Süddeutsche Zeitung

Zeitarbeitsfirmen:Ausbeuter vor dem Aus

Viele Zeitarbeitsfirmen gelten als rücksichtslose Ausbeuter. Doch nun geht es ihnen an den Kragen: Nach einem Gerichtsurteil müssen sie Sozialbeiträge in Milliardenhöhe nachzahlen. Es droht eine Pleitewelle.

Daniela Kuhr

Zahlreichen Zeitarbeitsfirmen droht die Pleite, weil sie für schätzungsweise 280.000 Leiharbeitnehmer Sozialbeiträge in Milliardenhöhe nachzahlen müssen. Das ist nach Ansicht von Juristen die Folge eines Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom Dezember, das jetzt schriftlich veröffentlicht wurde. Schätzungen zufolge dürfte es um Sozialbeiträge in Höhe von zwei bis 2,4 Milliarden Euro gehen. Die Deutsche Rentenversicherung kündigte am Montag an, die Urteilsgründe genau zu prüfen. "Wenn wir Ansprüche auf ausstehende Sozialversicherungsbeiträge haben, müssen wir sie geltend machen", sagte ein Sprecher. "Da haben wir keinen Ermessensspielraum."

Hintergrund des Urteils ist der sogenannte Equal-Pay-Grundsatz. Seit 2003 steht Zeitarbeitern der gleiche Lohn zu wie der Stammbelegschaft des Unternehmens, an das sie ausgeliehen werden - es sei denn, ein Tarifvertrag sieht etwas anderes vor. Diese Ausweichmöglichkeit, die der Gesetzgeber als Ausnahme vorgesehen hatte, haben viele Zeitarbeitsfirmen genutzt.

So hat die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) mit etwa 1600 verschiedenen Arbeitgebern Tarifverträge abgeschlossen, in denen deutlich niedrigere Stundenlöhne für Zeitarbeitnehmer vereinbart wurden. Angeblich hatte die Zeitarbeit nur so eine Chance, am Markt nachgefragt zu werden. Das Bundesarbeitsgericht entschied jedoch, dass die CGZP gar nicht tariffähig ist, unter anderem, weil ihr mangels genügend Mitgliedern die erforderliche Tarifmächtigkeit fehlt.

Was nach der Urteilsverkündung im Dezember jedoch offenblieb, war die Frage, ob die CGZP damit nur von sofort an keine Tarifverträge mehr abschließen darf oder ob das auch rückwirkend gilt. Nach Ansicht von Arbeitsrechtlern geht aus der Urteilsbegründung eindeutig hervor: Auch die in der Vergangenheit abgeschlossenen Tarifverträge sind unwirksam - was weitreichende Folgen hat, vor allem im Bereich der Sozialversicherung. Weil die Leiharbeiter eigentlich den vollen Lohn der Stammbelegschaft hätten erhalten müssen, sind auf die Gehaltsdifferenz nun Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungsbeiträge für vier Jahre nachzuzahlen.

Nach Schätzungen von IG-Metall-Justitiar Thomas Klebe geht es dabei pro Jahr um 500 bis 600 Millionen Euro und damit insgesamt um 2 bis 2,4 Milliarden Euro. Um zu verhindern, dass die Ansprüche aus dem Jahr 2006 verjähren, hatte die Deutsche Rentenversicherung noch im Dezember, unmittelbar nach der Urteilsverkündung, 1400 Firmen angeschrieben und sämtliche Beiträge für Renten- , Arbeitslosen- und Krankenversicherung vorsorglich geltend gemacht. Klebe wirft den Sozialkassen vor, zu lange untätig geblieben zu sein. "Auch für die Jahre 2004 und 2005 hätten sie Beiträge verlangen können, jetzt aber sind die Ansprüche verjährt."

Theoretisch ist auch für die Zeitarbeiter was drin

Der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing befürchtet eine Pleitewelle. "Wenn man hier nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes auf die Beiträge verzichtet, wird sich für viele Unternehmen die Frage der Insolvenz stellen." Schon im Frühjahr dürfte es ernst werden, denn dann müssen die Firmen in ihren Jahresabschlüssen Rückstellungen für die Sozialbeiträge bilden - was zu ersten Pleiten führen könnte. Dann aber droht auch den Firmen Ärger, die Zeitarbeiter beschäftigt haben. Denn sie haften gegenüber den Sozialkassen wie ein Bürge.

Theoretisch könnten auch die betroffenen Zeitarbeiter rückwirkend mehr Geld verlangen. "Gehaltsforderungen verjähren erst nach drei Jahren", sagt Klebe. "Allerdings steht in vielen Arbeitsverträgen, dass gegenseitige Ansprüche bereits nach drei Monaten verfallen." Er glaubt daher nicht, dass die Zeitarbeitnehmer noch nennenswert Geld erhalten werden.

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SZ vom 01.03.2011/aum
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