Immobilienpleite in den USA 2007:Zehn Jahre Finanzkrise - welche Lehren man heute ziehen kann

´Schwarzer Montag" erschüttert US-Banken

Das Parkett der New York Stock Exchange im Krisenjahr 2008.

(Foto: dpa)

Es dauerte lange, bis selbst Experten 2007 die fatalen Auswirkungen der Immobilienpleiten in den USA begriffen. Heute wüssten sie zwar vielleicht, was zu tun ist - doch der Mensch macht sich gerne etwas vor.

Von Nikolaus Piper

Niemand konnte sich vorstellen, dass es so etwas in Deutschland noch einmal geben würde: Bankpleiten. Der letzte Fall war der Zusammenbruch der Herstatt-Bank 1974, die Opfer ihrer Devisenspekulationen geworden war. Danach führten die deutschen Banken ein System der Einlagensicherung ein, Schieflagen von Kreditinstituten wurden relativ geräuschlos entschärft. Die Deutschen waren zufrieden mit ihrer heilen Welt aus privaten Banken, Genossenschaften und Sparkassen.

Auch bei der Deutschen Industriebank IKB sah es im Sommer 2007 noch recht normal aus. Der Aktienkurs des auf Mittelstandskredite spezialisierten halbstaatlichen Instituts war zwar ins Trudeln gekommen. Doch am 20. Juli veröffentlichte der Vorstand in Düsseldorf die Quartalszahlen. Sie sollten die Märkte beruhigen: Die Bank sei gut ins Jahr 2007 gestartet, von dem Platzen der Immobilienblase in den Vereinigten Staaten sei man nur mit einem einstelligen Millionenbetrag betroffen. Alles normal also.

Es war die glatte Unwahrheit. Nur zehn Tage später, am 30. Juli, musste die Bank eine Ad-hoc-Mitteilung mit zwei Nachrichten veröffentlichen: Erstens trat der Vorstandsvorsitzende Stefan Ortseifen zurück. Und zweitens musste die Bank Kreditrisiken aus dem amerikanischen Immobilienmarkt von einer Milliarde Euro einräumen. Die IKB war akut in ihrer Existenz bedroht. Damit hatte niemand gerechnet.

Mit dieser Ad-hoc-Mitteilung war die Finanzkrise in Deutschland angekommen. Nur wusste man das damals noch nicht. Ja, es gab eine zunehmende Zahl von beunruhigenden Nachrichten aus den Finanzmärkten, die aber erst nach und nach einen Sinn ergaben. Vieles war zunächst nicht zu verstehen.

Rückblick: Ein Jahr zuvor, 2006, hatte die Krise des amerikanischen Immobilienmarktes begonnen. Jahrelang waren in den Vereinigten Staaten die Preise für Eigenheime gestiegen. Viele Familien mit geringem Einkommen machten bei dem Boom mit. Hypothekenbanken finanzierten ihnen Häuser, die sie sich eigentlich nicht leisten konnten, mit Krediten, die wegen der geringen Bonität der Schuldner für diese auch noch besonders teuer waren. Die Hypothekenbanken behielten diese "Subprime Loans" aber nicht, sondern verkauften sie an andere Banken, die sie wiederum zu Hypotheken-Anleihen bündelten und dann in der ganzen Welt vertrieben. Auf diese Weise wanderten die Kreditrisiken auch in die Bilanzen der IKB und anderer deutscher Banken, besonders wenn diese ganz oder teilweise in öffentlichem Besitz waren. Die Deutschen erwarben sich schell den Ruf, besonders naiv zu sein. "Immer wenn etwas schief geht, findest du irgendwo eine dumme deutsche Bank", hieß es an der Wall Street.

Die Dimension der Krise erahnten 2007 nur die wenigsten

Das Geschäft der Banken mit den Eigenheimen der Armen ging solange gut, wie die Preise stiegen. Damit war jedoch Mitte 2006 Schluss. Der Markt drehte sich und immer mehr Hauseigentümer konnten ihre überteuerten Subprime-Kredite nicht mehr bedienen, Anfang März 2007 waren bereits 10,5 Prozent dieser Subprime- Darlehen amerikaweit im Verzug. In der Süddeutschen Zeitung erschien am 24. März 2007 die erste Reportage über ein Opfer der Subprime-Krise - eine arme Witwe aus Brooklyn. Damals sah diese Krise noch vor allem wie ein soziales Problem aus: Arme Familien, viele Schwarze und besonders Einwanderer aus Lateinamerika, mussten zusehen, wie ihre Häuser zwangsgeräumt wurden und standen plötzlichmittellos auf der Straße. Welch globale Dimension das Problem haben würde, ahnten nur die wenigsten.

Einer davon war Nouriel Roubini, Wirtschaftsprofessor an der New York University. Roubini hatte viel über Entwicklungsländer geforscht. Er schaute sich die Daten aus den USA an: Spekulationsblase, hohe Verschuldung, überteuerte Immobilien, und es kam ihm alles bekannt vor. Das war genau das Muster von Finanzkrisen in der Dritten Welt, wie er sie kannte. Im September sprach Roubini bei einem Seminar des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington. Billionen Dollar an amerikanischen Hauskrediten würden faul werden, das globale Finanzsystem werde erschüttert werden. "Jetzt brauchen wir alle erst mal einen Drink", sagte der Moderator der Veranstaltung, einige Teilnehmer sollen gelacht haben.

Die Aktienmärkte waren ein denkbar schlechtes Krisen-Barometer

Das erste Halbjahr 2007 lieferte anschauliche Beispiele dafür, welch große Schwierigkeiten die Finanzmärkte mit ihren ganzen Computern, Modellen und Algorithmen haben, etwas qualitativ Neues zu erkennen, wenn es denn auftritt. Das Neue, das war eine Immobilienkrise, die nicht nur einzelne Regionen, sondern die gesamten Vereinigten Staaten erfasste. Neu waren auch die Instrumente der Spekulation - etwa verbriefte Kreditversicherungen ("Credit Default Swaps"), mit denen sich Kreditrisiken in Bilanzen auf der ganzen Welt verlagern ließen. Theoretisch sollte das die Rationalität des Systems erhöhen, tatsächlich führte es in die Katastrophe. Der Investor Warren Buffett sollte diese Papiere später einmal als "finanzielle Massenvernichtungswaffen" bezeichnen. Jedenfalls sollten die Erfahrungen dieser Monate alle Beteiligten Demut lehren, wenn es um die Prognosefähigkeit von Experten in einem sich rasch wandelnden Umfeld geht.

Im April 2007 warnte der IWF in seinem Finanzstabilitätsbericht, dass an den Märkten die Zinsen für relativ sichere und für riskante Geschäfte viel zu dicht beieinander lägen. Diese Fehleinschätzung würde der Markt womöglich in einem "Volatilitätsschock" korrigieren, also mit heftigen Kursbewegungen, mit möglicherweise schlimmen Folgen. Inzwischen gerieten diverse Hypotheken-Verleiher in den Vereinigten Staaten in Schwierigkeiten, darunter New Century, eines der wichtigsten Unternehmen der Branche. Bei der relativ kleinen Investmentbank Bear Stearns geriet ein Hedgefonds in Nöten, der massiv mit Hypotheken-Anleihen spekuliert hatte.

Die Aktienmärkte waren unterdessen ein denkbar schlechtes Barometer für die Krise. Zwar gab es am 27. Februar einen scharfen Einbruch, der Dow Jones rauschte um 416 Punkte in den Keller, aber das ließ sich immer noch als überfällige Korrektur eines überhitzten Marktes deuten. Am 16. Juli, also wenige Tage, ehe die Krise der IKB öffentlich wurde, verzeichnete der Dax seinen Jahreshöchststand von 8106 Punkten.

Ein bemerkenswerter Tag war der 9. August 2007. Er gilt allgemein als mehr oder weniger offizieller Beginn der Krise. Jedenfalls sprach man von da an von "der" Finanzkrise. An diesem Tag brach der Dow Jones in New York um 387 Punkte ein. Auslöser war die Nachricht, dass die französische Großbank BNP Paribas drei ihrer Fonds sperrte, weil sie infolge der Immobilienkrise die Anlagen nicht mehr genau bewerten konnte. Zusätzlich warnte AIG, damals die größte Versicherung der Welt und zeitweise eines der gefährlichsten Unternehmen für das Finanzsystem überhaupt, vor den Auswirkungen der Subprime-Krise.

Die Warnungen waren ernst genug, aber sie vermochten die Börsen nicht wirklich zu beunruhigen. Die Party ging noch ein paar Monate weiter. Der Dow Jones erreichte am 9. Oktober seinen Jahreshöchststand mit 14 164 Punkten, erst danach begann der Abstieg in den Krisenmodus, und das auch nur langsam. Die Ruhe der Märkte ist umso erstaunlicher, als sich die alarmierenden Meldungen immer mehr häuften. Sogar Goldman Sachs, die vornehmste Adresse der Wall Street, hatte Probleme mit zwei spekulativen Fonds. Die Investmentbank immerhin besaß die nötigen Mittel, um diese Probleme aus eigener Kraft zu lösen.

Es ist wichtig, Lehren aus den Krisen zu ziehen

Auch deshalb war der Optimismus bei vielen Marktteilnehmern ungebrochen. Abby Cohen, die legendäre Analystin von Goldman Sachs, antwortete im Dezember auf die Frage der Süddeutschen Zeitung, ob sie denn mit einer Rezession rechne, mit einem klaren Nein. Dazu seien die Gewinne der Unternehmen noch viel zu hoch. Tatsächlich hatte die Rezession damals, wie sich im Nachhinein zeigte, bereits begonnen. Es sollte die schwerste seit der Weltwirtschaftskrise werden.

Die Finanzkrise und die folgende allgemeine Wirtschaftskrise haben die Welt dauerhaft verändert, ökonomisch, politisch und sozial. Umso wichtiger ist es, Lehren daraus zu ziehen. An der ersten Phase dieser Krise interessiert vor allem, ob man bereits früher die Dimension hätte erkennen und dann das Schlimmste verhindern können.

Tatsächlich sind diese Möglichkeiten gering. Würde sich die Krise unter den gleichen Vorzeichen wiederholen, wüssten die Experten vielleicht, was zu tun ist. Aber der Irrationalismus und die Bereitschaft der Menschen, sich selbst etwas vorzumachen, ist groß. Beispiele dafür liefern die Ökonomen Kenneth Rogoff (Harvard) und Carmen Reinhardt (damals Universität Maryland) in ihrem während der Finanzkrise geschriebenen und zu Recht berühmt gewordenen Buch "This Time Is Different" reichlich. Immer wieder findet sich in Krisenzeiten jemand, der sagt: "Diesmal ist alles anders. Diesmal müssen wir die Lehren von gestern nicht beherzigen." Jedesmal erweist sich dies als Illusion.

Die Schwächen der Europäischen Währungsunion wurden brutal offengelegt

Wichtig ist aber auch die Erkenntnis, dass die Finanzkrise nicht so hart hätte ausfallen müssen. Der schwerste politische Fehler der amerikanischen Behörden kam im folgenden Jahr 2008: Erst retteten Finanzminister Henry Paulson und Notenbankchef Ben Bernanke die strauchelnde Investmentbank Bear Stearns, dann ließen sie am 15. September die Bank Lehman Brothers untergehen. Erst dieser Schock war es, der das Finanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs brachte.

Bereits im Jahr 2007 hat die Krise die Schwächen der europäischen Währungsunion brutal offengelegt. Aber auch dies nahmen Politiker und Banker in Europa mit großer Verspätung wahr, 2010, als Griechenland vor der Zahlungsunfähigkeit gerettet werden musste.

Das deutsche Bankensystem hat die Nachwirkungen der Krise noch lange nicht überwunden. Die Deutsche Bank, die sich einst rühmte, die Krise unbeschädigt überstanden zu haben, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Münchner HRE gehört als Bad Bank dem Staat. Nur die IKB, mit der vor zehn Jahren alles anfing, steht inzwischen gut da. Sie ist komplett privatisiert und schreibt seit vier Jahren schwarze Zahlen.

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