Im Hohenlohekreis haben es Personaler besonders schwer. Hier, im nordöstlichen Baden-Württemberg, haben sie noch größere Schwierigkeiten als anderswo, Fachkräfte zu finden. Warum? Es herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Und es gibt viel Konkurrenz. Denn zwischen grünen Wiesen und malerischen Hügeln reiht sich ein erfolgreiches Unternehmen an das nächste: Würth (Schrauben und mehr), Ebm-Papst (Ventilatoren), R. Stahl (Explosionsschutz), Gemü (Ventile), Ziehl-Abegg (Ventilatoren), und andere.
Die Firmen konkurrieren also um die wenigen Fachkräfte. Und sie haben einen Standortnachteil: Denn kaum ein junger Uni-Absolvent oder eine erfahrene Expertin aus dem Ausland haben Lust auf die Provinz. Da müssen sie sich auf dem Land etwas einfallen lassen, um aufzufallen. Ziehl-Abegg, der Ventilatorenhersteller aus Künzelsau, hat das geschafft, er hat sich auf Tiktok einen Namen gemacht. Seit gut vier Jahren lädt ein Team alle paar Tage kurze Sketches auf die Plattform.
Mal machen sie sich darin über ihren Chef lustig, mal unterlegen sie Gespräche mit dem Bürohund mit Stimmen von Pumuckl und Meister Eder, mal imitieren sie Stromberg, den irren Chef aus der gleichnamigen TV-Serie. Oder sie parodieren Bürosituationen und -typen, die jeder kennt, der mal länger in einem Büro gearbeitet hat. Immer wieder gehen ihre Videos viral: Die Tanzeinlage von der Weihnachtsfeier zum Beispiel haben sich in einer Woche 4,4 Millionen Nutzer angeschaut. 43 000 haben ein digitales Herz hinterlassen.
„Ob ein Video Sinn macht, ist nicht wichtig. Es muss nur ankommen“, sagt Rainer Grill, der oft im Mittelpunkt der Sketche steht. Er gibt den Chef, den die jungen Kolleginnen veräppeln. Er ist Pressesprecher bei Ziehl-Abegg und ein Mann, der sich selbst nicht so ernst nimmt. Bei Kaffee und Kuchen in einem Besprechungsraum der Firma in Künzelsau erklärt er den Hype. „Wir haben eine Marke aufgebaut, ohne über unsere Produkte zu reden“, sagt er. Ventilatoren sieht man in den Videos nie, auch das Firmenlogo nur ganz selten. Die Sketche dreht er mit seinen Kolleginnen Rebecca Amlung und Tamara Hirmann und wechselnd anderen Kollegen. Außerhalb der Arbeitszeit, so hat es Grill der Geschäftsführung vorgeschlagen, als er ihr die Idee vorlegte.
Seine Intention damals: Er wollte Ziehl-Abegg bei potenziellen Azubis im Teenageralter bekannter machen. Heute erreichen sie aber vor allem Ältere, Young Professionals, weil die mit den Büro-Sketchen mehr anfangen können. Auf Tiktok tummeln sich schon lange nicht mehr nur tanzende Teenies: Statista zufolge sind gut die Hälfte aller Nutzerinnen und Nutzer in Deutschland zwischen 20 und 39 Jahren alt. Unter den Beiträgen von Ziehl-Abegg kommentieren Nutzer immer wieder: „Wo kann ich mich bei euch bewerben?“, oder „Bei euch will ich arbeiten.“
Es ist allerdings schwer in Zahlen zu messen, was das Tiktok-Engagement bewirkt hat. Gelöst ist die Fachkräfteflaute jedenfalls nicht: An den Standorten in Hohenlohe mit ihren rund 2800 Mitarbeitern sind 70 Stellen unbesetzt. Was Grill aber sagt: Die Zugriffszahlen auf der Karrierewebseite seien gestiegen. Wenn ein Video viral geht, versiebenfachten sich die Zugriffe sogar. Doch kein Bewerber „oute“ sich im Bewerbungsgespräch, dass er über Tiktok auf Ziehl-Abegg gestoßen ist. Das sei vielen wohl peinlich, manche erzählten es erst lange, nachdem sie den Job angetreten haben.
Die Marke sei jetzt viel bekannter als zuvor, sagt Grill. Er werde ständig auf das Thema Tiktok angesprochen, seine Kolleginnen und er würden auf der Straße erkannt. „Das ist das Geile an dieser Plattform: Ich erreiche Menschen, die ich nicht kenne.“ Seit Wochen tourt Grill durch die Republik, um an Hochschulen und auf Social-Media-Events über seine Tiktok-Strategie zu sprechen. Mittlerweile haben sich auch die Kritiker beruhigt. Zu Beginn hätten ihm Kollegen gesagt, die Videos seien zum Fremdschämen. Anderswo wurde er gefragt, ob er wegen Tiktok keinen Stress mit der Geschäftsführung bekomme. Die stehe hinter ihm, sagt Grill.
Das mag auch daran liegen, dass die IT-Abteilung im vergangenen Jahr tatsächlich mehr geeignete Bewerbungen hatte als Ausbildungsplätze, was selten vorkommt in diesem Bereich. Das kann einerseits an Tiktok liegen, andererseits an den E-Sports-Turnieren, die Ziehl-Abegg seit 2021 veranstaltet. Dabei duellieren sich semiprofessionelle Teams in Computerspielen wie Rocket League, Counter-Strike oder League of Legends. Rainer Grill sagt, die Fähigkeiten der Gamer – schnelle Auffassungsgabe, gute Reflexe, technisches Verständnis – könnten sie in ihrer IT-Abteilung gut gebrauchen.