine Debatte aus.

Die CDU-Chefin forderte am Wochenende, die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) zu überprüfen: Man müsse "für die Zukunft schauen, ob man nicht die Niedrigzinsphase ein Stück weit einbremsen muss". Betroffen seien gerade viele Deutsche mit klassischen Spareinlagen, die bei niedrigen Zinsen wenig abwerfen.

Lüder Gerken springt ihr da voll bei. Er habe keine Zweifel, dass die CDU-Chefin die Unabhängigkeit der EZB achte, schickt der Vorsitzende des Centrums für Europäische Politik (CEP) voraus. Inhaltlich habe sie total recht: "Wir haben mit der Nullzinspolitik ein gewaltiges Problem. Der Zins fällt als Knappheitsfaktor aus. Weil Anleihen praktisch keinen Zins abwerfen, gibt es trotz konjunkturellen Abschwungs eine Jagd auf Rendite am Aktienmarkt, sodass eine Blase droht."

Europaweit seien alle Kapitalanleger im Nachteil, die nicht ins Risiko gehen und etwa in Aktien investieren. Außerdem habe sich die EZB durch die Niedrigzinsen in eine Sackgasse begeben. Die EZB will damit seit der Eurokrise zu Beginn des Jahrzehnts angeschlagenen Ländern vor allem in Südeuropa auf die Beine helfen. Diese Sackgasse führe dazu, dass "die EZB kaum die Zinsen erhöhen kann, weil dadurch die südeuropäischen Länder in Schwierigkeiten geraten würden", sagt der Vorsitzende des ordoliberalen Freiburger Instituts.

Scharfer Widerspruch kommt von Sebastian Dullien. "Es ist absurd, in der jetzigen Situation von Zinserhöhungen zu sprechen", sagt der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). "Die Konjunktur schwächt sich gerade ab, da wirken höhere Zinsen negativ". Was Kramp-Karrenbauer sage, habe wenig mit der ökonomischen Realität zu tun. Dullien weist darauf hin, dass der mittlere deutsche Haushalt nur ein Geldvermögen von 17 000 Euro habe. Ein Prozent höhere Zinsen bedeuteten für ihn also nur etwa 170 Euro im Jahr, zugleich aber wären auch die Schuldzinsen von Krediten teurer. "Von höheren Zinsen würde nur kleiner Teil der Bevölkerung profitieren", meint Dullien. "Gleichzeitig ignoriert die CDU-Chefin die positiven Effekte niedriger Zinsen, die im Regelfall die Konjunktur ankurbeln."

Ähnlich argumentiert auch Marcel Fratzscher: "Es ist nicht richtig, dass Menschen von den niedrigen Zinsen nicht profitieren. Sie profitieren, weil dadurch Jobs entstehen und Einkommen steigen! Und weil der Staat - und damit die Steuerzahler - dadurch geringere Zinsausgaben haben", twitterte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin.

Bemerkenswert ist, dass sich Kramp-Karrenbauer tendenziell kritischer über die EZB äußert, als dies ihre Vorgängerin tat, Bundeskanzlerin Angela Merkel. Merkel verfolgte die umstrittene Euro-Rettungspolitik des langjährigen EZB-Präsidenten Mario Draghi eher mit Sympathie - während Teile der CDU und vor allem der CSU Draghi scharf attackierten. So nannte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt Draghi 2012 sogar einen "Falschmünzer". Dullien kritisiert den zumindest annäherungsweise erkennbaren Kurswechsel der neuen CDU-Chefin: "Es ist erschreckend, wie populistisch sich Kramp-Karrenbauer äußert. Da hebt sie sich negativ ab von dem, was man von Frau Merkel gewohnt ist".

Kramp-Karrenbauer lässt keinen Zweifel daran, dass sie von der designierten neuen EZB-Präsidentin Christine Lagarde wegen der negativen Auswirkungen der Niedrigzinspolitik auf die Sparer Korrekturen erwartet. "Deswegen bin ich fest davon überzeugt, dass es hier eine gewisse Anpassung geben wird und dass Christine Lagarde hier die richtigen Weichen stellen wird," sagte sie.

Bisher allerdings wird Lagarde eher dem geldpolitischen Lager zugerechnet, das wie Mario Draghi Wirtschaftsschwäche mithilfe niedriger Zinsen vermeiden will. Lüder Gerken vom CEP-Institut glaubt, dass die jüngsten Personalentscheidungen auf EU-Ebene die Weichen eher in diese Richtung stellen - auch weil Bundesbankchef Jens Weidmann beim Jobpoker leer ausging: "Ich bin überzeugt davon, dass in der aktuellen Situation der EZB-Präsident der wichtigere Posten ist als der Chef der EU-Kommission", sagt deshalb Gerken vom CEP. "Deshalb drängte die französische Regierung darauf, dass ein Franzose oder ein Südeuropäer EZB-Chef wird - und nicht ein Deutscher wie Jens Weidmann."

© SZ vom 09.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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