Das passt nicht zusammen: Einerseits kaufen die Deutschen so viel im Internet ein wie noch nie, andererseits ist die Empörung groß, dass der Onlinehändler Amazon massenhaft zurückgegebene Produkte vernichtet. In "großem Umfang" werden laut Medienberichten in den deutschen Logistiklagern Waren aller Art in die Müllpresse geschickt und entsorgt. Mit der Versandmethode "destroy", zerstören, können auch externe Anbieter Retouren beseitigen lassen. Die Bundesregierung spricht von einem "riesengroßen Skandal", der frühere Umweltminister Klaus Töpfer hält die Praxis für "unverantwortlich", und auf Twitter fordert einer schon "#amazon abschalten". Ein bisschen heuchlerisch sind solche Kommentare schon.
Wo viel bestellt wird, da fallen auch viele Retouren an - ein Problem, das nicht nur Amazon kennt. Jeder Händler und jeder Markenanbieter zerstört Artikel am Saisonende, um zu verhindern, dass diese die eigenen Preise kaputtmachen. Allerdings sind die Deutschen Rücksendemeister. In kaum einem anderen Land werden so viele bestellte Waren an die Händler zurückgeschickt, weil etwas nicht stimmte, nicht passte, nicht gefiel - oder weil Kunden gar nicht vorhatten, die Waren auch tatsächlich zu behalten. Schuhe oder Kleider zurück in den Karton, Rückschein aufs Paket und ab zur Post.
Das Widerrufsrecht macht es möglich, erwünschte Artikel binnen zwei Wochen ohne Begründung zurückzugeben; meist ist dieser Service kostenlos, die Händler zeigen sich kulant. Manche Kunden nutzen das schamlos aus: Sie bestellen Fernseher vor Fußballweltmeisterschaften und schicken sie nach ein paar Spielen zurück, oder sie ordern Kleidung gleich in drei bis vier Größen und Farben. Jeder zehnte Online-Einkauf geht zurück an den Sender. Ein Prozent der Kunden schickt sogar mehr als die Hälfte seiner Bestellungen retour - ein Wahnsinn, für den vor allem die Verbraucher verantwortlich sind. Sie könnten ja einfach in einen Laden gehen zum Anprobieren, statt sich alles nach Hause schicken zu lassen.
Für die Händler sind die maß- und anstandslosen Besteller ein Ärgernis. Allerdings haben sie die Kostenloskultur mit Werbesprüchen wie "Schrei vor Glück oder schick's zurück" auch selbst herangezüchtet. Die Bearbeitung einer Retoure kostet durchschnittlich zehn Euro; die Unternehmen zahlen nicht nur Porto, sondern müssen auch den Zustand der Ware erfassen: Darf die Bluse direkt wieder in den Handel oder muss sie erst gebügelt werden? Manche Teile sind durch Reinigen oder Waschen nicht zu retten. Noch aufwendiger ist die Prüfung technischer Geräte wie Laptops oder Digitalkameras. Mitarbeiter kontrollieren, ob alles noch tadellos funktioniert - oder eben nicht. Trauriges Resultat dieser Untersuchungen: Nur 70 Prozent der zurückgesandten Artikel können wieder als makellose A-Ware angeboten werden, wie Studien belegen. Was der kritischen Prüfung nicht standhält, wird vernichtet oder recycelt, an Resteaufkäufer verscherbelt oder im Outlet als B-Ware verkauft.
Ein riesengroßer Skandal? Nein, Normalität in Deutschland, wo Händler befürchten, die anspruchsvolle Kundschaft zu verprellen, wenn sie für Retouren Geld verlangen. Aber genau dazu sollten sie vom Gesetzgeber gezwungen werden, damit das Widerrufsrecht der Verbraucher nicht mehr so krass missbraucht wird.