Süddeutsche Zeitung

Kapitalismus-Kritik:"Zero Covid" ist reines Wunschdenken

Unter dem Titel "Zero Covid" wirbt eine Initiative für einen sehr harten, "solidarischen" Lockdown gegen die Pandemie. Aber was heißt hier solidarisch? Über Kapitalismus-Kritik im Vorbeigehen.

Kolumne von Nikolaus Piper

Wäre das nicht schön? Wir beschließen einen superharten, aber kurzen Lockdown. Danach gibt es keine Neuinfektionen mehr und wir können wieder unser normales Leben leben - Freunde treffen, ausgehen, demonstrieren. Die Sehnsucht nach Normalität ist groß nach einem viele Wochen dauernden Lockdown, der die Pandemie allenfalls gebremst hat.

Da kommt "Zero Covid" genau zur richtigen Zeit. Der Aufruf aus dem linken bis extrem linken Spektrum, der vorige Woche veröffentlicht wurde, verlangt einen Strategiewechsel. Der Versuch, durch Kontrolle die Ansteckungsrate zu senken ("flatten the curve"), sei gescheitert und müsse durch einen "solidarischen europäischen Shutdown" ersetzt werden: "Kein kontrolliertes Weiterlaufen der Pandemie, sondern ihre Beendigung. Das Ziel darf nicht in 200, 50 oder 25 Neuinfektionen bestehen - es muss Null sein." Um das zu erreichen, müssen die "gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft für eine kurze Zeit" stillgelegt werden.

Nun ist die Forderung nach einem härteren, dafür kürzeren Lockdown per se nicht neu. Bereits im Dezember hatten europäische Wissenschaftler eine gemeinsame Strategie gefordert, um bis zum Frühjahr die Zahl der neuen Corona-Fälle auf zehn pro eine Million Menschen zu senken. Zu den Unterzeichnern gehörten der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité und Clemens Fuest, der Präsident des Münchner Ifo-Instituts. "Zero Covid" beruft sich ausdrücklich auf diese Initiative. Nun liegt die propagandistische Wirkung - man könnte auch sagen: ihr PR-Erfolg - von "Zero Covid" eben in der Null. Es soll nicht weniger Infektionen geben, sondern gar keine. Null ist null. Das jedoch ist reines Wunschdenken. Oder, um die taz zu zitieren, eine "halbtotalitäre Fantasie".

Die Initiative fordert eine "solidarische Arbeitspause". Das erinnert verdächtig an Venezuela

Dazu passt das "solidarische" Wirtschaftsprogramm von "Zero Covid". Es liest sich so, als wolle jemand die Pandemie benutzen, um im Vorbeigehen den Kapitalismus abzuschaffen. Die Betriebe sollen so lange geschlossen bleiben, bis die Null erreicht ist. Die dazu notwendigen Maßnahmen sollen die Beschäftigten in den Betrieben "selber gestalten und gemeinsam durchsetzen". Dass es so etwas wie Eigentümer gibt, die unter Umständen Insolvenz anmelden müssen, ist nicht vorgesehen. Stattdessen soll es ein "Rettungspaket" für die Opfer des Shutdowns geben: Menschen mit niedrigen Einkommen, in beengten Wohnverhältnissen, in einem gewalttätigen Umfeld, Obdachlose. Sammelunterkünfte sollen aufgelöst, Flüchtlinge dezentral untergebracht werden. Außerdem sollen die Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeheimen mehr Geld bekommen.

Dramatisch weniger produzieren und gleichzeitig dramatisch mehr für Soziales ausgeben - diese "solidarische Arbeitspause" ("Zero Covid") erinnert verdächtig an Venezuela und die Rezepte des "bolivarischen Sozialismus". Zwar soll die "Arbeitspause" nur kurz gelten. Aber was ist, wenn die Null nach zwei Monaten nicht erreicht ist und auch nicht nach vieren oder einem halben Jahr? Die Finanzierung soll eine europaweite Abgabe auf "hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen" sichern. Aber was mag wohl nach ein paar Monaten solidarischer Arbeitspause von den Gewinnen übrig bleiben, die man besteuern will?

Der Kreis der Erstunterzeichner ist groß. Sehr viele Pflegekräfte, dazu Schriftstellerinnen, Philosophen, Künstlerinnen, Theologen, Ärztinnen, Soziologen, Klimaaktivistinnen und Journalisten. Außerdem: die Abgeordnete einer trotzkistischen Splittergruppe aus dem Tessiner Kantonsparlament; ein Vertreter der "antikapitalistischen Linken" innerhalb der Linkspartei; die "Interventionistische Linke", eine Gruppe, die namentlich im Verfassungsschutzbericht erwähnt wird.

Immerhin gibt es auch einen Ökonomen unter den Erstunterzeichnern: Rudolf Hickel, Emeritus von der Universität Bremen. Bei ihm hört sich Projekt "Zero Covid" ganz pragmatisch an. Das Ziel der Initiative, die Null, sei "bewusst aufrüttelnd" gesetzt. "Alle wissen, eine Null-Infektionsrate wird es nicht geben. Aber in Richtung radikaler Reduktion ist ein gesellschaftlicher Kraftakt geboten. Wir schränken unsere direkten Kontakte auf ein Minimum - und zwar auch am Arbeitsplatz ein." Besonders die Industrie sei bisher beim Lockdown ausgespart worden.

Über diese Aussage können Fachleute diskutieren. Aber der PR-Effekt von "Zero Covid" wäre weg, würde man den Leuten sagen, dass die Null sowieso nicht zu erreichen ist. Der Duktus des Aufrufs ist deshalb ganz anders. Man wisse, "dass wir den Schutz unserer Gesundheit gegen kurzfristige Profitinteressen und große Teile der Politik erkämpfen müssen". Der Kampf gegen Corona als Form des Klassenkampfes - darauf muss man kommen. Das Neue Deutschland prägte in einem Bericht über "Zero Covid" dazu passend den schönen Begriff "kapitalistischer Seuchenstaat".

Auch sonst lässt der Aufruf an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Impfstoffe seien ein "globales Gemeingut", heißt es da, sie sollten der "privaten Profiterzielung" entzogen werden. In der Realität ist die Suche nach Corona-Impfstoffen und deren Verteilung von Anfang an ein Gemeinschaftsprojekt von Regierungen und Privatwirtschaft gewesen. Aber kein Unternehmen hätte dabei mitmachen können, wenn man ihm verboten hätte, Gewinne zu erzielen. Der Satz in dem Aufruf kann also nur so verstanden werden, dass man die Firmen enteignet, nachdem sie etwas erforscht haben.

Ob wohl alle Erstunterzeichner vorher gelesen haben, wofür sie ihren Namen hergeben?

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