Zeitarbeit - Lohndumping - Burn-out:Wir Ausgebeuteten

Callcenter Die Recherche

Beengt und unter ständiger Kontrolle: Mitarbeiter in Callcentern (Symbolfoto) fühlen sich mitunter wie ein einer "Überwachungszentrale".

(Foto: AP)

Sie arbeiten bis tief in die Nacht, hangeln sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten oder werden gekündigt, wenn sie krank sind: SZ-Leser berichten von Missständen in deutschen Callcentern, Krankenhäusern und Unternehmen.

Von Sabrina Ebitsch

Während die SZ-Redaktion zu Ausbeutung und Zukunft der Arbeit recherchiert hat, haben sich zahlreiche Menschen gemeldet, bei denen diese Recherche einen Nerv getroffen hat. Die in schwierigen Arbeitsverhältnissen stehen, die sich ungerecht behandelt, ja ausgebeutet fühlen - und die davon berichten wollen. Um unsere Interviewpartner zu schützen, haben wir ihre Namen auf ihren Wunsch hin teilweise verfremdet.

"Zwischen Ausbeutung und Selbstverwirklichung: Wie arbeiten wir in Zukunft?" Diese Frage hat unsere Leser in der achten Runde des Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Beitrag ist Teil eines Dossiers, das sie beantworten soll. Alles zur aktuellen Recherche finden Sie hier, alles zum Projekt hier.

"Bezahlt werde ich in Essensmarken"

Melanie Haas, 25 Jahre

  • Arbeitet als: Psychotherapeutin in Ausbildung
  • Verdient: Ein paar Hundert Euro und Essensmarken bei mehr als 50 Stunden Wochenarbeitszeit
  • Ärgert sich über: viel Arbeit und wenig Geld in einer zu langen Ausbildungsphase

Jeden Monat komme ich der Insolvenz einen Schritt näher. Ich bin Psychotherapeutin in Ausbildung (PiA), noch ziemlich am Anfang. Ich arbeite im Schnitt 50 Stunden pro Woche: neben der theoretischen Ausbildung arbeite ich in der Klinik und in einem Nebenjob. Mit dem habe ich im Februar gut 650 Euro verdient, das reicht gerade, um die Lebenshaltungskosten zu decken. Ich schreibe an drei bis vier Tagen die Woche Berichte für die Kostenübernahme von Therapien für die Krankenkassen. Pro Bericht bekomme ich bis zu 80 Euro - wenn einer aufwändiger ist und ich länger brauche, ist es mein Problem.

Drei weitere Tage mache ich die praktische Ausbildung in der Ambulanz einer Klinik. Das ist sehr stressig, ich stehe unter Zeitdruck und trage viel Verantwortung, weil ich wegen des Ärztemangels wenig Unterstützung bei der Behandlung von Patienten erhalte. Ich sitze allein im Büro und empfange stündlich Patienten - wenn ich einen Arzt hinzuziehe, gerät der Zeitplan durcheinander. Deswegen muss ich eigenständig entscheiden, ob beispielsweise Suizidgefahr bei jemandem besteht. Bezahlt werde ich in Essensmarken.

Angeleitet werde ich kaum. Es gibt 15 Therapeuten in Ausbildung, aber fast keine festangestellten. Kein Geld zu bekommen, wäre ja noch gerechtfertigt, wenn der Ausbildungszweck im Vordergrund stünde und die Auszubildenden nicht die Hauptverantwortung tragen würden, aber das trifft nicht zu. Es ist offensichtlich, dass wir festangestellte Therapeuten ersetzen und das auf sehr günstige Weise.

Außerdem gehe ich drei Mal die Woche zur Lehranalyse, die zu meiner Ausbildung gehört. Das heißt, ich lege mich bei einer Psychoanalytikerin auf die Couch und zahle dafür 80 Euro pro Stunde. Im Monat kostet mich das 1000 Euro. Für Seminare am Abend kommen 600 Euro pro Semester dazu. Obwohl ich so viel arbeite wie möglich, reicht mein Geld nicht aus, ich zahle das von meinen Ersparnissen. Wie lange die noch reichen, ist unklar, über kurz oder lang werde ich einen Kredit aufnehmen müssen. Ich rechne damit, in sieben Jahren mit meiner Ausbildung fertig zu sein. Das heißt, bis ich richtig ins Berufsleben starte und normal Geld verdiene, bin ich über 30.

Das alles ist sehr belastend, ich habe kaum Freizeit und bin manchmal so erschöpft und mit meinen eigenen Problemen beschäftigt, dass ich gar nicht mehr angemessen auf die Patienten eingehen kann. Ironischerweise steht in den ethischen Grundsätzen für Psychotherapeuten, dass man seine eigene Arbeitsfähigkeit erhalten und sich nicht überfordern soll. Als PiA geht das aber kaum.

"Eine Fehlleistung wird markiert und ist für alle sichtbar"

Jochen Minge, über 40 Jahre alt

  • Arbeitet als: Teilzeitbeschäftigter in einem Callcenter
  • Verdient: 1100 Euro bei 33 Stunden Wochenarbeitszeit (offiziell)
  • Ärgert sich über: geringe Bezahlung, ständige Kontrolle und Druck, cholerische Kunden

Bei uns an der Wand hängt eine Tafel, vielleicht zwei auf drei Meter, die ich liebevoll den "Pranger" nenne. Dort wird in den Ampelfarben markiert, welcher Mitarbeiter über, im oder unter dem Durchschnitt liegt. Allerdings sind die Vorgaben oft nicht einzuhalten, wenn einer zum Beispiel einen schwierigen Kunden hat, bei dem das Gespräch länger dauert. Oder wenn man einen komplizierten ausländischen Namen im Gespräch nicht oft genug nennt, denn dass man Kunden mindestens drei Mal mit Namen anspricht, ist auch vorgeschrieben.

Die vermeintliche Fehlleistung ist schnell markiert und für alle sichtbar. Logge ich mich zwei Minuten zu spät ein, wird mir ein Vorgesetzter das vorhalten. Innerhalb von sechs Sekunden nach dem ersten Klingeln muss ich das Gespräch annehmen. Es sollte nicht länger als drei bis dreieinhalb Minuten dauern. Worte wie "wunderbar", "prima" oder "super" müssen dabei zwingend fallen. Nach Gesprächsabschluss habe ich sechs Sekunden, um mein Computerprogramm zu schließen und einen neuen Kunden zu begrüßen. Nicht einmal der Gang zur Toilette ist ohne kritische Blicke der Vorgesetzten möglich. Eine Überwachungszentrale, Privatsphäre gibt es nicht.

Die Arbeitsumstände bei uns im Callcenter - wir betreuen die Kunden einer großen Bank - sind aber auch darüber hinaus schwierig. Das fängt schon bei Kleinigkeiten an: Zum Beispiel sind aus Kostengründen die Wasserleitungen so eingestellt, dass kein warmes Wasser aus dem Hahn kommt. Die defekte Neonröhre flackert. Die Stühle wackeln und wir sitzen so eng, dass es unangenehm ist.

Wenn an schlechten Tagen noch Kunden hinzukommen, die sich nur beschweren, rumschreien oder einen beleidigen, frage ich mich schon manchmal, warum ich das noch mache. Aber ich habe kaum Alternativen, auch wenn ich aus dem Bereich Banken und Versicherungen komme. Ich bewerbe mich zwar regelmäßig, aber in meinem Alter bin ich nicht gerade der ideale Kandidat. Vielen Kollegen geht das ähnlich, obwohl sie eine abgeschlossene Ausbildung, ein Studium oder sogar einen Doktortitel haben. Hartz-IV-Empfänger, die aufstocken, sind aber genauso dabei.

Ich verdiene jetzt 1100 Euro brutto, durch den Mindestlohn ist es nur minimal mehr geworden. Weil unsere Vorgesetzten mit der Einführung zum Jahreswechsel die Boni an nicht erreichbare Vorgaben gekoppelt haben und die jetzt wegfallen. Dafür arbeite ich 33 Stunden in der Woche, faktisch aber mehr, knapp 40 Stunden, weil ich schon früher den Computer hochfahren und alles einrichten muss, um mit Dienstbeginn einsatzbereit zu sein. Wenn viele Anrufe kommen, ist es mein Pech, dass ich keine Pause machen kann. Und natürlich kann ich nicht einfach mit Schichtende auflegen, wenn ich einen Kunden am Telefon habe. Zeit für einen zweiten Job bleibt da nicht, das wäre mir auch zu anstrengend, die Arbeit im Callcenter ist hart genug.

"Eine Woche später war ich gefeuert"

Melanie Taubert, 31 Jahre

  • Arbeitete als: Aushilfe in einem Fitnessstudio
  • Verdiente: bis zu 450 Euro
  • Ärgert sich über: Kündigung nach Krankheit

Ich war fünf Monate Mädchen für alles in einem Fitnessstudio, als ich eine Erkältung bekam und am Wochenende nicht arbeiten konnte. Mein Lohn für diesen Monat wurde entsprechend gekürzt - obwohl die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch für 450-Euro-Jobber gilt. Ich habe meine Chefs um Nachzahlung gebeten. Die haben mich daraufhin zu sich ins Büro bestellt und mich auflaufen lassen: Sie würden die gesetzliche Regelung zwar kennen, seien aber der Meinung, sich nicht daran halten zu müssen. Außer natürlich, ich würde explizit darum bitten. Was ich dann höflich tat, woraufhin sie mir zusagten, das fehlende Geld zu überweisen.

Eine Woche später war ich gefeuert. Auf die Frage nach den Gründen haben sie mir nur ausweichend geantwortet und schließlich angebliche Beschwerden von Kollegen und Kunden angeführt. Ich bin aus allen Wolken gefallen, weil ich bisher - so waren die Rückmeldungen - gute Arbeit geleistet und mich mit allen gut verstanden hatte. Und selbst wenn, wäre das kein Grund für einen Rauswurf, zumindest nicht ohne vorherige Abmahnung.

Aber in dem Moment war ich völlig verdattert, weil ich mit sofortiger Wirkung freigestellt wurde und - unter Aufsicht - meine Sachen packen und das Studio verlassen musste. Das Geld für die Krankheitstage kam tatsächlich mit meinem letzten Gehalt. In einer Mail habe ich noch die anteilige Auszahlung des Jahresurlaubs eingefordert. Und bekam die schnippische Antwort, man sei davon ausgegangen, dass das mit sechs Monaten freier Trainingsmöglichkeit abgegolten sei. Anscheinend hat in diesem Fitnessstudio nur derjenige eine Chance auf einen sicheren Arbeitsplatz, der sich freiwillig und stillschweigend ausbeuten lässt, anderslautende Gesetze hin oder her.

"Es ist eine Art akademischer Billiglohn-Sektor"

Tina Kaiser, 33 Jahre

  • Arbeitet als: freiberufliche Lehrkraft für Wirtschaftsenglisch und Deutsch als Fremdsprache
  • Verdient: etwa 900 Euro für 20 Stunden Wochenarbeitszeit
  • Ärgert sich über: schlechte Bezahlung, prekäre Arbeitsbedingungen

Viele Dozenten bei uns an der Uni haben weniger Geld als ihre Studenten. Das ist ihnen peinlich, sie müssen ihre latente Armut überspielen, was mitunter nicht einfach ist, wenn man sich nicht einmal einen Zahnersatz leisten kann. Wer das Maximum von 24 Unterrichtseinheiten leistet, kommt etwa auf 1800 Euro im Monat. Mit Vor- und Nachbereitung ist das aber eine 40-Stunden-Woche. Viele Kollegen schlagen sich permanent mit etwa 1000 Euro pro Monat durch, weil sie gar nicht mehr Kurse zum Unterrichten bekommen. Ich promoviere derzeit und arbeite nicht Vollzeit, daher versuche ich mich mit 900 Euro pro Monat über Wasser zu halten. Ich unterrichte an zwei Hochschulen Englisch für verschiedene Fachbereiche, in den Ferien gebe ich Deutschkurse, für die ich nicht einmal 20 Euro pro Stunde bekomme.

Honorarlehrkräfte wie ich haben keinerlei Sicherheiten: Die jährlich fünf Monate langen Semesterferien bedeuten kompletten Verdienstausfall, das gleiche gilt übrigens, wenn man krankheitsbedingt nicht unterrichten kann. Die Verträge sind auf ein Semester befristet und wie viele Kurse man im kommenden Semester geben kann, erfährt man wenige Tage vor dem Start. Und schließlich sehe ich mich noch mit dem Vorwurf der Scheinselbständigkeit konfrontiert, weil mir mein Arbeitgeber nun mal keine Festanstellung ermöglicht.

In 30 Jahren droht Altersarmut, weil meine Bezüge nicht reichen, um in die Rentenkasse einzuzahlen, geschweige denn, privat vorzusorgen. Auf eine Festanstellung hoffe ich schon lange nicht mehr. Ich habe deswegen nebenher noch Staatsexamen für Gymnasiallehramt gemacht, um nach meiner Promotion Kinder an Schulen unterrichten zu dürfen. Dies macht mir zwar weniger Spaß, bietet jedoch die finanzielle Sicherheit, die es - spätestens wenn man sich mit Familienplanung beschäftigt - nun mal braucht.

Natürlich hat diese Schieflage im System auch Auswirkungen auf die Lehre: Die Motivation ist im Keller und letztlich lohnt es sich für die Lehrkräfte - zynisch gesagt -, möglichst wenig Zeit in Vor- und Nachbereitung ihrer Stunden zu investieren. Im Prinzip ist das eine Art akademischer Billiglohn-Sektor. Es bräuchte verbindliche Tarifverträge für alle Dozenten, zumindest für alle, die Prüfungsleistungen abnehmen und damit maßgeblich die Zukunft der Studenten beeinflussen - eine Art Mindestlohn für Akademiker. Das Geld dafür ist durchaus vorhanden, wenn die Politiker nicht nur bis zur nächsten Wahl denken würden.

"Vollzeit heißt 50 Stunden, in Spitzenzeiten locker 60"

Sabine Kettler, 38 Jahre

  • Arbeitet als: Werberin
  • Verdient: 2500 Euro für 25 Stunden Wochenarbeitszeit (offiziell)
  • Ärgert sich über: Druck, Überstunden und den Mami-Stempel

In der Werbebranche ist es ganz selbstverständlich, dass die Mitarbeiter in den letzten Wochen eines Projekts kein Privatleben mehr haben. Dass man Bastelnachmittage mit den Kindern oder Treffen mit Freunden sausen lässt und sich Tag und Nacht der Arbeit verschreibt. Für mich bedeutet das, dass ich meinem Sohn nichts mehr versprechen kann - zum Beispiel, mit ihm im Kindergarten die Laternen für den Martinsumzug zu basteln. Dass ich an diesem Nachmittag nicht im Büro sein kann, stand lange fest. Bis mein Chef kurz vorher sagte: Nee, geht doch nicht, und wenn ich es trotzdem täte, sei das Arbeitsverweigerung und das Projekt für mich gestorben. Ich bin geblieben, aber Leidtragender war mein Sohn.

Ich arbeite in der Werbung, seit ich 26 bin. Seit meiner Elternzeit nur noch 25 Stunden pro Woche in Teilzeit, davor Vollzeit - wobei das nicht 40, sondern eher 50 Stunden hieß, in Spitzenzeiten locker 60. Junge Kollegen denken, es sei wichtig durchzuhalten, Tag und Nacht zu arbeiten, um nach zwei Jahren zu einer großen Agentur zu wechseln. Sie lassen sich blenden von durchdesignten Loft-Büros und schicken, rückenfreundlichen Bürostühlen. Aber das Klischee vom porschefahrenden Art Director im schicken Penthouse stimmt nicht. In Wahrheit geht es immer so weiter wie bisher, nur die wenigsten steigen auf und werden belohnt.

Viele halten dem Druck irgendwann nicht mehr stand. Auch ich bin in den Burn-out gerutscht. Ich habe mir ständig Sorgen gemacht, war immer unruhig, konnte nicht mehr schlafen, bin nur noch der Arbeit hinterhergehechelt. Zwei Jahre war ich in Behandlung, bis ich gemerkt habe: Das alles bringt mir nichts. Ich habe mich erholt und bin wieder eingestiegen, jetzt - mit zwei Kindern - in Teilzeit. Das ist in der Branche ungewöhnlich, deswegen bekomme ich den Mami-Stempel aufgedrückt. Vor der Elternzeit hatte ich ein eigenes Team, jetzt mache ich keine Projekte mehr, sondern nur noch kleinere Aufgaben, die ein Praktikant billiger erledigen könnte.

Aber ich lasse mich nicht mehr mit neuen Rechnern oder Cocktailabenden ködern. Und ich beantworte abends keine Mails mehr und feile auch nicht bis nachts um drei an Präsentationen. Ein sicherer Job, eine anständige Bezahlung und ein Chef, der auch mal ein freundliches, anerkennendes Wort übrig hat, sind mir mittlerweile wichtiger. Ich bin so weit, mit der Werbebranche abzuschließen, und mir etwas in der Unternehmenskommunikation oder an einer Hochschule zu suchen. Eigentlich habe ich schon innerlich gekündigt, nicht nur wegen der Bezahlung, sondern auch wegen dieser Spielchen, die ich nicht mehr mitmachen will.

"Für Menschen wie mich ist dann Endstation"

Marco Schmeller, 34 Jahre

  • Arbeitet als: Wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Forschungsinstitut
  • Verdient: 3600 Euro für 39 Stunden (offiziell)
  • Ärgert sich über: befristete Verträge, Perspektivlosigkeit

Das Geld, von dem ich im Moment bezahlt werde, ist in drei Jahren weg. Wie es danach weitergeht? Ich weiß es nicht. Ich hoffe, dann aus anderen Töpfen bezahlt zu werden, aber sicher ist das nicht. Das ist eine schwierige Situation für mich und meine Familie - wir haben vor Kurzem Nachwuchs bekommen. Wenn man sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangelt, zögert man mit dem Kinderkriegen und baut kein Haus. Die berufliche Unsicherheit reicht weit hinein ins Privatleben.

Aber richtig schlimm wird es erst in ein paar Jahren. Dann ist die Frist abgelaufen, nach der Wissenschaftler nicht mehr mit wiederholten Zeitverträgen beschäftigt werden dürfen. Das Gesetz war gut gemeint, es sollte Arbeitnehmer schützen, denen dann ein unbefristeter Vertrag angeboten werden muss. Aber in der Realität führt es faktisch zu einem Beschäftigungsverbot. Und dazu, dass Menschen auf der Strecke bleiben - Menschen wie ich, für die dann Endstation ist.

Ich kann dann kaum mehr im akademischen Mittelbau an einer Uni oder einem Forschungsinstitut arbeiten. Wenn ich in der Forschung bleiben will, ist die einzige Perspektive, Professor zu werden, weil es andere unbefristete Stellen kaum gibt. Aber natürlich gibt es auch nicht so viele Professuren. Außerdem liebe ich es, Forscher zu sein, und würde es am liebsten mein Leben lang bleiben. Ich bin gern im Labor, werte Daten aus, schreibe wissenschaftliche Artikel - ich will gar nicht Professor werden, um Forschung nur noch zu verwalten.

Für meinen Traumberuf nehme ich auch einiges in Kauf. Ich habe studiert, promoviert und bin Spezialist in meinem Fachgebiet innerhalb der Biowissenschaften. Aber bezahlt werde ich nicht danach. Zumal ich in der Realität weit mehr arbeite als die 39 Stunden, die abgerechnet werden. Es wird wie selbstverständlich erwartet, dass ich meine Wochenenden auf Symposien oder Seminaren verbringe oder meine Aufsätze am Abend schreibe.

Wegen der fehlenden Perspektiven gehen viele schon nach der Promotion in die Industrie, teuer ausgebildete Wissenschaftler werden so Vertreter für Laborprodukte oder Pharmazeutika - oder ganz ins Ausland. Aber das ist nichts für mich und mit Mitte 40 wäre der Absprung auch schwierig. Deswegen müsste das Gesetz abgeschafft und der akademische Mittelbau gestärkt werden - damit ich mich wenigstens von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln könnte. Wahrscheinlich wird daraus nichts werden, aber ich werde es wohl darauf ankommen lassen.

"Es werden zehn Tage bezahlt, auch wenn wir 15 drehen"

Werner Beckmann, 64 Jahre

  • Arbeitet als: Kameramann, Produzent, Dozent
  • Verdient: bis zu 300 Euro an einem Zehn-Stunden-Tag
  • Ärgert sich über: gestiegene Erwartungen und Selbstausbeutung

Kameraleute sind heute zuständig für alles - sie machen alleine, was früher drei Leute gemacht haben. Wir drehen ohne Tonmeister und Assistenz und müssen trotzdem Top-Qualität abliefern, weil es an Geld fehlt. Oder es macht eben der Praktikant die Kamera und die Qualität ist egal. Aber mir ist es nicht egal, es ist mein Anspruch, gute Qualität abzuliefern - das führt oft zu Selbstausbeutung. Ich höre nicht einfach auf und lasse es gut sein, sondern mache weiter, auch wenn die Stunden vom Honorar längst nicht mehr abgedeckt sind.

Ich verdiene etwa 200 Euro pro Tag als Dozent und 300 Euro als Kameramann - teils auch weniger, wenn das verlangt wird. Letztlich geht es immer darum, günstiger zu sein als die Konkurrenz. Üblich ist bei uns ein Zehn-Stunden-Tag, meist ohne Mittagspause, Zeit ist schließlich Geld. Wenn ich ohne Assistent arbeite, bedeutet das: zehn Stunden oder mehr fahren, Ausrüstung schleppen, aufbauen, Ton und Licht im Auge haben, drehen, schnell reagieren, kreativ sein, Vorschläge machen - und natürlich hochmotiviert sein, immer.

Damit bin ich deutlich billiger als ein Handwerker. Und wenn für einen Dokumentarfilm zehn Tage kalkuliert sind, werden zehn Tage bezahlt, auch wenn wir letztlich 15 Tage drehen, weil wir ja einen tollen Film abliefern wollen. Hinzu kommt, dass ich unentgeltlich kreuz und quer durch die Gegend fahre und von meinem Honorar auch die teure Ausrüstung finanziere.

Kameramann ist ein toller Job, aber das große Geld fließt nicht. Im Laufe meines Berufslebens ist es auch immer schwieriger geworden, weil Filmen alltäglicher geworden ist. Der Wert des bewegten Bildes hat abgenommen - mit dem Smartphone meint heute jeder, einen Film machen zu können. Jetzt, mit 64, reicht es mir so langsam. Ich schaffe die Schlepperei höchstens noch ein paar Jahre, dann will ich Drehbücher schreiben. Von meinen 500 Euro Rente könnte ich kaum leben.

"Sobald alles läuft, bin ich überflüssig"

Sebastian Hebener, 44 Jahre

  • Arbeitet als: IT-Fachkraft im Support
  • Verdient: 2800 Euro brutto für 39 Wochenstunden
  • Ärgert sich über: Ausnutzung als Leiharbeiter und befristete Verträge

Nach ein paar Monaten wird man nicht mehr gebraucht - Leiharbeiter zu sein, fühlt sich manchmal wirklich mies an. Namhafte Unternehmen holen mich für die Installation neuer Software oder wenn auf neue Geräte umgestellt wird. Über den Zeitraum von einigen Monaten gibt es da großen Personalbedarf, der über externe Leiharbeiter abgedeckt wird. Wir machen dasselbe wie Festangestellte, aber die Differenz bei der Bezahlung ist immens - gut 1000 Euro pro Monat waren es das letzte Mal. Und sobald alles läuft, bin ich überflüssig, auch wenn ich gute Arbeit geleistet habe. Die Option auf Übernahme, die oft gerne angeführt wird, hat mit der Realität wenig zu tun. Und wenn es dann doch mal passiert, wird der Lohn gedrückt.

Ich arbeite im IT-Support, ich helfe also den Anwendern, wenn sie Schwierigkeiten haben, tausche Geräte aus, mache Reparaturen. Ich habe eine kaufmännische Ausbildung, allerdings mittlerweile mehrere Jahre Berufserfahrung im IT-Bereich und etliche Fortbildungen und Zertifizierungen, aber eben kein Studium in meinem Lebenslauf stehen. Ich kann mehr, das wird aber kaum wahrgenommen. In der Branche ist Leiharbeit nicht unüblich und als Quereinsteiger hat man es noch schwerer.

Auch zu meiner aktuellen Stelle bin ich nur über eine Leiharbeitsfirma gekommen. Ich arbeite jetzt im öffentlichen Dienst, aber nur noch bis Ende des Jahres, dann läuft mein Vertrag aus. Wie es weitergeht, ist völlig offen, bisher hält sich mein Chef sehr bedeckt. Ich strecke meine Fühler schon aus, aber das Einzige, was sich bisher ergeben hat, wäre wieder nur Leiharbeit und damit mehrere Hundert Euro weniger am Monatsende.

Es ist ein ungutes Gefühl, nicht zu wissen, was kommt. Gerade in meinem Alter möchte ich langfristiger planen, auch an Familie denken. Aber unter diesen Bedingungen ist das kaum realisierbar. Ich hangle mich seit Jahren von einer befristeten Stelle zur nächsten. Länger als zwei Jahre war ich nie irgendwo. Viele Chancen, dass sich das ändert, sehe ich im Moment nicht. Die Firmen argumentieren mit dem wirtschaftlichen Risiko, weil sie ja nicht absehen könnten, wie es konjunkturell weitergehe. Aber das Risiko verschwindet ja nicht, es wird nur auf die Arbeitnehmer abgewälzt. Ich wünsche mir nichts mehr als eine längerfristige Anstellung, am liebsten als Leiter eines kleinen Teams, das würde ich mir zutrauen.

Die Recherche zur Zukunft der Arbeit

"Zwischen Ausbeutung und Selbstverwirklichung: Wie arbeiten wir in Zukunft?" Diese Frage hat unsere Leser in der achten Runde unseres Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Das folgende Dossier soll sie beantworten.

  • Stechuhr Arbeiten nach dem Lustprinzip

    Führungskraft in Teilzeit, Sparen für das Freizeit-Konto oder Rentnerin auf Abruf: Manche Firmen lassen ihre Beschäftigten arbeiten, wie sie wollen. Fünf Arbeitnehmer berichten.

  • Feelgood Arbeite und fühl' dich wohl

    Gerade jungen Menschen ist Freiheit und Spaß bei der Arbeit wichtiger als das Gehalt. Die Unternehmen reagieren - mit individueller Karriereplanung und "Feelgood-Managern".

  • Seyferth Der Arbeitsverweigerer

    "Arbeit ist scheiße": Mit diesem Slogan wollte Peter Seyferth politische Karriere machen. Heute ist er freiberuflicher Philosoph und verweigert noch immer die Arbeit. Zumindest im Kopf.

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    Schneller, flexibler, vernetzter: Die digitale Revolution wird unsere Arbeit komplett verändern. Zum Guten oder zum Schlechten? Fünf Zukunftsvisionen.

  • Geriatric nurse talking to age demented senior woman in a nursing home model released Symbolfoto pro Who cares?

    Leben bedeutet heute Berufsleben. Doch wer kümmert sich ums Baby, wer macht den Einkauf, wer schaut nach der dementen Tante, wenn alle so viel arbeiten? Der Care-Bereich blutet durch die Ökonomisierung der Gesellschaft aus.

  • Bloggerkonferenz re:publica Warum wir nie ausstempeln

    Arbeit macht Spaß - und Arbeit macht kaputt: Die heutige Berufswelt vereinnahmt den ganzen Menschen. Und wir machen das mit. Warum eigentlich?

  • Roboter "Bürojobs sind stärker als andere bedroht"

    Was passiert, wenn kluge Software und mit Sensoren ausgestattete Roboter plötzlich zur Konkurrenz für den Menschen werden? Nichts Gutes, sagt der IT-Experte Martin Ford. Ein Gespräch über eine Zukunft ohne Arbeit.

  • Sie wollen arbeiten

    Tausende Flüchtlinge kommen derzeit jede Woche nach Deutschland. Viele von ihnen sind bestens ausgebildet. Doch Deutschland nutzt diese Chance nicht. Wir stellen sechs Menschen vor, die nichts lieber tun würden, als hier zu arbeiten.

  • Callcenter Die Recherche Wir Ausgebeuteten

    Sie arbeiten bis tief in die Nacht, hangeln sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten oder werden gekündigt, wenn sie krank sind: SZ-Leser berichten von Missständen in deutschen Callcentern, Krankenhäusern und Unternehmen.

  • Arbeitsagentur "Wir statten Arbeitgeber mit billigem Menschenmaterial aus"

    Ihm begegnen Alleinerziehende, die trotz eines Ingenieurdiploms keinen Job finden, oder Migranten, die die Verträge, die sie unterschreiben, nicht lesen können: Ein Arbeitsvermittler aus einem Berliner Jobcenter gewährt subjektive Einblicke in das System Hartz IV.

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