Süddeutsche Zeitung

Eskalation im Ukraine-Konflikt:"Finanzielle Atombombe"

Die USA drohen Russland mit dem Ausschluss aus dem internationalen Zahlungssystem Swift. Der wirtschaftliche Schaden für das Land wäre wohl massiv.

Von Markus Zydra, Frankfurt

US-Präsident Joe Biden droht Russland mit harten Sanktionen, sollten die russischen Truppen in die Ukraine einmarschieren. Im Gespräch ist eine Maßnahme, die von Experten als "nukleare Option" bezeichnet wird: Der Westen könnte Russland vom wichtigsten internationalen Zahlungssystem abklemmen.

Die Rede ist von Swift, eine Abkürzung für "Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication". Mehr als 11 000 Banken, Börsen und Finanzdienstleister in 210 Ländern nutzen das gesicherte Nachrichtensystem, über das pro Tag rund fünf Billionen Dollar auf Bankkonten angewiesen werden. Sollte ein Land den Zugang zu Swift verlieren, droht eine wirtschaftliche Katastrophe: Über Nacht könnten viele Firmen weder Importe bezahlen, noch ihre Ausfuhren abkassieren. Für Russland als Energie-Exporteur wäre das desaströs. Die Wirtschaft könnte kollabieren, die russischen Finanzmärkte crashen.

Die Forderungen nach einem Ausschluss Russlands aus Swift kamen erstmals 2014 auf, als Strafe für die Invasion des Landes auf der Krim. Großbritannien appellierte damals an die europäischen Staats- und Regierungschefs, eine solche Option in Betracht zu ziehen. Der Chef der russischen Staatsbank VTB, Andrej Kostin, nannte die Maßnahme "eine finanzielle Atombombe". Der frühere russische Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew wertete einen möglichen Ausschluss Russlands von Swift als "Kriegserklärung".

Swift stellt ein sicheres Kommunikationssystem für Überweisungen zur Verfügung. Beispiel: Kunde A möchte Geld an Kunde B im Ausland überweisen. Dann schickt die Bank des Kunden A eine standardisierte Swift-Nachricht an die Bank des Kunden B - darauf vermerkt: der Absender, der Betrag, die Kontonummer und der Swift-Code (BIC-Code) der Bank. Mithilfe dieser Informationen nimmt Bank B die Gutschrift vor. Die Saldierung der Zahlungen erfolgt später - und hat mit Swift nichts mehr zu tun.

Swift ist keine staatliche Behörde, sondern eine Genossenschaft im Besitz von globalen Großbanken. Das internationale Zahlungssystem, 1973 gegründet, hat seinen Sitz in Brüssel und unterliegt EU-Recht. Die USA haben damit formal keine Möglichkeit einen Ausschluss Russlands von Swift zu erzwingen. Doch wie so oft gilt im Ernstfall das Recht des Stärkeren. Der US-Kongress hat 2012 beschlossen, dass die Swift-Vorstände mit finanziellen Sanktionen zu rechnen hätten, sollte sich der Zahlungssystemanbieter einer entsprechenden Anordnung der USA verweigern - damals ging es um Iran: Das Land ist seit damals von Swift ausgeschlossen und verlor fast die Hälfte seiner Ölexporteinnahmen und 30 Prozent seines Außenhandels. Nach der Machtübernahme durch die Taliban sind auch internationale Überweisungen über das Swift-System nach Afghanistan ausgesetzt worden - das Finanzsystem des Landes ist kollabiert, auch Hilfsgelder kommen kaum noch durch.

Russland und auch China haben in den vergangenen Jahren eigene Zahlungssysteme aufgebaut, um die Abhängigkeit von Swift und damit das Sanktionsrisiko zu reduzieren. Die russische Zahlungsplattform "System for Transfer of Financial Messages" (SPFS) zählt rund 400 Mitgliedsbanken - es sind fast nur russische Institute. Durch günstige Tarifangebote versucht Russland, Auslandsbanken zu gewinnen, doch eine gute Alternative zu Swift ist SPFS bislang nicht, so Maria Shagina, Expertin beim Carnegie Moscow Center, in ihrem Bericht: "Swift operiert 24 Stunden am Tag, während SPFS die Überweisungsnachrichten nur werktags verschickt während der Bürostunden, auch bei den Nachrichtendaten gebe es eine niedrige Obergrenze."

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