Zerstörung syrischer Kampfstoffe:Giftgas in der Heide

Lesezeit: 4 min

Ein Sicherheitsarbeiter der Geka demonstriert in Munster, wie bald die Zerstörung der syrischen Chemiewaffen abläuft. (Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

In beiden Weltkriegen wurden im niedersächsischen Munster chemische Kampfstoffe erprobt. Heute arbeiten hier Sprengmeister und Kampfmittelbeseitiger. Bald sollen sie sich daran beteiligen, Chemiewaffen aus Syrien zu zerstören.

Von Kristina Läsker, Munster

Die Frau sieht so friedlich aus, dabei hat sie es täglich mit Krieg zu tun. An einem Backsteinbau auf einer Wiese hängt eine Statue aus Gusseisen. Es ist eine zierliche Frau, ihr Blick ganz scheu - doch ihr wird große Kraft zugesprochen. Es ist eine Statue der heiligen Barbara, sie wacht über die Männer, die auf dem von Kiefern und Birken gesäumten Gelände arbeiten. Über die Feuerwerker, Sprengmeister und Kampfmittelbeseitiger.

"Barbara soll uns schützen", sagt Nils Schneider und zeigt auf den Bau, in dem ein Sprengofen verborgen ist. Tag für Tag zerstört der Ofen Reste aus zwei Weltkriegen. Schneider weiß, wie gefährlich das ist, er arbeitet bei der Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten (Geka). Als einziger Betrieb in Deutschland darf die Geka chemische Munition vernichten. Mitten in der Lüneburger Heide landet Kriegsmüll aus dem ganzen Land.

Bis jetzt. Doch bald schon soll Schutzpatronin Barbara darüber wachen, dass sie sich auch um Kriegsschrott aus dem Ausland kümmern. Die Geka soll dabei helfen, Chemiewaffen aus Syrien zu vernichten. So will es die Bundesregierung.

"Es haben nicht sehr viele Länder Hurra geschrien"

Gut 16 000 Menschen wohnen in Munster, wo die Geka sitzt. Der Sound von Gewehren und Handgranaten gehört zum Alltag der Kleinstadt. Jetzt wieder donnert es weit über das Gelände der Geka. Nebenan sind Truppenübungsplätze, Munster ist einer der größten Militärstandorte der Republik. Doch die Ereignisse in Syrien dürften die Bürger bloß aus den Medien kennen. Wie Inspektoren der Vereinten Nationen aufdeckten, dass vergangenen August bei einem Giftgasanschlag Hunderte Menschen qualvoll starben. Wie Präsident Baschar al-Assad unter Druck geriet, weil die USA mit einem Militärschlag drohten. Wie die Regierung Syriens notgedrungen zustimmte, Chemiewaffen und Fabriken zu zerstören. Wie Syrien nicht bereit war, das Giftgasarsenal selbst zu zerstören. Das schreibt die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) vor.

"Assad war und ist nicht willens, diesen Trumpf schnell aus der Hand zu geben", sagt Oliver Meier von der Stiftung Wissenschaft und Politik. In Berlin, knapp 500 Kilometer von Munster entfernt, beobachtet der Sicherheitsexperte die Lage in Nahost. Doch was tun? Die Bestände im Bürgerkriegsland Syrien sind riesig: Sie umfassen etwa 1350 Tonnen Chemiewaffen, darunter das giftige Nervengas Sarin und das stark ätzende Senfgas. Kein Staat wollte das Zeug haben.

"Es haben nicht sehr viele Länder Hurra und Hallo-hier-bin-ich geschrien", sagt Jan Gerhard. Der Kaufmann mit dem Seitenscheitel leitet die privatrechtlich organisierte Geka. Er führt an diesem Märztag über das Gelände und erklärt, was die 140 Mitarbeiter tun. Hier sägen sie alte Bomben auf, dort reinigen sie vergiftete Böden, gegenüber verbrennen sie Reststoffe. Am Eingang hinter dem Gitter ist Schwarz-Rot-Gold geflaggt. Alles gehört dem Staat, soll das heißen: der Sprengofen, die Verbrennungsanlagen, die Bodenwaschanlage, selbst die heilige Barbara.

Für ihre Aufräumarbeit bezieht die Geka jedes Jahr bis zu 18 Millionen Euro aus dem Verteidigungsministerium. Aus Berlin kommen die Mittel - und neue Aufträge. Wie der am 10. Januar. Da preschte Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor und versprach, sich an der Vernichtung der Chemiewaffen aus Syrien zu beteiligen. "Niemand darf sich weigern, der dazu die technischen Kapazitäten zur Verfügung hat", sagte der SPD-Politiker.

Doch warum bloß sollen die Stoffe nach Munster? Warum können sie die nicht woanders auf der Welt entsorgen? Diese Fragen bewegen viele im Heidekreis. Das Ganze sei ein politischer Kompromiss, beteuert Geka-Chef Gerhard. So haben sie es den Bürgern erklärt, die zu einer Informationsveranstaltung in die Stadtbücherei von Munster kamen. So sollen die Chemiewaffen mit dänischen und norwegischen Schiffen von Syrien nach Italien gebracht und dort auf das US-Frachtschiff Cape Ray umgeladen werden. Den gefährlichsten Schritt übernähmen die USA auf dem Mittelmeer, sagt Gerhard. Auf der Cape Ray ist auch ein Labor. Auf hoher See sollen die C-Waffen verdünnt und unschädlich gemacht werden. Bei diesem Verfahren entsteht aus Senfgas ein Hydrolysat, 370 Tonnen davon kommen nach Munster. Hydrolysat sei vergleichbar mit flüssigem Industrieabfall, so Gerhard. "Das ist keine besondere Bedrohung für die Bevölkerung."

Was Gerhard nicht sagt: Der Kompromiss besteht darin, dass sie nicht das gefährliche Senfgas nach Munster bringen, sondern nur die Reststoffe. Denn eigentlich könnten sie Senfgas in der Heide komplett vernichten. In den Weltkriegen wurden in Munster chemische Kampfstoffe erforscht und produziert. Davon erzählen Schwarz-Weiß-Fotos auf den Fluren. Im Oktober 1919 kam es zu einer Katastrophe: Mehr als eine Million Granaten explodierten. Noch heute warnen knallrote Schilder vor dem Betreten der benachbarten Wälder. "Kontaminiertes Gelände", steht dort in gelber Schrift. "Ein Großteil des Geländes ist noch verseucht", sagt Gerhard. Genau deshalb ist die Geka am Ort des damaligen Unglücks entstanden. In ihren Silos lagern Tausende Tonnen vergifteter Erde.

Der Abtransport aus Syrien verzögert sich

Mit der Fracht aus Syrien rechnet Geka-Chef Gerhard nicht vor Ende Juni. Dann soll die Cape Ray aus dem Mittelmeer in die Nordsee fahren und einen deutschen Hafen ansteuern. Auf Lastwagen soll das Hydrolysat schließlich in die Lüneburger Heide gelangen. "Wir rechnen mit zwölf bis 15 Tankcontainern", sagt Gerhard. Schon jetzt steht ein runder weiß-gelber Container zur Probe neben einer der Verbrennungsanlagen. Über einen Schlauch und eine Düse sollen die flüssigen Reststoffe künftig in den 1000 Grad heißen Ofen gespritzt und verdampft werden. Der entstehende Rauch wird gefiltert. Übrig bleiben Salze, die auf einer Deponie entsorgt werden. Etwa vier bis fünf Monate könnte es dauern, die Reststoffe des Senfgases aus Syrien zu vernichten, schätzt Gerhard. Kosten soll das Ganze bis zu 500 000 Euro.

Wenn es überhaupt so kommt. Denn der Abtransport aus Syrien verzögert sich. Bisher seien nur 35 Prozent der Chemiewaffen am Seehafen Latakia auf die Schiffe verladen worden, sagt Gerhard. Und was in Munster manchen Bürger erfreuen dürfte, könnte in Syrien noch zur Bedrohung werden, meint der Sicherheitsexperte Meier in Berlin. "Je länger die Stoffe im Land bleiben, desto größer ist die Gefahr, dass sie nochmals eingesetzt werden."

© SZ vom 11.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: