Zinsen:Vorahnungen der Finanzprofis

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Was eine flache Strukturkurve ist und warum sie als Frühwarnzeichen für eine Rezession gilt.

Von Nikolaus Piper, München

An den internationalen Finanzmärkten ist fast über Nacht ein Gespenst wieder aufgetaucht. Fachleute nennen das Phänomen die "flache Zinskurve" und sie nehmen es als eine Art Vorzeichen für eine drohende Rezession. Nach einer Börsenregel geht jeder Rezession eine Phase voraus, in der die Zinskurve flach wird. Aber nicht jede derartige Phase führt zwingend zu einer Rezession. Es ist also viel "Kaffeesatzleserei" mit im Spiel, wie der Präsident der Federal Reserve Bank of New York, John Williams, am Dienstag einräumte. Er werde die Zinskurve jedenfalls sehr genau beobachten. Die Sache ist keine Spielerei.

Jenseits der Gemeinde der Finanzmarktprofis wird die Zinskurve bisher wenig beachtet. Dabei ist sie durchaus ein anschauliches Instrument, um zu verstehen, wo Risiken für die Konjunktur liegen könnten. Sind die Verhältnisse normal und es gibt wenig Risiken, dann bekommen Anleger umso höhere Renditen, je langfristiger sie ihr Geld fest anlegen. In Deutschland ist dies derzeit der Fall: Zweijährige Staatspapiere brachten am Mittwoch eine Rendite von minus 0,63 Prozent, zehnjährige Bundesanleihen eine von plus 0,25 Prozent. Der Unterschied beträgt 0,88 Prozentpunkte. Verbindet man die Ergebnisse mit einer Linie bekommt man die Zinskurve, und die ist derzeit steil.

Anders dagegen ist die Lage in Amerika. Dort liegt der Abstand der Renditen von zwei- und zehnjährigen Bundesanleihen ("Treasuries") bei nur noch 0,12 Prozentpunkten. Das ist der niedrigste Wert seit 2007, dem Jahr vor Ausbruch der Finanzkrise. Arturo Estrella, ein Ökonom, der früher viele Jahre bei der New York Fed arbeitete und als erster die Zinskurve als Prognoseinstrument einsetzte, sagte dem Wirtschaftssender CNBC: Die Lage sei "mehr und mehr besorgniserregend". Sollte die Notenbank im kommenden Jahr weiter ihre kurzfristigen Zinsen erhöhen, dann werde die Zinskurve sogar mit ziemlicher Sicherheit invers - das bedeutet, kurzfristige Papiere brächten dann höhere Renditen als langfristige. Nach einer Studie der Federal Reserve Bank of San Francisco ging in den Vereinigten Staaten seit 1955 jeder Rezession eine Zeit mit inverser Zinsstruktur voraus. Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets, warnt, laut Reuters: "Auch jetzt ist die Angst begründet. Die Weltwirtschaft könnte schon Mitte kommenden Jahres gänzlich anders aussehen als heute."

Entscheidend ist für die Analyse, warum die Zinskurve flach oder gar invers wird. Unter vielen Erklärungen sind zwei besonders verbreitet: Erstens könnten die Anleger damit rechnen, dass die US-Notenbank in absehbarer Zeit die Zinsen senken wird, weil sie Angst vor schlechten Nachrichten aus der Wirtschaft hat. Die Investoren kaufen daher zehnjährige Anleihen, um sich für die Zukunft abzusichern. Werden mehr solche lange laufenden Anleihen gekauft, steigt deren Kurs, die Renditen fallen unter die kurzfristiger Papiere. Oder aber, zweite Erklärung: Die Wirtschaft befindet sich bereits auf dem Weg in die Rezession, weil es die Zentralbank mit Zinserhöhungen übertrieben hat und die kurzfristigen Zinsen jetzt überschießen. Die Meinung vertritt etwa der Bloomberg-Kolumnist Karl W. Smith.

Auf den ersten Blick erscheint es absurd, wenn sich die Amerikaner über eine drohende Rezession Gedanken machen. Der Wirtschaft der Vereinigten Staaten geht es so gut wie lange nicht mehr. Der Aufschwung geht in seinen 112. Monat, er ist einer der längsten seit dem Zweiten Weltkrieg. Auf dem Arbeitsmarkt herrscht Vollbeschäftigung. Die auf Pump finanzierte Steuerreform von Präsident Donald Trump treibt das Wachstum weiter an.

Die Federal Reserve wird mit Zinserhöhungen jetzt sehr vorsichtig sein

Was die Anleger nervös macht, ist auch nicht die US-Binnenwirtschaft, sondern die Schwäche der Weltwirtschaft. Das globale Wachstum geht zurück, wie der Internationale Währungsfonds bereits im Oktober gewarnt hat. Auch in Deutschland musste die Bundesregierung die Wachstumsprognosen zurücknehmen. Alarmiert reagieren die Anleger auf einen drohenden Brexit ohne Deal, vor allem aber auf einen weiter eskalierenden Handelskonflikt zwischen den USA und China. Als am Dienstag klar wurde, dass nach dem Treffen von Trump und dem chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping viel weniger geklärt war, als es zuerst den Anschein hatte, brach der Dow Jones um 799 Punkte ein, die Rendite zehnjähriger US-Bundesanleihen fiel unter die Marke von drei Prozent.

Von erheblicher Bedeutung ist die flache Zinskurse und ihre Auslegung für die Notenbanken der Welt - für die Fed, aber auch für die Europäische Zentralbank (EZB). Träfe der Verdacht zu, dass die Fed die Leitzinsen bereits zu weit nach oben gebracht hat, stünden jetzt Zinssenkungen an statt der erwarteten Erhöhungen. Aber auch, wenn dies nicht zutreffen sollte, dürfte Fed-Chef Jerome Powell im Zweifel zögern, ehe er im kommenden Jahr die Zinsen weiter erhöht. Es sei jetzt "weise, geduldig zu sein", sagte Robert Kaplan, der die Fed-Niederlassung in Dallas leitet und über die Zinsen mitentscheidet.

Nach den Erwartungen an den Finanzmärkten wird die Fed bei ihrer nächsten Sitzung am 18. und 19. Dezember ihren Leitzins um einen Viertelpunkt auf 2,25 bis 2,5 Prozent erhöhen. Was danach kommt, wird stark davon abhängen, ob die Zinskurve tatsächlich invers wird.

Und die EZB könnte in die unangenehme Situation kommen, dass die Fed sich mit Zinssenkungen auf eine Rezession einstellt, während in Europa der Leitzins immer noch bei null liegt.

© SZ vom 06.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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