Zertifizierung von Autos:Prüft doch, wo ihr wollt

Zertifizierung von Autos: Ein VW-Golf in einer Abgasuntersuchungsanlage

Ein VW-Golf in einer Abgasuntersuchungsanlage

(Foto: Imago)
  • Autohersteller können selbst entscheiden, in welchem europäischen Land sie ihre Autos zertifizieren lassen.
  • So ist ein undurchsichtiges Geflecht von Prüfern und Genehmigungsbehörden entstanden.

Analyse von Michael Bauchmüller, Berlin, Joachim Becker und Alexander Mühlauer, Brüssel

Die Suche nach dem richtigen TÜV ist den Besitzern älterer Autos bestens vertraut. In jeder größeren Stadt gibt es Sachverständige, die als weniger penibel gelten und die angeblich auch mal ein Auge zudrücken. Ob sie das tatsächlich tun, bleibt dahingestellt - aber ehe der TÜV Auto und Besitzer scheidet, fährt man lieber zum richtigen Prüfer.

Wie es aussieht, haben die Autohersteller einen ähnlichen Tourismus entwickelt, damit sie die Zulassung für ihre Fahrzeugtypen in ganz Europa erlangen. Volvo etwa baut Autos in Schweden, lässt sie aber in Spanien zertifizieren. Audi greift seit zwei Jahrzehnten auf Zertifizierer in Luxemburg zurück. Die Typ-Genehmigungsbehörde für den tschechischen Autohersteller Škoda ist die VCA in Großbritannien. Ford nimmt ebenfalls die Dienste des VCA und der SNCH in Luxemburg in Anspruch. Daneben sind auch Minetur in Spanien und, wie bei Opel, deutsche Organisationen im Einsatz. Opel bemüht zudem die Behörden in Luxemburg und den Niederlanden. Die deutschen Premium-Hersteller Mercedes und BMW ziehen nicht ins Ausland, sondern führen die Abgastests bevorzugt im eigenen Hause durch - zusammen mit den akkreditierten Technischen Diensten. Bei BMW sind das Dekra, TÜV Süd und die luxemburgische Luxcontrol.

Ein undurchsichtiges Geflecht von Prüfern und Genehmigungsbehörden ist so entstanden. Denn wer die Fahrzeuge begutachtet und anschließend die allgemeine Betriebserlaubnis erteilt, das können sich die Autokonzerne aussuchen. Die Behörde, die die Anträge bearbeitet, und das Testlabor, das die Autos untersucht, können sie sich selber aussuchen. Dies könnte zum Teil erklären, warum dem Kraftfahrtbundesamt die erhöhten Abgaswerte bei VW-Autos nicht aufgefallen sind und die Behörde sich, so ein Sprecher, derzeit noch "in einer Phase des Erkenntnisgewinns" befindet.

Allein das Kraftfahrtbundesamt hat 21 verschiedene "Benannte Technische Dienste" festgelegt, auf die Hersteller für Prüfung und Zertifizierung von Fahrzeugen und Abgaswerten zurückgreifen können, sofern sie ihr Fahrzeug in Deutschland genehmigen lassen wollen. Behörden in anderen Ländern agieren ähnlich. So entsteht ein lukrativer Markt für Fahrzeugzulassungen. "Das Problem bei den Technischen Diensten ist, dass die ein Interesse an Aufträgen haben", sagt Gerd Lottsiepen, Autoexperte beim Verkehrsclub Deutschland. Dass die Prüfer deswegen weniger genau prüfen, wenn es zum Beispiel um die Abgaswerte geht, das aber mag er nicht unterstellen. Man weiß es einfach nicht so genau. "Wir wissen nur, dass Verkehrsministerium und Kraftfahrtbundesamt seit Jahren geschlafen haben", sagt Lottsiepen, "zum Wohlgefallen der Autoindustrie."

Unabhängige Prüfinstitute für Abgas-Emissionen gibt es in Deutschland seit Jahren nicht mehr. Bis 2008 war dafür das Umweltbundesamt zuständig und führte sogenannte Feldtests durch - aber auch dies nur in kleiner Zahl. Rund 30 Fahrzeuge pro Jahr wurden nach der Zulassung überprüft. Neue Antriebstechnologien standen dabei ebenso im Fokus der Ermittler wie Fahrzeuge, die zum Beispiel bei ADAC-Tests auffällig geworden waren. Das Umweltbundesamt prüfte so lange unabhängig, bis der Etat dafür gestrichen wurde. 2012 wagte die Bundesanstalt für Straßenwesen noch einen letzten Feldtest.

Warum führt der TÜV Rheinland Tests in Luxemburg durch? Antwort: "Das ist unser Bier"

Seither überwachen sich die Autohersteller sozusagen selbst. Das Kraftfahrtbundesamt ist zwar offiziell für die Einhaltung der europäischen Abgasrichtlinien zuständig. Doch die Flensburger Behörde macht faktisch nichts anderes, als Prüfergebnisse abzuheften, die anderswo von den Prüflaboren abgesegnet wurden. "Wir kontrollieren im vorgeschriebenen Rahmen", heißt es in Flensburg.

Wie aber sind diese Prüfer? Und wie unabhängig sind sie wirklich?

Der TÜV Rheinland etwa unterhält gleich zwei Zertifizierungstöchter in Luxemburg, den "TÜV Rheinland Luxemburg" und "Luxcontrol". Warum das so ist, das beantwortet ein Sachverständiger des Kölner Konzerns kurz und knapp: "Das ist unser Bier." Die beiden Luxemburger Töchter sind beim deutschen Kraftfahrtbundesamt nicht gemeldet, für den deutschen Markt gibt es ein anderes Konstrukt: Der rheinische TÜV hat nicht etwa das Stammhaus in Köln angemeldet, sondern die "TÜV Rheinland Italia". Immerhin ist die Konzernzentrale aber als "zertifizierende Außenstelle" der italienischen Tochter gemeldet. Warum das so ist? "Das ist halt so", heißt es in Köln, "das haben wir so gemacht." So viel zur Transparenz.

Die geltende Rechtslage kommt den Prüfern und ihren Auftraggebern dabei entgegen. Denn jeder Autokonzern kann sich aussuchen, in welchem Land der EU er die Typgenehmigungen seiner Fahrzeuge durchführen lässt. Ist die Genehmigung einmal erteilt, ist sie für alle EU-Staaten gültig. Dieses Verfahren ist im Sinne eines europäischen Binnenmarktes, der keine Grenzen kennt. Aus Brüssel kommt dabei die Gesetzgebung; für deren Umsetzung sind die Mitgliedsstaaten verantwortlich. Genau das will die EU-Kommission nun als Folge der VW-Affäre ändern, denn nach ihrer Ansicht haben die nationalen Behörden bei der Kfz-Zulassung versagt. Brüssel will nun selbst tätig werden und die Genehmigungsverfahren in allen Ämtern der EU-Staaten überwachen. "Wir wollen künftig kontrollieren und überprüfen, ob die nationalen Behörden ordnungsgemäß arbeiten", sagte EU-Industriekommissarin Elżbieta Bieńkowska der SZ.

Für diese neue Aufgabe ist ihrer Ansicht nach keine neue europäische Institution nötig. Sie setzt auf regelmäßige Überprüfungen; zudem sollten die Mitgliedsstaaten die Ergebnisse von Fahrzeug-Tests künftig untereinander austauschen. So will die Kommission eine Qualitätssicherung erreichen und vermeiden, dass die Kriterien beim Zulassungsverfahren in den einzelnen Ländern voneinander abweichen. Denn genau das ist die Frage: Gibt es EU-Staaten, die den Konzernen eine bevorzugte Behandlung bieten? Wäre es also möglich, in Luxemburg leichter an ein Zulassungszertifikat zu kommen als in Frankreich? "Das Typ-Genehmigungsverfahren ist ein schwarzes Loch", sagt Greg Archer von Transport & Environment in Brüssel. Zahlen, wo in Europa wie viele Autos zugelassen werden, sucht er bislang vergeblich. Selbst die EU-Kommission hat nach Aussage einer Sprecherin keine Daten darüber.

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