Süddeutsche Zeitung

Zinsentscheid:Druck von allen Seiten

  • Seit Monaten versucht Präsident Donald Trump, die US-Notenbank unter Druck zu setzen. Sie solle endlich die Zinsen senken.
  • Gleichzeitig schwächelt die US-Wirtschaft - auch wegen der Handelskriege, die Trump anzettelte.
  • Heute könnte die Fed tatsächlich die Leitzinsen senken. Das könnte zwar durchaus sinnvoll sein, aber nach einem Einknicken vor dem Präsidenten aussehen.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Unter den Universalgelehrten der Welt nimmt Donald Trump eine gewisse Sonderstellung ein, denn er lässt die Menschheit regelmäßig nicht nur an seinem Wissen über Wirtschaft und Politik, Erpressungstechniken und Flugzeugdesign teilhaben, sondern stellt zugleich eine Übersicht all jener Verlierer und Nichtskönner bereit, die man aus seiner Sicht getrost vergessen kann. Auf dieser Liste findet sich neben dem "unfähigen" Londoner Bürgermeister Sadiq Khan, der "schändlichen" Oppositionsführerin Nancy Pelosi, dem Football spielenden "Hurensohn" Colin Kaepernick und anderen Zeitgenossen seit einiger Zeit auch der "unglückselige" Jerome Powell wider, der Chef der US-Notenbank: Mit ihrer Weigerung, den Leitzins zu senken, so Trump vergangene Woche, verfolgten Powell und seine Mitstreiter im zinspolitischen Ausschuss der Fed einen "irren" Kurs. Von Geldpolitik jedenfalls hätten sie "keine Ahnung".

An diesem Dienstag und Mittwoch nun kommen die Ahnungslosen in Washington zu ihrer turnusmäßigen Sitzung zusammen - und sie stehen vor einer wahrlich heiklen Aufgabe. Bisher nämlich konnte ihnen das Dauergenöle ihres Chefkritikers herzlich egal sein: Weil die Wirtschaft lief, die Arbeitslosigkeit beständig sank und die Inflationsrate sich langsam wieder der Wunschmarke von zwei Prozent näherte, hatten die Notenbanker allen Grund, den Tagesgeldzielsatz in kleinen Trippelschritten wieder in Richtung eines Niveaus anzuheben, das früher in konjunkturellen Normalzeiten einmal als ausgewogen galt.

Seit ein paar Monaten jedoch ruckelt die US-Konjunktur spürbar, was die Fed zunehmend in die Bredouille bringt: Bleibt sie "geduldig", wie das zuletzt im Fachjargon hieß, weil das Wachstum im Vergleich zu Ländern wie etwa Deutschland immer noch sehr robust ist, oder holt sie zu einem Präventivschlag aus und senkt den Leitzins vorbeugend? Die Frage ist berechtigt, denn anders als bei früheren Konjunkturabschwüngen muss die Notenbank mit einem nur halb gefüllten Instrumentenkasten auskommen und hat daher im Kampf gegen einen möglichen Abschwung nur einige wenige Versuche frei. Besonders deutlich wird das, wenn man die heutige Situation etwa mit jener von 2007 vergleicht, als die Fed die ersten Vorboten der sich anbahnenden Wirtschaftskrise ausmachte und mit Zinssenkungen begann. Damals startete sie von einem Niveau von 5,25 Prozent. Heute liegt der Leitsatz bei 2,25 bis 2,5 Prozent - der Spielraum ist also viel geringer.

Hinzu kommt das Problem Trump, das gleich ein vierfaches ist. Da sind einmal die aggressiven Zolldrohungen des Präsidenten gegen China, Europa, Japan und Mexiko, die als Hauptgrund für den konjunkturellen Gegenwind gelten, sich aber - je nach Trumps Stimmungslage - auch morgen wieder in Luft auflösen können. Zweitens wollen die Notenbanker unbedingt den Eindruck vermeiden, sie beugten sich mit einer möglichen Zinssenkung politischem Druck. Drittens wissen sie, dass dieser Präsident dazu neigt, die ganze Hand zu nehmen, wenn man ihm den kleinen Finger reicht: Als Powell Anfang des Jahres andeutete, dass die Fed die für 2019 geplanten Leitzinserhöhungen erst einmal auf Eis legen könnte, war Trump mitnichten zufrieden. Er verlangte vielmehr umgehend kräftige Zinssenkungen.

Trumps Idee, Powell rauszuwerfen, haben ihm die Berater ausgeredet

Und viertens schließlich: Die Argumente, die der Präsident für eine Lockerung der Geldpolitik anführt, sind aus Sicht Powells und seiner Kollegen schlicht sachfremd. "Hätte die Fed ihre Arbeit vernünftig gemacht, was sie nicht getan hat, notierte der Aktienmarkt heute 5000 bis 10 000 Punkte höher und das BIP läge deutlich über vier statt bei drei Prozent", schrieb Trump vor Wochen bei Twitter. Es ist aber nicht die Aufgabe der US-Notenbank, künstlich aufgeblasene Plus-Werte an den Börsen und bei der Wirtschaftsentwicklung noch weiter zu befeuern, nur um die Wiederwahlchancen eines Präsidenten zu verbessern - im Gegenteil.

Trump wiederum macht es fuchsteufelswild, dass er offenbar keine Möglichkeit hat, die Fed auf Kurs zu zwingen. Seine Idee, Powell rauszuwerfen, haben ihm die eigenen Berater ausgeredet, und auch das Konzept, scheidende Mitglieder der Fed-Führung durch treue Vasallen zu ersetzen, ging schief: Entweder scheiterten die Kandidaten des Weißen Hauses schon während ihrer Anhörung im Kongress, oder aber sie erwiesen sich nach der Ernennung als loyal gegenüber ihrem Amtseid statt gegenüber ihrem Präsidenten. In seiner Not rief Trump vergangene Woche beim Wirtschaftsfernsehsender CNBC an, um seinem Frust einmal mehr Luft zu machen: "Wir haben Leute in der Fed", klagte er, "das sind einfach nicht meine Leute."

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SZ vom 19.06.2019/vd
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